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Hinter seinem Rücken hörte er immer lauter werdende, diskutierende Stimmen. Seine Mitreisenden stritten sich, ob die Ledermasken im Mittelalter auch hygienisch gewesen waren.

«Wenn man sie von innen puderte«, rief die gelehrte Dame mit der dicken Brille. Erich Schwabe tastete sich den Gang entlang und schloß sich in dem kleinen Zugklosett ein.

Dort saß er, stützte die Arme auf das schmutzige Waschbecken und starrte gegen die Milchglasscheibe.

Wie in Bernegg, dachte er. Milchglas, das nicht spiegelt. Und allein in einem Zimmer. - Ganz allein.

Wie schön das ist.

In dem kleinen Haus des wiedereingestellten Leiters des Lohnbüros der Möbelfabrik Berger, Christian Oster, war nach den anfänglichen Unsicherheiten der Friede eingekehrt. Aber es war ein trügerischer Friede, dieses Ansiedeln zweier menschlicher Seelen auf einem vulkanischen Boden, der so dünn war, daß man das Brodeln unter den Füßen zu hören meinte.

Christian Oster, der Mann mit dem neuen Gesicht, an dem nur noch die Augen und das Haar an den alten Christian Oster erinnerten, ging seiner Arbeit so fleißig und gewissenhaft wie früher nach. Die ihn von vorher kannten, vermieden es, von den >alten Zeiten< zu sprechen, und als immer neue Heimkehrer kamen und den alten Arbeitsplatz einnahmen, hatte es Herr Berger selbst übernommen, jedem von weitem Christian Oster zu zeigen und zu sagen:»Das ist er. Tut so, als habe er sich nur wenig verändert. Auch wenn Sie es nicht glauben wollen: Es stimmt. Er ist Oster.«

Soweit ging alles gut in der Möbelfabrik. Aber in dem kleinen Haus am Rande der Stadt schliefen die Probleme nur und wurden nicht so einfach gelöst wie auf der Arbeitsstelle. Hier war man unter Männern. In dem Haus aber saß eine Frau, und je näher der Zeiger der Uhr auf die Abendstunde rückte, um so fester zog sich um ihr Herz eine eiserne Klammer aus Angst und Verzweiflung. Wochenlang hatte sie sich Mühe gegeben, in dem neuen Gesicht Züge ihres Mannes zu entdecken. Es war unmöglich gewesen. Selbst seine Stimme hatte einen anderen Klang bekommen, eine näselnde Färbung der Worte. Man hatte ihm ja eine andere Nase geben müssen, einen neuen Unterkiefer, eine Zahnprothese, neue Lippen, und ein Teil der Zungenspitze war abgerissen worden. Wenn er sich unbeobachtet über die schartigen Lippen leckte, sah es aus wie das Züngeln einer Schlange. Es war für Susanne Oster gräßlich, dies zu sehen, und es war vor allem undenkbar, bei einem Kusse diese Zunge an ihren Lippen zu spüren. Allein der Gedanke entsetzte sie.

Das grauenvollste aber waren die Abende und Nächte. Sie saßen dann nebeneinander oder voreinander am Radio oder lasen, und nachts lagen sie wie hölzerne Pfosten nebeneinander, und keiner wagte es, den anderen zu berühren. Sie zogen sich sogar getrennt aus. Meistens lag Susanne schon im Bett, wenn Christian von seinem abendlichen Rundgang durch das Haus zurückkehrte und sich im Badezimmer auszog.

In einer Nacht geschah es dann. Susanne Oster wachte auf, weil ein Lichtschein sie blendete und schneidende Kälte durch ihren Körper rann. Sie schlug die Augen auf und sah das fremde Gesicht ihres Mannes dicht über sich. Das Licht der Nachttischlampe fiel auf ihren Körper. Christian Oster hatte die Steppdecke weggezogen und ihr das Nachthemd über die Brust hochgestreift. Nackt lag Susanne vor ihm, und die Kälte glitt über ihre Haut und ließ ihren Körper leicht vibrieren.

Oster kniete neben ihr. Auch er war nackt, und in seinen Augen lag eine solche Panik, ein solch schreiender Hunger, daß Susanne die Knie anzog und versuchte, das Nachthemd über ihren Leib zurückzustreifen.

Mit hartem Griff hielt Oster ihre Hand fest.

«Nein!«sagte er heiser.

«Christian — «, Susannes Augen weiteten sich voller Angst.»Was soll das? Ich bitte dich. - Bitte, bitte.«

«Über zwei Jahre habe ich gewartet und von diesem Augenblick geträumt. Fünfundvierzigmal bin ich operiert worden, um ein Gesicht zu bekommen. Es war alles umsonst.«

«Christian — du mußt mir Zeit lassen. Versteh mich doch. Es ist mir — es ist…«

«Ich bin ein fremder Mann, nicht wahr?«Christian Oster drückte ihre Hände zur Seite, dann ergriff er das Nachthemd und riß es ihr mit einem Ruck vom Körper.»Gut also — nimm diesen Fremden!«

«Ich kann nicht.«, stammelte sie.»Bitte, bitte.«

«Für wen willst du treu bleiben?«fragte Oster gepreßt. Er legte seine Hände auf ihre Brust und krallte die Finger in ihr kaltes, glattes Fleisch.»Für diesen Christian Oster? Der ist doch tot. Der kommt nie wieder. Nie wieder, hörst du? Der liegt in Rußland. Auf dem Rücken liegt er, und während ihn seine Kameraden in einer Zeltplane wegtragen, schreit er immer: Erschießt mich doch. Erschießt mich doch. Weg ist er, dieser Oster, einfach weg. Und nun ist ein anderer Mann da, und du liegst neben ihm, nackt, und auch er ist nackt. Und er will dich. Hörst du — er will dich. Ich will dich!«

«Christian«, schrie sie und stemmte die Fäuste gegen seine Brust. Sie trat um sich, wehrte sich verzweifelt.

«Ich bin nicht mehr Christian«, brüllte Oster.»Ich bin irgendein Mann, irgendeiner. Ein Mann — ein Mann. «Er preßte seinen Kopf auf den ihren und warf sich auf ihren kalten Leib, der sich unter ihm aufbäumte und sich wegzurollen versuchte.»Ich betrüge mich mit mir selbst«, stöhnte er heiser.»Ich vergewaltige meine eigene Frau. Nur weil ich ein anderes Gesicht habe. Ein anderes Gesicht. Kann ich dafür — kann ich denn dafür? Du — du.«

Er küßte sie. Die Zunge, dachte sie, da ist diese Schlangenzunge. Sie preßte die Zähne zusammen, aber er drängte sie auseinander und vergrub sich in ihrem Mund. Ekel schüttelte sie, Brechreiz würgte in ihrer Kehle. Sie schrie und stöhnte und kratzte ihm den ganzen Rücken auf, bis sie das Blut klebrig an ihren Fingern spürte und die Fetzen seiner Haut unter ihren Nägeln.

«Ich kann nicht — ich kann nicht.«, schrie sie heiser und stieß mit den Knien nach ihm. Da drückte er die Finger gegen ihren Hals, schlug auf sie ein, in blinder, verzweifelter Wut. Er rang mit ihr, keuchend und brutal, bis ihre Körper schweißüberzogen in- und übereinanderglitten.

«Zwei Jahre — «, röchelte er.»Zwei Jahre. Und wenn ich dich dabei umbringe.«

Später lag Susanne Oster vor ihm, blaß, mit geschlossenen Augen, blutverschmiert und wie ein knochenloser Körper in einer seltsam verkrümmten Stellung. Christian Oster saß neben ihr und streichelte weinend ihren mißhandelten Leib.

«Verzeih' mir«, sagte er schluchzend.»Aber ich konnte nicht mehr. Verstehst du das denn nicht, Susi? Ich konnte einfach nicht mehr. Freiwillig wärst du nie zu mir gekommen.«

Sie antwortete nicht. Wie tot lag sie vor ihm. Da sprang er auf, holte warmes Wasser und wusch den Körper wie ein Leichenwäscher. Sie ließ es geschehen, mit geschlossenen Augen, um den Mund ein Ausdruck tiefster Verachtung.

Am Morgen sprach sie ebenfalls nicht darüber. Stumm machte sie wie jeden Morgen seinen Kaffee, packte ihm Frühstücksbrote ein und duldete seinen scheuen Abschiedskuß. Und dann saß sie allein in dem kleinen Haus am Stadtrand, starrte in den Spiegel und sah sich an. Ein bleiches, schmal gewordenes Gesicht, mit Augen, die in tiefen Schatten lagen. Ein rundlicher Körper, auf dem die Striemen der Nacht lagen wie rote, vollgefressene Würmer.

Am Abend kam Christian Oster später als sonst zurück.

Er war betrunken.

Mit hartem Griff faßte er Susanne, zerrte sie wieder ins Schlafzimmer und vergewaltigte sie von neuem. Sie biß ihm wie eine Wildkatze in das neue Gesicht, sie riß ihm mit den Zähnen die mühsam gestalteten neuen Lippen auf — es kümmerte ihn nicht. Er zwang sie unter seinen Willen und nahm sie mit einem Schrei, der sich anhörte wie ein Triumphgeheul.

Und so war es jetzt jede Nacht. Er war betrunken und tat ihr Gewalt an. Und von Tag zu Tag verfiel er mehr, und sein Blick wurde glasig, starr und fast irr.

Aber dann weinte er wie ein Kind.

«Verzeih mir, verzeih«, stammelte er dann.