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Er hatte den Arm voller Kostbarkeiten: zwei Flaschen Wein, eine Dauerwurst, eine Dose Keks, ein halbes Pfund Butter, etwas Schnittkäse, ein Kommißbrot und ein Paar französische Seidenstrümpfe mit schwarzer Naht. Woher er das alles hatte, war sein Geheimnis. Wie ein übermütiger Junge war er die Kellertreppe hinuntergekommen, pfeifend und schon von oben rufend:»Es kommt der Weihnachtsmann, mein Mädchen! Macht hoch die Tür, die Tor' macht weit!«

Im Keller saß Ursula Schwabe auf der Kiste, die sie vor die verriegelte Tür geschoben hatte. Ein Zittern lief durch ihren schmalen Körper, als sie die Tritte und die Stimme Karlheinz Petschs hörte. Sie starrte hinüber zu Erichs Bild, das von dem flackernden Licht der drei kleinen Kerzen umflammt war.

«Hilf mir«, sagte sie leise.»Erich, hilf mir! Er darf nicht hereinkommen. Warum hast du mich nicht bei dir haben wollen? Warum bin ich jetzt allein?«

Feldwebel Petsch war an der Kellertür angelangt. Er drückte mit dem Ellenbogen des rechten Armes gegen die Klinke.

«Abgeschlossen!«sagte er zu sich, dann stellte er die beiden Flaschen auf den feuchten Boden des Kellers und klopfte gegen die Tür.

«Aufmachen, kleine Frau! Das letzte Weihnachtsfest in diesem Mistkrieg wollen wir feiern!«

Ursula lehnte den Kopf gegen die Kellertür.

«Gehen Sie!«rief sie mit erstickter Stimme.»Wenn Sie nicht gehen, rufe ich um Hilfe.«

Feldwebel Petsch sah verblüfft gegen die rohen Bretter der Tür.»Das ist 'n Ding!«sagte er laut.»Wenn du wüßtest, Kleines, was ich alles hier habe! Für so was würde man heute Leute ermorden. Sogar ein paar Strümpfe hab' ich hier. Aus Paris. Seide mit schwarzer Naht! Einem Zahlmeister aus den Zähnen gezogen. Wenn ich mir diese Strümpfe an deinen Beinen vorstelle! Schon der Gedanke macht mich ohne Alkohol besoffen. Komm, mach auf!«

Ursula schüttelte wild den Kopf. Sie wußte, es war sinnlos, um Hilfe zu rufen. Niemand würde sie hören. Nur durch die Durchbrüche konnte sie in die Nebenkeller flüchten, in verlassene, eingefallene Häuser, in denen die Ratten unter den Trümmern nach Freßbarem wühlten, nach vermoderten Lebensmitteln und vergessenen Leichen.

«Gehen Sie!«sagte sie noch einmal.»Ich mache Ihnen nicht auf. Und wenn Sie versuchen, die Tür einzutreten — ich habe ein Beil hier. Und ich schlage zu — bestimmt!«

«Frohe Weihnachten!«sagte auf der Kellertreppe Karlheinz

Petsch.»Da rennt man einsam durch die Gegend und organisiert ein Festessen, um einem kleinen Mädchen eine Freude zu machen, und was tut sie? Sie will mit einem Beil um sich schlagen. Hab ich das verdient?«

Ehe Ursula antworten konnte, heulten oben die Sirenen wieder auf. Vielleicht war es nur ein Störangriff. Aber auch ein kleiner Angriff brachte Trümmer und Tote, Feuer und Leid.

Feldwebel Petsch trommelte mit den Fäusten gegen die Kellertür.

«Alarm — verdammt noch mal! Jetzt müssen Sie aufmachen! Oder wollen Sie, daß ich hier verrecke, wenn die Eier fallen?«

«Rennen Sie zum nächsten Keller!«schrie Ursula.

«Ich kann mich beherrschen! Da — die Flak schießt schon! Da soll ich 'raus und einen Splitter um die Ohren bekommen? Fünf Jahre hab' ich Glück gehabt, und jetzt wollen Sie mich zur Minna machen lassen? Nee, nein Mädchen — aufmachen, wie es die Nächstenliebe befiehlt!«

Mit zitternden Fingern schob Ursula den Riegel zur Seite. Feldwebel Petsch stieß die Tür auf, schob mit dem Fuß die Kiste zur Seite und trug in zwei Etappen seine Geschenke in den muffigen Kellerraum. Er baute alles auf dem Tisch auf, legte Erich Schwabes Bild mit dem Gesicht nach unten neben die Tannenzweige und setzte sich auf das Luftschutzbett. Seine Mütze warf er auf die Erde.

«Warum hast du Angst?«fragte er und sah Ursula groß und jungenhaft fragend an.»Glaubst du, ich tu' dir was, wenn du nicht willst?«

Ursula schwieg. Sie stand mit dem Rücken an die offene Tür gelehnt, als wolle sie jeden Augenblick flüchten können. Von oben hörte man das Bellen der Flak und das helle Brummen leichter Bombenflugzeuge. Sie zogen über die Stadt, ohne etwas abzuwerfen.

«Ich kannte mal ein Mädel, das war genauso wie du«, sagte Petsch.»Aber nach zwei Stunden kam sie von selbst, und dann war ihr alles egal. Wissen wir, ob wir morgen noch leben?«

Ursula sah hinüber auf den Tisch. Sie sah die Wurst, die Butter, das Brot, den Wein. Und die Strümpfe.

«Soll ich Ihnen etwas zurechtmachen?«fragte sie heiser.»Ein Brot mit Wurst, wollen Sie ein Glas Wein? Ich habe nur einen Becher hier — aber er wird auch daraus schmecken.«

«Mach uns ein schönes Abendessen!«Feldwebel Petsch ergriff eine Flasche Wein und hieb den Hals am Pfosten des Luftschutzbettes ab.»Und laß uns einen trinken. Darauf, daß das nächste Weihnachten anders aussieht! Prost, kleine Frau! Und nun komm her, trink mit mir und laß uns Weihnachten feiern! Und wenn du noch 'n paar Kerzen hast, dann steck sie an. Das macht das alles so schön feierlich. Oben Flak, unten Stille Nacht. Kinder, in was für einer Zeit leben wir!«

Am ersten Weihnachtsfeiertag, gegen Abend, fuhr Frau Hedwig Schwabe wieder zurück nach Köln. Erich durfte sie bis zum Zug begleiten. Der Famulus Baumann hatte seinen Kopf so verbunden, daß man außer den Augen nichts sah. So war Erich Schwabe kein schrek-kenerregender Anblick mehr und konnte sich unter die Leute wagen. Er fiel auch auf dem Bahnhof nicht auf und stand so lange winkend auf dem Bahnsteig, bis der Zug in der Abenddämmerung verschwand. Frau Schwabe setzte sich, als sie Erich nicht mehr sah, und legte vorsichtig das Glasmosaik in das Gepäcknetz. Das rührend-naive Geschenk eines verstümmelten Mannes an seine Frau. Das wortlose Flehen um Liebe und Treue.

Fast zwei Tage brauchte Frau Schwabe, ehe sie durch Umleitungen und Stockungen in Köln eintraf Am 27. Dezember, gegen Mittag, in einer Pause zwischen zwei Luftangriffen, kam sie unverhofft in den Keller zurück, das Glasmosaik vor sich hertragend wie eine unersetzbare Kostbarkeit.

«Ursula!«rief sie schon auf der Treppe.»Uschi, ich bin's. Ich bin wieder da!«

Kapitel 7

Ursula riß die Kellertür auf. Ihre blonden Haare waren unordentlich, sie hielt einen Schrubber in der Hand und war gerade damit beschäftigt gewesen, den Kellerboden zu scheuern.

«Mutter.«, sagte sie, und in ihrer Stimme war weniger Freude als verborgene Angst.»Du bist schon da.«

«Ja, da staunst du, was?«Frau Schwabe legte das Paket mit dem Glasmosaik vorsichtig auf ihr Bett und hing dann ihren Mantel in den Spind.

«Du wolltest doch bis Neujahr bei Erich bleiben?«

«Das wollte ich. Aber Erich hat mich heimgeschickt. Zu dir. Sein Geschenk sollst du haben. Keine Ruhe hatte er mehr. Und ich hatte, ehrlich gesagt, auch keine Ruhe. Erich geht es soweit gut, ihm fehlt nichts, er wird von allen verwöhnt. Und da habe ich gedacht: die Uschi ist so ganz allein, und die Angriffe. und wer weiß, wie es jetzt in Köln aussieht. Aber vor allem das Geschenk. «Frau Schwabe blinzelte und legte große Spannung in ihre Worte.»In mühsamer Arbeit hat er's selbst gemacht, hat sich die Stückchen einzeln zusammengesucht und gefärbt.«

Ursulas Kopf sank tief auf die Brust. Sie hielt die Augen geschlossen und preßte unter der Schürze die Hände gegeneinander.

«Er hat mir etwas geschenkt«, sagte sie leise.

«Also zunächst: Nachträglich frohe Weihnachten!«Frau Schwabe nahm ihre Schwiegertochter in die Arme, küßte sie, und ihre Freude, Erichs Geschenk zu überbringen, war so groß, daß sie das Zittern in Ursulas Schultern nicht bemerkte. Sie zog sie mit sich zu ihrem Bett und zeigte auf das dick verschnürte Paket.»Na, nun mach es schon auf. Mein Gott, hatte ich eine Sorge, daß ich es heil nach Hause bekomme! Vor Frankfurt hatten wir einen Luftangriff. Alles habe ich im Wagen gelassen, als wir den Zug verlassen mußten, aber das da habe ich mitgenommen. Nun mach es schon auf. Augen wirst du machen, Uschi.«