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›Für das Herrenhaus?‹, fragte ich, während ich hinging, um zu helfen.

›Ja‹, antwortete er. ›Und Lady Mandible wird ganz schön wütend sein, falls was kaputtgegangen ist.‹

Nach allem, was ich von der Dame gehört und gesehen hatte, war ich neugierig geworden auf den Inhalt der Kiste und zog das zerbrochene Seitenteil vollends weg, um einen Blick hineinzuwerfen. Hätte ich gewusst, was ich darin sehen würde, hätte ich darauf verzichtet.

Auf den ersten Blick konnte ich nur einen Sessel erkennen. Aber ich merkte schnell, dass es kein gewöhnlicher Sessel war.

Es war dieses sonderbare Tier – verarbeitet zu einem Sessel!

Die Armlehnen bestanden aus den Armen des Tieres, seine Hände – denn Pranken waren es nicht – krümmten sich um die Enden. Die Beine des Tieres bildeten die Sesselbeine und seine Füße die Sesselfüße. Die Haut des Tieres spannte sich über die Sitzfläche, die Rückenlehne hinauf und auf der anderen Seite wieder hinab. Das schwarze Fell glänzte und war nach einer Richtung gebürstet. Als ich schließlich sogar den Dolcheinschnitt erkannte, war auch mein letzter Zweifel zerstreut. Vor Schreck und Abscheu konnte ich kaum atmen, und im Stillen dankte ich dem Herrn, dass wenigstens der Kopf nicht dabei war, denn das hätte mein revoltierender Magen nicht mitgemacht. Später erfuhr ich, dass man den Schädel als Trophäe aufgehängt hatte.

Ich werde nie vergessen, wie mich dieses Tier angeblickt hat, als es sterbend auf dem Boden lag. Denn wenn es auch nicht das Gesicht eines Menschen war, so war sein Blick doch auch nicht der eines Tieres, das schwöre ich.«

Zweiter Teil

Das Borstenrückenschwein

Das Borstenrückenschwein hat seinen Namen nach dem rauen schwarzen Borstenkamm, der sich über seinen gesamten Rücken längs der Wirbelsäule hinzieht. Die Legende sagt, dass eines Tages der Teufel aus der Hölle kam und nach einem Schwein zum Braten Ausschau hielt. Er streifte durch die endlosen Eichenwälder, die das Land bedeckten, und als der Abend hereinbrach, stieß er auf ein großes Schwein, das nach Nüssen wühlte. Da er keinen Jagdspeer bei sich hatte, warf der Teufel seine weiß glühende Gabel nach dem Schwein, um es auf diese Weise zu töten. Seine erwählte Beute reagierte nicht schnell genug, und als die Gabel geflogen kam, streifte ein Zinken den Rücken des Schweins und setzte ihn in Brand. Quiekend lief das Schwein zum Fluss und tauchte unter, weil aber das Wasser nicht so tief war, um das Tier vollständig zu bedecken, wurde der oberste Fellstreifen auf dem Rücken versengt.

Als das Haar nachwuchs, war es borstig und schwarz und zog sich vom Nacken des Schweins bis zu seinem Schwanz. So ist es seitdem geblieben.

Das Borstenrückenschwein ist ausschließlich in den alten Eichenwäldern an der Südostseite der Moira-Berge zu finden. Diese wilden Tiere schließen lebenslange Partnerschaften und gehen sehr fürsorglich miteinander um. Das Schwein ernährt sich im Spätsommer und Herbst von Eicheln und ergänzt diese Nahrung im Winter mit dem unter der Erde gedeihenden Pilz Stipitis longi, den es mit seiner speziell zum Wühlen geformten Nase aufspüren kann.

Beachtenswert ist, dass das Schwein nur die harmlosen Pilzköpfe frisst, die tödlich giftigen Stiele jedoch in der Erde stecken lässt.

Aus Mythen und Folklore, Flora und Fauna

des alten Eichenwalds

Verschiedene Autoren, ca. 1652

Kapitel 14

Aus einem

Brief an Polly

Withypitts Hall

Liebe Polly,

wenn ich meine täglichen Streifzüge durch die labyrinthischen Gänge von Withypitts Hall mache, weht mich von überall her der überwältigende Geruch nach Geld an. Der Überfluss, in dem ich hier lebe, übertrifft bei Weitem alles, was ich in Urbs Umida gekannt habe – man muss es gesehen haben, um es glauben zu können.

Ich habe ständig Gewissensbisse, weil ich aus dem Waisenhaus weg bin, ohne mich von Dir oder den andern zu verabschieden. Aber mich hat meine Wut getrieben. Ich weiß nicht, ob Du diese Briefe je lesen wirst. Ich adressiere sie an Dich, aber in gewissem Sinne schreibe ich sie für mich selbst. Es hilft mir, wenn ich diese Zeilen schwarz auf weiß vor mir sehe. Es ist mein Bericht, und wenn ich einmal auf all das zurückblicke, werde ich wissen, was ich damals empfunden habe und was mich gedrängt hat.

Bevor Papa starb, hat er mir davon abgeraten, Rache zu üben. Ich weiß, dass Du das genauso tun würdest, wenn Du könntest. Das war schon damals, in jener Nacht in der Küche, Dein Rat gewesen. Aber ich kann dem nicht zustimmen. Baron Bovrik de Vandolin ist ein Monster, egal, in welcher Verkleidung und unter welchem Namen er auftritt. Wenn er auch nicht mit eigener Hand Papa den tödlichen Schlag versetzt hat, so werde ich ihn trotzdem immer für den Tod meines Vaters verantwortlich machen. Wie viele Leute werden für geringfügigere Verbrechen gehängt.

Aber genug davon! Es gibt anderes zu erzählen.

Als die Kutsche repariert war, war es schon spät, und so beschloss Solomon, in Pagus Parvus zu übernachten und früh am nächsten Tag weiterzufahren.

Die alte Frau mit dem Zwinkertick, Perigoe hieß sie, sah mich an. »Wenn du morgen nach Withypitts fährst«, sagte sie, »bitte ich dich um einen Gefallen. Ich bin nämlich Buchhändlerin und habe Bücher da liegen, die für Lady Mandible bestellt wurden. Aber seit der junge Sourdough, mein Botenjunge, Oscars Geschichte gehört hat, weigert er sich strikt, noch einmal seinen Fuß in dieses Haus zu setzen.«

Ich sagte bereitwillig zu und als Gegenleistung bot sie mir ein Zimmer für die Nacht an.

Trotz meines Wagemuts und meiner Entschlossenheit muss ich zugeben, dass auch mich Oscars Geschichte verunsichert hatte, und so war ich über den Aufschub unserer Fahrt nicht unglücklich. Ich folgte Perigoe hinaus auf die Straße. Ihr Buchladen war nicht weit, und ich war froh, wieder ins Warme zu kommen. Doch als ich die Tür hinter mir schloss, war mir, als hätte ich auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine Bewegung gesehen. Beobachtete mich jemand?

»Was ist?«, fragte Perigoe.

Ich sah noch einmal hinüber, aber da war nichts. »Nur ein Schatten«, sagte ich, aber sicher war ich mir nicht.

Perigoes Gastfreundschaft war erstklassig, und hätten mich nicht meine Träume mit den Bildern dieses Tieres aus Oscars Geschichte geplagt, ich hätte eine sehr angenehme Nacht in ihrem Dachzimmer verbracht.

Das Glück war gegen mich. Den ganzen nächsten Tag herrschte ein schrecklicher Sturm. Solomon schickte mir aus der Blauen Forelle, wo er übernachtet hatte, eine Nachricht, dass wir erst aufbrechen würden, sobald der Sturm nachließe. Der heulende Wind und der peitschende Regen setzten dem Ort bis zum späten Nachmittag zu. Es war deprimierend, aber Perigoe kümmerte sich um mich. Und ich nahm die Gelegenheit wahr, in ihren Büchern zu stöbern. In einem Regal sah ich viele der Bücher, die auch ich früher in meiner Bibliothek besessen hatte. Zweifellos waren inzwischen alle verkauft – dank Badlesmire und seines grobknochigen Partners –, und das machte mich traurig. Meine Stimmung hob sich jedoch, als ich einen schmalen Gedichtband von Beag Hickory entdeckte. Auch ein anderes Buch fiel mir ins Auge: Mythen und Folklore, Flora und Fauna des alten Eichenwalds. Ich kaufte es und Perigoe ließ es mir freundlicherweise für einen ermäßigten Preis. Irgendwie hatte ich das Gefühl, ich könnte es vielleicht gut gebrauchen.