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Gereizt scheuchte Lady Mandible ihre Mädchen aus dem Zimmer und ging in ihr Schlafgemach. Sie streckte sich auf dem Bett aus, starrte auf den silbrig schimmernden Seidenhimmel über ihr, und während sie über die Frage des Barons nachdachte, verzogen sich ihre Lippen zu einem leichten Lächeln.

Sie musste tief seufzen bei ihren Überlegungen.

Er war ohne Frage ein charmanter Mann, schlagfertig und gut aussehend, wenn auch mit einem etwas kantigen Profil – aber konnte man ihm trauen? Lady Mandible war zu dem Entschluss gekommen, dass ihm nicht zu trauen war. Sie bedauerte nicht etwa, ihn engagiert zu haben – er war ihr sehr nützlich gewesen –, außerdem amüsierte sie sein ulkiges Gehabe mit seinen Glasaugen und der knallbunten Garderobe. Doch nun neigte sich Bovriks Lebensdauer dem Ende zu. Seine übereifrige Art und seine aufopfernde Hingabe konnten nicht länger wettmachen, dass er ihr inzwischen ausgesprochen unangenehm war. Ständig hing er an ihrer Seite, fortwährend pflichtete er ihr bei, streichelte die Samtvorhänge, fuhr mit der Hand über die Teppiche und verströmte dabei überall seinen widerlichen Zitronengeruch. Sie hatte es satt. Und dann dieser Blick in seinem gesunden Auge, wenn sie ihm etwas abschlug – wie ein Hündchen, das man geschlagen hatte. Igitt! Sie konnte es nicht ertragen. Es machte ihn zu einem Waschlappen. Der Gedanke ließ sie schaudern. Nie wäre sie dort, wo sie heute war, wenn sie sich je so schwach gezeigt hätte. Und, noch schlimmer, er bestahl sie! Glaubte er denn wirklich, sie würde nichts bemerken? Gerulphus hatte jeden einzelnen Gegenstand notiert.

Nein, es war keine Frage, Bovrik würde verschwinden müssen, und er würde zahlen für seinen Verrat. Aber alles zu seiner Zeit und auf keinen Fall vor dem Fest. Nichts durfte das Fest verderben. Bis dahin war er ihr vielleicht noch nützlich, er las ihr schließlich jeden Wunsch von den Augen ab, wenn es um ihre besonderen … Vorlieben ging. Bei dem Gedanken an das Fest musste Lysandra lächeln. Es war ihr erstes als Herrin von Withypitts, und sie würde es zu einem Fest machen, das man nicht vergaß. Sie konnte nicht leugnen, dass Bovriks Vorschlag einer Neuinszenierung von Trimalchios Festgelage ein Geniestreich war. Doch der Höhepunkt, die Sache mit den Schmetterlingen, war ihre Idee, allein ihre. Niemand würde vor dem Fest erfahren, was es damit auf sich hatte!

Geistesabwesend streckte sie die Hand aus und griff nach der letzten Ausgabe des Nordstadt-Journals, die an diesem Morgen gekommen war. Eine Schlagzeile fiel ihr ins Auge: »Attraktiver Thronerbe aus dem Osten trifft unter großem Jubel in Urbs Umida ein«. Wie interessant! Sie musste unbedingt bald wieder einmal in die Stadt, um zu sehen, was diese Aufregung zu bedeuten hatte. In diesem Augenblick sagte ihr das Bimmeln einer Glocke, dass im Nebenzimmer Gerulphus mit ihrem Essen eingetreten war.

»Einer Person kann ich trauen – im Großen und Ganzen«, sagte sie laut. »Im Großen und Ganzen« deshalb, weil Lady Mandible jeden Menschen so streng beurteilte wie sich selbst, und sich selbst traute sie am allerwenigsten.

Kapitel 22

Eine reizvolle Bitte

Es war früher Abend. Hector saß in seinem kahlen Zimmer und war mit Mörser und Stößel beschäftigt. Seit dem widerwärtigen Anblick der Blutegel waren erst wenige Tage vergangen. Auch wenn ihm die Sache nicht aus dem Kopf ging und er sie wohl nie verstehen würde, so würde er sich deshalb auf keinen Fall von seinem eigentlichen Vorhaben abbringen lassen. Das schuldete er seinem Vater.

Nun, wo das Fest unmittelbar bevorstand, hing eine Atmosphäre tiefer Erregung und Vorfreude in jedem Raum und jedem Gang, was Hectors eigene Ungewissheit nur noch steigerte.

Hector sah hinaus in die Dunkelheit und stellte überrascht fest, dass im Gebäude gegenüber ein Licht flackerte.

Das muss in dem anderen Turm sein, dachte er, aber der steht doch leer …

»Master Hector?«

Die Stimme kam vom Treppenabsatz direkt vor seinem Zimmer, doch Hector wusste sofort, wer es war. Es gab nur einen einzigen Menschen in Withypitts Hall, der die steinerne Treppe zu seinem Zimmer so lautlos heraufkam: der unergründliche Gerulphus.

»Herein«, rief Hector, und schon erschien der knochendürre Diener in der Tür. Das Kerzenlicht schien die Schatten unter seinen Augen und seine eingefallenen Wangen zu vertiefen. Wer weiß, hätte Hector ihn nicht gekannt, hätte er ihn wahrscheinlich für einen Geist gehalten.

»Lady Mandible wünscht dich zu sehen.« Gerulphus warf einen Blick auf den Mörser. »Für die Schmetterlinge?«

»Äh … ja«, sagte Hector und deckte ein Tuch darüber.

»Macht es Flecken? Ich sehe, du trägst Handschuhe.«

»Ja, es färbt«, sagte Hector, streifte die Handschuhe ab und ließ sie mit der Innenseite nach außen liegen. Er band seine Ärmelumschläge, die er vorhin geöffnet hatte, zu und strich sich mit den Fingern durch das Haar. Dann verließ er das Zimmer und sperrte die Tür ab.

Gerulphus schritt zügig voran. Wie gewöhnlich verursachte er kein Geräusch, Hector dagegen war sich sehr bewusst, wie laut seine eigenen Lederabsätze über den schwarz-weißen Marmorboden der Eingangshalle klackerten. Endlich blieb Gerulphus vor einer wuchtigen Flügeltür aus Ebenholz stehen, die zu Lady Mandibles Suite führte, und bedeutete Hector, draußen zu warten. Kaum hatte sich die Tür ganz geschlossen, legte Hector ein Ohr gegen das glänzende Holz. Er konnte aber kein Wort verstehen und wurde auch noch beim Lauschen ertappt, als Gerulphus die Tür plötzlich wieder öffnete. Der Diener führte ihn ins Zimmer.

Hector fand sich in einem düsteren großen Raum mit hoher Decke und wartete einen Moment, bis seine Augen sich an das Halbdunkel gewöhnt hatten. An den Wänden ringsum standen Bücherregale und dazwischen in gewölbten Nischen schwarze Marmorstatuen unterschiedlichster Gestalten, von dicken Kobolden, die mit gekreuzten Beinen dasaßen, bis zu Büsten alter Griechen. Das einzige Licht kam von etlichen polierten mehrarmigen Leuchtern auf der anderen Seite des Raums.

»Hector?«

Lady Mandible stand am Kamin. Diesmal war sie von Kopf bis Fuß in purpurroten Samt gekleidet, und auf ihr Haar hatte sie so viel Puder aufgetragen, dass es weiß schimmerte. Große Juwelen an ihrem Hals, an Handgelenken und Fingerringen funkelten im Feuerschein. Mit ihren lackierten Krallen winkte sie Hector heran.

Sein Fuß versank bei jedem Schritt im tiefen Flor des Teppichs. Inzwischen hatte er sich dem Kamin so weit genähert, dass er schon die Hitze des Feuers spürte, da sah er etwas, das ihn wie angewurzelt stehen bleiben ließ.

Es verschlug ihm den Atem und er brachte weiter nichts über die Lippen als ein gehauchtes »Oh!«. Denn was er dort an der Wand über dem Kaminsims sah, war die gesamte Schmetterlingssammlung seines Vaters!

»Wie um alles in der Welt …«, flüsterte er und fuhr instinktiv mit der Hand zu dem Kokon, den er stets um den Hals trug.

»Wunderschön, nicht wahr?«, sagte Lady Mandible mit einer Stimme, weich wie Seide. Als sie Hector ihre Hand auf die Schulter legte, meinte er ihre Kälte sogar durch Weste und Hemd zu spüren.

»Ich glaube, die Sammlung gehörte einem Gentleman, der in Schwierigkeiten geraten ist«, fuhr sie fort. »Bovrik hat sie in der Stadt für mich aufgetrieben. Und kaum hatte er mir davon erzählt, kam mir eine Idee, wie ich das Mittwinterfest in diesem Jahr zu etwas ganz Besonderem machen könnte.«

Hector dachte an die Kiste, die Bovrik in der Kanzlei Badlesmire und Leavelund abgeholt hatte. Was für eine Wendung des Schicksals, dachte er. Er konnte kaum glauben, dass es nicht nur irgendwelche Schmetterlinge waren – das geliebte Hobby seines Vaters –, die ihn hierher gebracht und ihm die Ausarbeitung seines Racheplans überhaupt erst ermöglicht hatten, sondern dass es sogar Vaters ureigenste Schmetterlingssammlung war. Wenn das nichts zu bedeuten hatte!