Выбрать главу

«Sofort!«

Mit einem Satz sprang der Sanitäter auf, stand vor Dr. Mainetti stramm und meldete:»Frau Doktor… da ist jemand, der möchte den diensthabenden Arzt sprechen! Er möchte sich bei ihm beschweren!«

«Himmel, Arsch und Zwirn!«machte der Mann mit dem Bajonett. Dann zog er das Gewehr an und stand ebenfalls stramm.»Melde Einlieferung eines Soldaten vom Strafbataillon zu fachärztlicher Behandlung. Ich habe den Befehl, den Mann.«

«Wer hier befiehlt, ist wohl klar, was?«Dr. Mainetti zeigte auf die Tür. Der Blick des Soldaten ging an dem ausgestreckten Arm entlang, in seinem Gesicht zuckte es.»'raus! Und zwar mit Hurra! Und was mit dem Mann geschieht, bestimme ich und nicht Ihr Kompaniechef, verstanden?«

«Ich.«

«'raus!«brüllte Lisa Mainetti. Der Wachsoldat zuckte zusammen, nahm sein Gewehr unter den Arm und verließ das Behandlungszimmer. Draußen auf dem Flur blieb er vor der Tür stehen, wie eine Schildwache.

Der junge Soldat mit dem schiefstehenden Kiefer sah Lisa dank-bar an. In seine Augen traten plötzlich Tränen, er streckte die Hände aus, als suche er Hilfe. Dr. Mainetti tastete noch einmal vorsichtig den Kiefer ab. Sie stellte fest, daß hier kein totaler Bruch vorlag. Der Unterkiefer links war nur aus dem Gelenk gesprungen, und der äußere Prozessus war angebrochen. Ein Bluterguß war nicht mehr vorhanden, das öffnen des Mundes war nur bis zu zwei Fingerbreiten möglich.

Dr. Mainetti richtete sich auf.

«Sie sind in einem Strafbataillon?«fragte sie und winkte dem Sanitäter.»Evipan und Gipsbinde«, rief sie ihm zu.

Der Junge nickte.

«Und warum?«

«Ich habe den Urlaub überschritten. Nur drei Tage, nicht mehr. «Er weinte jetzt und lehnte den Kopf zurück an die Wand.»Ich war in Urlaub, und meine Mutter hatte Grippe. Ganz fürchterlich hat sie gehustet. Und am letzten Tag war Fliegeralarm, wir mußten in den kalten Keller. Da ist es schlimmer geworden mit ihr, sie hat Fieber bekommen, 40,5, Frau Doktor. Da bin ich drei Tage länger geblieben, um sie zu pflegen. Kein Krankenhaus wollte sie aufnehmen, alles war voll von den Bombenverletzten. Dann bin ich zurück zur Truppe, als das Fieber vorbei war. Und dort haben sie mich verurteilt. Wegen unerlaubter Entfernung von der Truppe — zuerst zum Tode — dann hat es mein Kommandeur umgewandelt, weil ich doch vorher noch nie etwas… Strafbataillon. «Das Gesicht des Jungen verzerrte sich vor nackter Angst.»Aber ich wollte doch nur meiner Mutter helfen. Niemand hat ihr doch beigestanden! Und nun… nun… keiner glaubt mir… keiner.«

Dr. Mainetti wusch sich die Hände. Das ist unmöglich, dachte sie. Diese Verletzung ist keine Kriegsverletzung. Zusammengeschlagen hat man den Jungen, einfach zusammengetrommelt mit den Fäusten. Sie unterbrach ihre Waschung und klinkte mit den nassen Händen die Tür auf. Der Wachmann stand vor dem Behandlungsraum. Als er Lisa sah, wurde er rot im Gesicht und kniff die Lippen zusammen.

«Warum ist der Mann im Strafbataillon?«rief Dr. Mainetti.

«Weiß ich nicht!«brummte der Wachsoldat.

«Und woher hat er den Kieferbruch?«

«Weiß ich nicht.«

«Gehen Sie zurück zu Ihrem Kommandeur und sagen Sie ihm, daß der Mann hier bleibt! Ich muß den Bruch einrichten und schienen. Ein schriftlicher Bericht wird nachgereicht.«

«Das geht nicht. «Der Wachmann trat einen Schritt auf Dr. Mai-netti zu.»Ich muß ihn wieder mit zurückbringen.«

«Die Schnauze müssen Sie halten!«schrie Lisa.»Gehen Sie aufs Geschäftszimmer und warten Sie auf einen Aufnahmeschein! Und dann 'raus hier!«

Sie knallte die Tür zu und ging zurück zum Waschbecken.

Im Flur stand der Wachsoldat unschlüssig herum.

So traf ihn Dr. Urban, der auf seinem Zimmer aus der Lektüre der neuen Nummer des >Reichs< durch Lisas Stimme aufgeschreckt worden war und nun zum Verbandszimmer kam.

«Was ist denn hier los?«fragte er. Er sah das aufgepflanzte Bajonett und stieß einen kurzen Pfiff aus.»Was machen Sie denn hier? Haben Sie einen gebracht? Kommen Sie mit auf mein Zimmer und berichten Sie mir.«

Während Lisa Mainetti nach der Evipaninjektion den Kiefer des Jungen mit einem Gipsverband einrichtete und fixierte und ihn dann auf ihre Station bringen ließ, berichtete der Wachsoldat über seinen Auftritt mit ihr.

«Tun Sie alles, was sie Ihnen gesagt hat«, sagte Dr. Urban zufrieden.»Und erzählen Sie Ihrem Kommandeur alles. Das saubere Früchtchen werde ich selbst im Auge behalten. Abhauen und dann hier auch noch große Bogen spucken. Ich werde das schon regeln.«

Dr. Mainetti schrubbte sich noch den Gips von den Händen, als Dr. Urban lächelnd eintrat und sich neben das Waschbecken stellte.

«Ich nehme an, der junge Mann hat einen solch komplizierten Bruch, daß er einige Monate im Lazarett bleiben muß«, sagte er gehässig.»Wie ich höre, ist er auch auf Ihrer Station. Wissen Sie eigentlich, was auf Wehrkraftzersetzung steht?«

Dr. Mainetti nickte.»Sicherlich weiß ich das. Ich weiß auch, was auf Diebstahl von Morphium aus der Lazarettapotheke steht.«

«Damit schrecken Sie mich nicht mehr, Kollega. Ich weiß, warum Sie den Strafsoldaten behalten. Unter dem Mantel des ärztlichen Gewissens leisten Sie passiven Widerstand gegen den Führer und den Endsieg!«

Lisa Mainetti schwieg. Sie sah Dr. Urban mit einem raschen kalten Blick an und verließ, wobei sie einen Bogen um ihn machte, den Verbandsraum. Durch die offene Tür sah ihr der Oberarzt nach, wie sie mit tropfenden Händen über den langen Flur zum Zimmer des Chefarztes ging.

Natürlich, dachte er. Jetzt sucht sie sich Rückendeckung. Alles eine Bande! Hochnäsig und sicher, daß wir den Krieg verlieren. An die Wand sollte man sie stellen!

Er blieb mit gesenktem Kopf im Behandlungszimmer stehen, während hinter ihm der Sanitäter die flachen Gipsschalen auswusch. Man trifft sie am besten, dachte Dr. Urban, wem man ihr ihre Lieblinge nimmt. In jedem Zimmer liegen welche herum, die man längst entlassen könnte und die sie festhält, um sie der Front zu entziehen. Nur eine Meldung brauchte man zu machen. Einen kleinen Schrieb: Seht euch mal das Lazarett Bernegg an. Dort liegen Kerle herum, die manche Frontlücke füllen könnten.

Ein schwerer Schlag würde es sein. Und dabei hätte man doch nichts getan als seine simple vaterländische Pflicht.

Die Stube B/14 hatte sich an den Anblick Erich Schwabes gewöhnt. So etwas geht schnell unter Männern, die alle das gleiche Leid tragen. Schon nach dem ersten Besuch seiner Mutter war Schwabe auch aufgeschlossener geworden; er saß jetzt öfter mit am Tisch und spielte Skat oder Schach oder mit dem >Wastl-Pascha< eine Partie Mensch-ärgere-dich-nicht, die er immer gewann.

Die nach dem Weggang ihrer einstigen Attraktion, des Mannes mit der >Frauenbrust< am Kinn, ihrer Berühmtheit beraubte Stube 14 hatte eine neue, wenn auch wesentlich stillere Sensation bekommen: Der Unteroffizier Kaspar Bloch war zu ihnen gekommen.

Bloch war ein hochaufgeschossener, schwarzhaariger Junge, dem ein Granatsplitter das rechte Jochbein zerschlagen und das Ohr abgesäbelt hatte. Seine rechte Gesichtshälfte sah aus, als sei sie unter einen Dampfhammer geraten. Seit über einem Jahr war er in Behandlung. Zuerst bei den Gesichtschirurgen, dann bei der Psychiatrie, zuletzt in der Abteilung für Hals-, Nasen- und Ohrenkranke. Von dort war er zurückgekommen zu Professor Dr. Rusch und Dr. Lisa Mainetti, die sein Gesicht so weit wiederhergestellt hatten, daß man es ansehen konnte.

Nur taub war er geblieben, völlig gehörlos. Das war das große Rätsel, das ihn von einer Spezialabteilung in die andere führte. Daß er rechts nichts mehr hören konnte, leuchtete allen Spezialisten ein. aber wieso er auf dem linken Ohr gehörlos geworden war, dort, wo keinerlei Verletzungen vorlagen, konnte sich keiner erklären.

Dr. Urban, der bei der Rückkehr Kaspar Blochs die Krankenblätter durchlas, sprach das aus, was Dr. Mainetti seit langem im stillen dachte: