Kapitel 17
In besseren Kreisen
Baron Bovrik de Vandolin legte die Zeitung von vor ein paar Tagen auf das Schränkchen, in dem er seinen Nachttopf aufbewahrte (ein nötiges Übel in den Turmzimmern, da das neu installierte Wasserklosett von hier aus zu abgelegen war). Er warf einen Blick über sein Frühstückstablett, auf dem ein üppiges Mahl aus pochierten Gänseeiern und Schinkenscheiben vom Borstenrückenschwein bereitstand – was für eine Delikatesse! Dieses Fleisch konnte süchtig machen, es war saftiger, aromatischer und geschmackvoller als jedes andere. Hatte man einmal von diesem Schinken gekostet, kam man schnell zu der Einsicht, dass kein anderer je an den des Borstenrückens heranreichen konnte. Für Bovrik hatte es immer einen bittersüßen Geschmack. Er liebte und hasste das Borstenrückenschwein, weil ihn jeder einzelne köstliche Bissen daran erinnerte, was er erreicht hatte und woher er in Wahrheit kam …
Alles längst vorbei, dachte er schaudernd vor Erleichterung und tunkte den Bratensaft mit Brot auf. Wieder wanderte sein Auge zu der Skizze auf der aufgeschlagenen Zeitungsseite. Doch, doch, er kam darauf ganz gut zur Geltung und auch Lady Mandible war gut getroffen.
Bovrik sah sich um und konnte immer noch nicht fassen, wie positiv sich alles für ihn entwickelt hatte. Er bewohnte den höchsten und geräumigsten der sechs Türme von Withypitts Hall, pompös und extravagant eingerichtet, ganz so, wie er selbst es getan hätte. Der Prunk der Umgebung schien die Luft geradezu dicker zu machen. Sein Bett, ein ausladendes Himmelbett, war eigens an die Krümmung der Mauern angepasst, und er selbst saß unter einer mit Goldfäden bestickten Samtdecke, die seitlich herabfiel und deren Fransensaum in weichen Wellen auf dem Boden auflag. Pralle orangefarbene Polster umgaben ihn, und eine mit Quasten verzierte Nackenrolle aus kurzhaarigem Pelz, die über die ganze Bettbreite reichte, diente ihm als Rückenlehne. Auch die Vorhänge waren aus Samt, scharlachrot mit goldenen Fransen und dicken Goldkordeln, die an Schiffstaue erinnerten. Die Holzböden – zumindest die Teile, die frei lagen – glänzten fast wie Spiegeclass="underline" das Ergebnis stundenlangen Bohnerns. Der übrige Boden war mit Teppichen aus weichem Bärenfell ausgelegt. Manchmal warf sich Bovrik auf eines dieser Felle und wälzte sich in ihrer herrlichen anschmiegsamen Schönheit. Oder er saß in seinem Lehnsessel zwischen den Federkissen, hüllte sich in seinen Umhang und strich mit dem Fransenrand aus kostspieliger Jocastarwolle über sein Gesicht.
All das natürlich bei verschlossener Tür.
Seit seiner letzten Metamorphose hatte sich sein Leben in so unvorstellbarer Weise zum Guten gewendet, dass er sich täglich zum Erfolg seiner neuesten Betrügerei gratulierte. Dabei war sein Plan denkbar einfach gewesen: sich in der Verkleidung eines exotisch anmutenden Fremden (die Nordstädter von Urbs Umida liebten das Exotische) Zutritt zu den wohlhabenden Kreisen der Stadt verschaffen und das glanzvolle Leben führen, um das er sie so lange beneidet hatte. Er würde schon Mittel und Wege finden, seine Nächsten um ihre Wertgegenstände zu erleichtern, große und kleine, und Badlesmire und Leavelund würden sie ihm nach der vertraglichen Vereinbarung, die sie im Flinken Finger getroffen hatten, abkaufen. So würde er immer etwas in der Tasche haben. Wer weiß, vielleicht könnte er sogar die eine oder andere reiche alte Dame dazu bringen, ihn in ihrem Testament zu bedenken, vielleicht gar eine von ihnen überreden, ihn zu heiraten …
Was war das aber auch für ein großartiger Start gewesen! Mit seiner neuen Garderobe, dem geheimnisvollen Akzent und seinem unerschöpflichen Charme – nicht zu reden von seiner allmählich größer werdenden Glasaugensammlung – war er mit offenen Armen in der Gesellschaft aufgenommen worden. Wie auch Hector nur zu gut wusste, war die Nordstadt ein Ort, wo Menschen hauptsächlich nach ihrem Äußeren beurteilt wurden. Besonders die Damen hatten an ihm, dem Baron, Gefallen gefunden, und er war in die besten Salons eingeladen worden. Wenn er auch mit leeren Taschen dort eintraf, so verließ er das jeweilige Haus doch jedes Mal mit einem Andenken – einem Ring, einem Figürchen, einem Besteckteil –, nur kleine Dinge natürlich, die eine Zeit lang nicht vermisst werden würden. Manchmal war es tatsächlich so, dass er, wäre er zufällig geschüttelt worden, wie ein Weihnachtsglöckchen geklimpert hätte.
Letztendlich aber hatte ihn erst die Begegnung mit Lady Mandible auf einen schicksalhaften und noch einträglicheren Kurs gebracht.
Lady Lysandra Mandible war sehr bekannt in Urbs Umida. Ihr Reichtum, den man zu Recht für bedeutend hielt, war durch eine Folge von Ehen mit wohlhabenden, wesentlich älteren Männern schnell angewachsen. Sie war gerade zu der Zeit in die Stadt gekommen, als der alte Lord Mandible – der sich der Unzulänglichkeiten seines Sohnes schmerzlich bewusst war – auf der Suche nach einer Frau für ihn war, um den Fortbestand der Familie zu sichern. Lysandra entsprach Mandibles Zwecken durchaus, was umgekehrt auch für sie galt, und so heiratete sie den jungen Lord Mandible, während Bovrik noch als Gulliver Truepin Haarwuchsmittel verkaufte.
Es war der jährliche Spätsommerball der Nordstadt, auf dem Bovrik Lady Lysandra vorgestellt wurde. Sie hatte viel von dem charmanten und beliebten Fremden gehört und fand, es könnte praktisch und zugleich unterhaltsam sein, ihn als Helfer bei den Vorbereitungen für das Mittwinterfest zu engagieren. Zudem wusste sie natürlich, wie sich die Damen der Gesellschaft ärgern würden, wenn sie, Lady Mandible, den bezaubernden Baron für sich allein hätte. Bovrik, der aus völlig anderen Gründen ebenso glücklich über diese Fügung war, nahm die Stelle an und verlor keine Zeit, sich auf Withypitts Hall einzurichten.
»Ah«, seufzte er wohlig und strich mit der Hand über das gestärkte Leintuch. »Das ist doch das wahre Leben!« Ganz sicher war dies der amüsanteste und lukrativste Schwindel, den er je in die Tat umgesetzt hatte. Und indem er immer wieder etwas von Lady Mandibles Nippeskram mitgehen ließ, hatte er die Summe, die er hatte investieren müssen, um hierher zu gelangen, bereits wieder hereingebracht – und zwar mit Stil und in aller Bequemlichkeit. Selbst wenn er nur bis zum Fest bliebe, würde er seinen Reichtum bedeutend vermehrt haben.
Mit selbstzufriedenem Lächeln nahm er ein rechteckiges, mit Intarsien verziertes Kästchen vom Nachttisch und öffnete es. Es war mit rotem Samt ausgeschlagen und wies sieben Vertiefungen im Boden auf, vier davon mit je einem Glasauge bestückt. Sie lagen nebeneinander, alle mit dem gleichen starren Ausdruck. Auf den ersten Blick schienen sie identisch: ein Glaskörper von gebrochenem Weiß mit schwarz glänzender Pupille und blassblauer Iris. Bei näherem Hinsehen ließ sich dagegen erkennen, dass in jeder Pupille ein Edelstein funkelte und dass es lauter unterschiedliche Steine waren: ein Rubin, ein Opal, eine Perle und als neuester ein Smaragd.
Hmm, dachte er und ließ das Kästchen zuschnappen, noch drei, dann habe ich eins für jeden Tag der Woche.
Er seufzte tief. Gegen seinen Herzenswunsch hatte er beschlossen zu verschwinden, sobald er sein letztes Glasauge hätte – was hoffentlich bis zum Fest der Fall sein würde. Die jahrelange Laufbahn als Betrüger hatte ihn gelehrt, sein Glück nie zu lange an einem Ort herauszufordern, und auf die Einhaltung dieser selbst verordneten Regel war er stolz. Er verzog unwillig das Gesicht. Der Gedanke, sich von einer so bequemen Einnahmequelle trennen zu müssen, fiel ihm schwer, und in letzter Zeit hatte er sich tatsächlich bei Überlegungen ertappt, wie er seinen Abgang, wider besseres Wissen, vielleicht doch hinausschieben könnte. Lady Mandible – in mancher Hinsicht so verwandt im Geiste – schien seine Gesellschaft sichtlich zu genießen. Seine Vorschläge für das Fest gefielen ihr (von ihm stammte die Idee mit Trimalchio), und mit seinen leicht anstößigen Verbindungen, die er über die Jahre hin geknüpft hatte, konnte er ihr sogar bei ihren ausgefalleneren Plänen behilflich sein, was Dekoration und Unterhaltung anging. Auch von dem sogenannten Schmetterlingsjungen war sie anscheinend entzückt. Das war ein Glückstreffer gewesen. Bis zu seiner Begegnung mit Hector hatte Bovrik nämlich keine Ahnung gehabt, wo er im Winter Hunderte von Schmetterlingen auftreiben sollte.