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«Natürlich geht das.«

«Kann ich ihr sofort schreiben? Oder sogar telegrafieren?«

«Von mir aus. «Dr. Mainetti blinzelte Rusch zu, als sie dessen erstaunt fragenden Blick sah.»Erst einmal legen Sie sich auf das berühmte Zimmer B/14.«

Erich Schwabe entschloß sich, sein Telegramm an Uschi bis zum nächsten Tag aufzuschieben. Famulus Baumann setzte ihn für die Nacht unter Eukodal, und so schlief er ruhig bis gegen 8 Uhr morgens.

Professor Rusch hatte noch lange mit Lisa über die bevorstehende Operation gesprochen. Er hatte mit einem Histologen in Würzburg telefoniert und gebeten, zu der Operation herüberzukommen. Mit bleichem Gesicht hatte Lisa das Gespräch gehört und immer wieder die Röntgenbilder angesehen.

«Du glaubst doch nicht, daß es.«, sagte sie dumpf und ließ das Wort unausgesprochen. Rusch hob die Schultern.

«Wir müssen mit allem rechnen, Lisa. Es ist ja bekannt, daß durch traumatische Schäden Tumore entstehen können.«

«Und — und wenn es — das ist?«

Rusch hob wieder die Schultern, diesmal stumm und ohne Lisa anzusehen. Es bedurfte keiner Antwort, Lisa kannte sie selbst gut genug.

«Willst — willst du es ihm sagen, wenn es wahr ist?«

«Ja.«

«Er wird sich wieder das Leben nehmen wollen.«

«Diesmal nicht. Er hat ein Kind. Und er wird die Zeit, die ihm noch bleibt, nur für dieses Kind leben.«»Er wird wahnsinnig werden.«

Rusch senkte den Kopf. Seine Stimme war klein und fast kläglich.

«Das wird er so oder so — wenn es wahr sein sollte.«

Die Operation wurde um zwei Tage verschoben. Der Histologe aus Würzburg hatte sich den Fuß verstaucht und lag mit Alkoholkompressen im Bett. Aber er versprach, sich so schnell wie möglich nach Bernegg fahren zu lassen.

Erich Schwabe hatte einen Brief an Ursula geschrieben. Das erschien ihm besser als ein kurzes Telegramm. Er ließ ihn durch Eilboten wegschicken und wartete nun auf Uschis Anruf. Statt dessen kam einen Tag später ein Brief aus Köln. Nicht von Ursula, nicht von Karlheinz Petsch oder Frau Hedwig Schwabe. Es war ein unscheinbares, neutrales Kuvert, ein billiges Kuvert aus der Kriegszeit. Ein Brief ohne Absender.

Verwundert riß Schwabe den Umschlag auf und entnahm ihm einen Zettel aus braungrauem Wehrmachtspapier. Mit einer alten, verschmutzten und typenverschlissenen Schreibmaschine waren ein paar Sätze geschrieben.

«Sie Narr, glauben Sie, Ihre Frau liebt Sie? Betrogen werden Sie. Sie können nichts dafür, daß Sie kein Gesicht mehr haben, deshalb tun Sie uns leid. Glauben Sie wirklich, dieser Petsch tut alles nur aus purer Kameradschaft? Fragen Sie doch mal Ihre Frau. Einige Nachbarn.«

Erich Schwabe las den Brief ein paarmal, ohne zu atmen. Dann seufzte er und legte sich zurück auf sein Bett im Zimmer 14.

Wie gemein, dachte er. Wie kann man Uschi so verdächtigen.

Aber dann dachte er weiter.

Wer hatte ihn gedrängt, wieder nach Bernegg zu fahren?

Wie kam es, daß gerade in diesen Tagen dieser Brief von Professor Rusch kam? Ein Brief — wie bestellt.

Wie war es bei dem ersten Ausflug mit dem neuen Wagen.»Wir fahren, wohin Uschi will«, hatte Petsch gerufen. Immer hatte er Schokolade mitgebracht. Und als er, Schwabe, damals unverhofft zurückkehrte — wer saß im Keller? Wer trank Cognac? Wer hatte begonnen, eine Wohnung aufzubauen? Wer trat sofort seinen schönen, großen, ausgebauten Keller ab?

Erich Schwabe las den Brief noch einmal.»Fragen Sie doch mal Ihre Frau.«

«Das ist nicht wahr«, sagte Schwabe laut.»Das ist eine Gemeinheit. Das ist nicht wahr!«

Nach dem Mittagessen ging Schwabe hinunter nach Bernegg.»Ich hole mir Briefpapier«, sagte er zu Baumann, den er auf dem Flur traf. Und er scherzte sogar:»Abmelden braucht man sich ja jetzt nicht mehr, was?«

Am Abend war er noch immer nicht zurück. Als Baumann es bei Dr. Mainetti meldete, saß Erich Schwabe bereits im Zug und fuhr durch das verschneite Hessen.

Fragen Sie doch mal Ihre Frau, bohrte es in ihm. Sie können nichts dafür, daß Sie kein Gesicht mehr haben.

Nun wollte er sie fragen.

Was ist mit Karlheinz Petsch?

Von wem — von wem ist das Kind?

Erich Schwabe stöhnte und legte sein zerstörtes Gesicht in beide Hände.

Er war allein. Er saß wieder auf dem Zugklosett, vor der klappernden Milchglasscheibe.

Kapitel 18

Der Zug hielt wieder auf der rechten Rheinseite, im Bahnhof KölnDeutz. Ein eiskalter Wind pfiff den Rhein hinauf und schlug mit seiner nägelgespickten Faust Erich Schwabe ins Gesicht.

Schwabe ging langsam über die von den Amerikanern und Engländern konstruierte Pontonbrücke, blieb in der Mitte des Stroms stehen und starrte in die graubraunen Wellen.

Was soll ich tun, wenn es wahr ist? dachte er. Man könnte vieles tun, gewiß. Man könnte zum Beispiel töten, beide und sich selbst. Aber was nützte es?

Hinter ihm blieb ein englischer Soldat stehen und betrachtete ihn mißtrauisch.

«Ueitergähenn«, sagte er laut.»Los, los!«

Schwabe nickte und tappte weiter über die leicht schwankende Pontonbrücke. Weitergehen — ja, wie soll es weitergehen? Hat es überhaupt einen Sinn, mit einem solchen Gesicht noch zu leben? Wie kann man hoffen, daß andere Menschen es ertragen können, wenn sich die eigene Frau davor erschreckt.

Der Schmerz zuckte wieder von seiner Nase in das Gehirn. Er umklammerte das Geländer der Brücke, beugte sich vor, krümmte sich und drückte das Gesicht gegen das eisige Gestänge.

Hineinfallen, dachte er plötzlich. Einfach in diesen Fluß fallen, den Mund weit aufmachen, schlucken, schlucken und sich wegschwemmen lassen. Und dann war Ruhe, endlich Ruhe.

«Ueitergähenn«, sagte hinter ihm wieder die Stimme des englischen Brückenpostens. Schwabe richtete sich auf und drehte sich um. Es war ein junger Soldat, der seine Militärdienstpflicht im besetzten Germany absolvierte.

«Du hast gut reden, mein Junge«, sagte Schwabe schwach.»Du hast ein nettes, schönes Kindergesicht. Und es wird sicherlich ein Mädchen geben, das dich streichelt und deine Lippen küßt und glücklich ist, wenn es deine Augen sieht. Und was habe ich? Eine Fratze!«

«Nix värstähenn«, sagte der junge Soldat und winkte mit der Maschinenpistole, weiterzugehen.»Go on.«

«Wer könnte das auch verstehen, mein Junge?«Schwabe nestelte in seiner Manteltasche, um eine Zigarette zu suchen. Der Schmerz hatte nachgelassen. Nun mußte er rauchen, eine Kippe oder eine Zigarette, gedreht aus vier gesammelten Kippen. Der junge Soldat grinste breit. Er griff in seinen Uniformmantel und hielt Schwabe eine Packung hin.

«Danke, mein Junge«, sagte Schwabe und zog sich eine der langen, goldgelben Zigaretten heraus. Er zündete sie an und hustete, weil der süßlich-schwere Rauch wie eine Wolke in seine Lunge drang und ihn fast erstickte.»Du ekelst dich nicht vor mir, nicht wahr? Du denkst dir nur: Armer Kerl — haben dir die Visage weggeschossen. Kann mir auch passieren. Stimmt, mein Junge, kann dir auch passieren. Und vielleicht stehst du dann irgendwo auf einer Brücke, vielleicht auf der Tower-Bridge, und starrst in die schmutzige Themse und denkst dir: Jetzt da unten schwimmen als stumme, gefühllose Leiche. Das wäre eine Lösung. Aber du springst nicht — so wenig wie ich. Weil du nämlich glaubst, daß es wirklich weitergeht. Irgendwie. Mach's gut, mein Junge.«

Er klopfte dem verblüfften englischen Soldaten auf die Schulter und tappte auf das linke Rheinufer zu. Der Dom ragte vor ihm auf wie zwei Finger einer Schwurhand, die aus der Erde wächst und gegen den Himmel stößt.

Mit großen Schritten ging Schwabe durch die Trümmerstadt. Aber als er in seine Straße einbog, wurden seine Schritte kürzer und langsamer. Schließlich blieb er zwei Häuser vor seinem Haus stehen und drückte sich in einen dunklen, zerstörten Hauseingang.