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Aber sie sprach kein Wort, sie legte die Hände auf ihren Leib und drehte den Kopf zur Seite. Sie haßte ihn, und er spürte es und suchte Vergessen in neuer Wildheit.

Major James Braddock war zurück in die USA gefahren. Es hatte einen whisky-fröhlichen Abschied gegeben, und Lisa Mainetti hatte traurig an der Straße gestanden, als Braddocks Jeep noch einmal eine Runde um den Schulhof fuhr und dann hinausknatterte auf die Chaussee nach Würzburg.

«Ich komme wieder, Darling«, hatte Braddock gerufen. Auch ihm versagte die Stimme am Schluß. Verdammt, dachte er. Da ist man in dieses Land gekommen, um das Unrecht auszutreiben. Man hatte sich gesagt: >Diesen Deutschen werden wir es zeigen. Eher geben wir einem Nigger die Hand als einem dieser Pseudogermanen.< Und nun? Man hatte sich in dieses Land verliebt, und der Abschied war schwerer als jener Abschied vor zwei Jahren im Hafen von New Orleans. Ein Stück Herz blieb zurück und — verflucht — es war das beste Stück, das man anzubieten hatte.

Seine letzte Tat als Kommandant war gewesen, Schloß und Lazarett Bernegg als aufgelöstes Kriegsgefangenenlager zu erklären und die Überführung in die Zivilverwaltung vorzubereiten. Der bayerische Staat übernahm die Zuständigkeit. Man merkte es sofort daran, daß jetzt jeden Tag lange Fragebogen eintrafen, ein neuer Verwaltungsdirektor die Leitung übernahm und umständlich Kostenberechnungen angestellt wurden, ob es sich lohnte, diese Spezialklinik aufrechtzuerhalten, oder ob es besser sei, die Gesichtsverletzten durch die heimatlichen Kliniken behandeln zu lassen.

«Ich habe Medizin studiert, nicht um Buchhalter zu werden, sondern um zu helfen«, sagte Professor Rusch nach zwei Tagen zu dem neuen Verwaltungsdirektor, als der wieder um Unterlagen bat.»Wenn man Geld genug hatte, sechs Jahre Krieg zu führen, sollte man auch

Geld genug haben, die Opfer dieses Irrsinns anständig zu versorgen.«

«Sie vergessen, daß wir den Krieg verloren haben«, sagte der Verwaltungsmann indigniert.

Major Braddock hatte die Schlacht der Fragebogen noch in ihren Anfängen miterlebt. Er lächelte breit und musterte den papier-übersäten Schreibtisch Ruschs.

«Es ist wahrscheinlich die größte Strafe für die Deutschen, wenn sie den Deutschen überlassen werden«, sagte er grinsend.»Stellen Sie sich vor, wir zögen plötzlich ab und überließen Sie Ihrem Schicksal.«

«Das wäre teuflisch«, antwortete Lisa Mainetti. James Braddock wußte nicht, ob es ehrlich oder wieder ironisch gemeint war. Er beschloß, das erstere zu glauben.

Nach der Umwandlung des Lazaretts Schloß Bernegg in eine Lan-des-Spezialklinik war die Tätigkeit Dr. Mainettis eigentlich beendet. Sie konnte gehen, wohin sie wollte, ihre Dienstverpflichtung war erloschen. Es war eine Kriegsmaßnahme gewesen. Da auch Dr. Sten-ton versetzt wurde, waren nur noch Professor Rusch und Dr. Voh-rer als Ärzte auf Schloß Bernegg. Auch Dr. Vohrer hätte hingehen können, wohin er wollte; als Militärarzt war er entlassen. Er war in Bernegg geblieben und hatte um seine Anstellung nachgesucht.»Was soll ich jetzt in Hagen?«hatte er Rusch gefragt.»Sicherlich, Ärzte braucht man überall. Aber ich glaube, hier bei Ihnen habe ich den besten Platz. Darf ich bleiben, Herr Professor?«

Es war noch gar nichts entschieden, als Lisa Mainetti den >Ge-stellungsbrief< mit Ruschs Unterschrift an Erich Schwabe schickte und ihn nach Bernegg holte. Nur ein neuer Arzt war aus München gekommen, gewissermaßen als eine Art >amtliches Auge<. Er berichtete an das Arbeitsministerium über Wesen und Arbeit der Bernegger Klinik. Mit Dr. Mainetti war er gleich am ersten Tag zusammengestoßen.

«Hier gab es einmal einen Arzt, der war braun«, sagte sie.»Ich hoffe, daß Sie nicht hier sind, um eine andere aktuelle Farbe zu verkörpern.«

Dr. Peter Sulzbarth verschluckte schicklich alle Bemerkungen und berichtete wahrheitsgetreu nach München:»Die Klinik ist dringend erforderlich. Sie ist bestens eingerichtet und mit 123 Gesichtsverletzten aller Grade belegt. Die Leitung ist bei Professor Rusch in den besten Händen. Neben ihm und Dr. Vohrer ist auch noch eine Frau Dr. Lisa Mainetti im Haus, eine qualifizierte Chirurgin, aber eine etwas schwierige Dame.«

Zunächst übernahm man provisorisch die alte Besetzung. Sogar der Famulus Baumann wurde als 1. Krankenpfleger mit Gehalt übernommen.»Noch ein Jahr, Herr Professor«, hatte er gebeten,»dann bin ich so weit, daß ich wieder studieren kann. Wenn ich so lange bleiben darf.«

So war das Wiedersehen mit Erich Schwabe nicht anders als eine Rückkehr von einem längeren Urlaub.

«Gott verhüte, daß nun auch der Wastl und der Berliner zurückkommen«, rief Baumann, als er Schwabe umarmte.»Wir haben nicht mehr die Kraft, euch alle noch einmal zu ertragen.«

Dr. Mainetti und Professor Rusch untersuchten Schwabe sofort. Sie gerieten in einen neuen Schmerzanfall hinein, der um so heftiger war, als Schwabe keinerlei Narkotika bei sich hatte. Stöhnend und mit den Zähnen knirschend, saß er im OP und umkrallte den Arm Lisa Mainettis.

«Mein Kopf«, wimmerte er.»Himmel — mein Kopf..«

Rusch injizierte ihm Eukodal und machte von seinem Schädel Röntgenaufnahmen in allen möglichen Ebenen. Schon Minuten später hielt er die noch feuchten, tropfenden Aufnahmen gegen das Licht der OP-Lampe. Es zeigte sich, daß sich zwischen dem Wundgrund und dem eingepflanzten Knochensplitter eine Verdickung gebildet hatte. Sie drückte auf einen Nerv und erzeugte den wahnsinnigen Schmerz. Rusch sah Dr. Mainetti kurz an. Lisa nickte.

«Was ist es?«fragte Schwabe leise.

«Mist ist es«, sagte Lisa laut.

«Die Nase«, Schwabe atmete tief durch.»Muß sie wieder weg.?«

«Ja.«

«Mein Gott. Geht es jetzt wieder von vorn los?«

«Es scheint so. Haben Sie keine Sehstörungen bemerkt?«

«Ab und zu ein Flimmern. Doch, doch. Und einmal habe ich alles doppelt gesehen. «Schwabe erinnerte sich an den ersten Fehlschlag mit seiner Nase. Auch damals waren diese Sehstörungen aufgetreten, und man hatte ihm gesagt, daß er nahe an einer Erblindung vorbeigekommen war.»Mein Gott, Frau Doktor«, stammelte er.»Ist es das wieder? Wie damals? Werde ich blind?«

«Nur keine Panik, Schwabe. «Professor Rusch legte die Röntgenbilder zur Seite.»Sie werden diese Nacht ruhig durchschlafen, und morgen gehen wir wieder an dieses Biest von Nase heran.«

«Und — wie lange dauert es?«

«Bis Sie wieder nach Köln zurück können? Etwa vier Wochen.«

«Unmöglich. «Schwabe rutschte vom Schrägen und legte wie zum Schutz seine rechte Hand über die Nase.»Das geht nicht.«

«Wieso denn nicht?«

«Meine Frau bekommt doch in den nächsten Tagen das Kind.«

«Ihre Frau — aber doch nicht Sie. Die bringt es auch allein auf die Welt.«

«Aber ich will dabeisein. Es ist — wie man so sagt — das größte Ereignis in meinem Leben.«

«Das größte Ereignis war, als man Ihnen das Gesicht wegrasierte«, sagte Professor Rusch grob.»Alles andere ist dagegen unwichtig. Diese Operation muß sofort gemacht werden.«

«Aber wenn sie noch einige Tage Zeit hat — nur ein paar Tage noch, Herr Professor.«

«Ich kann diese Verantwortung nicht übernehmen. Ach was, Schwabe, ich lasse Sie einfach nicht weg aus Bernegg.«

Schwabe senkte den Kopf. Er wußte, daß Rusch es gut meinte, er wußte, daß er recht hatte, er spürte, daß in seinem Kopf etwas war, das gefährlicher war als alles, was er bisher durchgestanden hatte. Aber er sah nicht ein, daß es nicht ein paar Tage Zeit haben sollte.

«Das war früher«, sagte Schwabe gepreßt.»Früher, Herr Professor, konnten Sie befehlen. Heute sind wir Privatpersonen.«

«Ein Idiot sind Sie«, rief Dr. Mainetti laut.»Sie bleiben hier — und damit basta. Und wenn es gar nicht anders geht, holen wir Ihre Frau nach Bernegg und lassen sie hier entbinden. Wir können nicht nur neue Nasen und Kiefer machen.«

«Wenn — wenn das möglich wäre«, sagte Erich Schwabe voll Hoffnung.»Frau Doktor — wenn Uschi nach hier kommen kann.«