Выбрать главу

«Da sind ja unsere Helden!«schrie er.»Deutsche Männer wollen das sein und verkriechen sich unter der Erde!«Er stellte sich in die Mitte des Zimmers und stemmte die Hände in die Seiten.»Aber so einfach ist das nicht, sich von dem Dienst an Führer und Vaterland zu drücken, meine Herrschaften. Einigen von euch wird noch das dämliche Grinsen vergehen! Und wenn ihr glaubt, Silvester könntet ihr euch vollsaufen, dann habt ihr in die eigenen Hosen geschissen! Meier. Rumbold. Senkblei. Schmitz III.«

«Hier — hier — hier — hier!«brüllten die Aufgerufenen und traten zwei Schritte vor ihr Bett. In ihren Augen stand Angst.

«Ihr werdet morgen drangenommen! Ihr wollt doch schnell wieder schön werden, was?«

Dr. Urban sah die bleichen Gesichter und lächelte breit. Dann stampfte er wieder hinaus, um sich bei Chefarzt Professor Rusch dienstlich zurückzumelden und seinen Operationsplan für morgen vorzulegen.

Es war der letzte Operationstag im alten Jahr. Über Silvester und Neujahr blieb nur ein Notdienst bereit für Frontzugänge und Komplikationen. Dr. Urban hatte die meisten Vorschläge, Lisa Mainet-ti meldete keine Operation, von den anderen Stationen kamen zwei Meldungen.

«Warum so viele?«fragte Rusch und las die Krankengeschichten durch.

«Damit sie Neujahr im Bett liegen müssen. Die Rache des helfenden Arztes«, sagte Dr. Mainetti. Dr. Urban zog die Augenbrauen hoch.

«Ich halte diese Operationen für notwendig. Die Wiederherstellung der Funktionen ist doch nicht abhängig von Feiertagen oder Jahreswechseln.«

«Gut!«Professor Rusch zeichnete die Vorschläge ab.»Ich werde alle Fälle selbst übernehmen. Sie und Dr. Mainetti assistieren, sowie die Herren Plugge und Vohrer.«

Dr. Urban nahm seine Krankengeschichten von Professor Rusch zurück, klemmte sie unter den Arm und verließ das Chefzimmer. Kopfschüttelnd setzte sich Rusch.

«Er ist so still und wenig kampflustig. Ist er krank?«

«Nein, in der Klemme. «Dr. Mainetti zündete sich eine Zigarette an. Es war selten, daß sie rauchte, aber manchmal hatte sie einen plötzlichen Heißhunger auf eine Zigarette.»Diese kleine Hure Irene Adam rief gegen Mittag an. Sie besteht darauf, daß sich ihr Mann von sich aus scheiden läßt. Anscheinend will sie Urban zwingen, sie zu heiraten. «Lisa sah einer bizarr verschlungenen Rauchfahne nach, die durch das Zimmer schwebte.»Wenn ich daran denke, könnte ich sogar Mitleid mit ihm haben. Das hat er denn beinahe doch nicht verdient.«

«Du scheinst auch mir die Ehe nicht zu gönnen«, sagte Rusch leise.

Dr. Mainetti zerdrückte die kaum angerauchte Zigarette.

«Manchmal bist du wie ein kleiner Junge, der nach seinem Teddybären schreit.«

«Er schreit, weil er etwas im Arm haben will.«

«Oder aus Trotz. «Lisa strich leicht über das graumelierte Haar Ruschs.»Wir haben doch andere Sorgen, Walter. Und viele werden noch dazukommen.«

Der Operationstag begann wie alle OP-Tage mit der Klage der Oberschwester, daß alles, was man brauchte, nicht genügend vorhanden sei. Zu wenig Binden, zu wenig Zellstoff, zu wenig Medikamente. In der Lazarettwäscherei wurden die gebrauchten Verbände so lange gewaschen, bis sie wie Spinnweben beim Aufwickeln zerrissen. Die Papierbinden, die als Ersatz geliefert wurden, riefen bei Professor Rusch Tobsuchtsanfälle hervor.»Soll ich meine Verwundeten mit Lokusrollen verbinden?«schrie er den unschuldigen Apotheker an, der die Papierbinden brachte.»Dann machen wir es doch gleich einfacher und legen die neuesten Nummern vom >Reich< auf die Gesichter. Vielleicht heilen Goebbels' Worte besser!«

Auch an diesem Tag wurde jeder einzelne Verband gezählt. Der Stabsintendant in der Lazarettverwaltung hatte zur strengsten Sparsamkeit gemahnt. Famulus Baumann brachte den Kasten mit den SEEPräparaten, dem Scopolamin, Eukodal und Ephedrin. Er mußte über jede entnommene Ampulle Buch führen.

An den Waschbecken standen Dr. Mainetti und Dr. Urban und bürsteten sich die Hände. Sie hatten die Kopfhauben schon auf und trugen über den nackten Füßen die weißen Gummischuhe. Stumm seiften sie Hände und Unterarme ein und schrubbten sie mit den Bürsten. Professor Rusch war noch nicht gekommen. Er führte ein Telefongespräch mit Oberst Mayrat. Die Dienststelle des Generals v. Unruh verzichtete auf einen Bericht aus Bernegg. Er war gegenstandslos geworden. Die Aktion >Heldenklau< betraf nicht die Gesichtsver-letztenlazarette. Es war ein Mißgriff gewesen, eine bedauerliche falsche Auslegung des Befehls. Rusch meinte die Hand seines Doktorvaters, des Generalarztes Professor Gilgen, dahinter zu sehen. Oberst

Mayrat entschuldigte sich förmlich und steif. Es war zu hören, wie schwer es ihm wurde.

Im OP I wurde der erste Patient vorgeführt. Es war der Obergefreite Rumbold, 32 Jahre alt, Vater von zwei Kindern, Bergmann aus Gelsenkirchen, verwundet in Rußland, August 1944. Kieferzertrümmerung mit großen Weichteilverlusten. Nach zwölf Operationen war er so weit hergestellt, daß es nur noch einiger kleinerer Knochentransplantationen bedurfte, um dann an die endgültige plastische Gestaltung des in den Grundlagen wiederhergestellten Gesichts zu gehen.

Dr. Mainetti sah von dem Waschbecken auf, als Rumbold in den OP trat. Er kam zögernd, ängstlich, fast schob ihn der Sanitäter in den Raum, wie ein Lamm, das den Schlachthof riecht und sich dagegen stemmt. Er starrte auf den Rücken Dr. Urbans und blieb zwei Schritte neben der Tür stehen. Sein Gesicht war wie eingesunken, spitz stach die Nase daraus hervor, kalter Schweiß tropfte von der Stirn und sammelte sich an den Augen, die tief in den Höhlen lagen, als habe man sie in den Kopf zurückgedrückt.

Dr. Lisa Mainetti ließ das Wasser über die gebürsteten Hände und Arme laufen und zog dann die Hände zurück.

«Wer ist denn das?«fragte sie. Dr. Urban drehte den Kopf zur Seite.

«Nummer eins, Kollega! Knochentransplantation.«

Lisa trat vom Waschbecken weg. Rumbold sah sie wie ein Hund bettelnd an. Wie ein Totenschädel war sein Gesicht.

«Was ist denn mit dem Mann los?«fragte Dr. Mainetti noch mal.»Wieso wird er operiert?«Sie wandte sich zurück zu Dr. Urban und sagte leiser, damit es Rumbold nicht hörte:»Das geht doch schief, Urban. Der Mann hat ja eine Facies hippocratica.«

Dr. Urban wandte wieder den Kopf und sah Rumbold ärgerlich an.»Blödsinn!«sagte er laut.»Der hat nie anders ausgesehen. Außerdem hat er die Hosen voll. Das ist alles.«

«Wissen Sie denn überhaupt, was eine Facies hippocratica ist?«fragte Lisa scharf.

«Nein. «Dr. Urban spülte die Hände ab.»Interessiert mich auch nicht. Der Mann hat nie anders dreingeschaut. Kann nicht jeder eine Schönheit wie der Chef sein.«

Lisa überhörte die Anspielung. Sie nahm die Haube von den Haaren und warf sie auf einen Tisch.»Ich gehe zum Chef, Herr Urban!«sagte sie.»Ich will, daß die Operation abgesetzt wird!«

Dr. Urban hielt sie am Ärmel des OP-Mantel fest.

«Was für ein Unsinn!«sagte er leise.»Liebe Lisa, Sie können mich als Menschen mißachten und meinetwegen auch versuchen, mich fertigzumachen. Aber als Arzt lasse ich mir das nicht bieten! Hier ist die Grenze! Genügt es Ihnen, wenn ich versichere, daß der Patient nie anders ausgesehen hat? Nur weil Sie gefühlsmäßig schwarzsehen, wollen Sie einen Tagesplan über den Haufen werfen? Wollen Sie mich vor dem Chef als Idioten hinstellen? Ich warne Sie, Lisa!«

Dr. Mainetti sah noch einmal hinüber zu dem bleichen Rumbold. Der Famulus Baumann bereitete ihn zur Operation vor. Er wurde ausgezogen und nackt auf den OP-Tisch gelegt. Aus der Hüfte wollte man einen Knochenspan meißeln und ihn in den Kiefer transplantieren.

«Gut!«sagte Lisa widerwillig.»Ich kann mich irren! Glauben Sie mir, Urban, daß ich alles tun würde, diese Operation zu verhindern, wenn ich völlig sicher wäre. Ich würde mich einen Dreck darum kümmern, ob ich Sie als Arzt bloßstelle! Das wissen Sie!«