»So«, flüsterte er, »jetzt haltet schön still.«
Kurz darauf begann Hector, die großen, leuchtend bunten Schmetterlinge rasch in Kartons umzusetzen, damit Lady Mandible sie rechtzeitig vor dem Fest begutachten konnte. In dem warmen, stickigen Raum trieb ihm die Anstrengung schon bald den Schweiß aus allen Poren – wahrscheinlich mehr noch aber die Angst. Der Augenblick der Wahrheit rückte näher.
Nachdem die Insekten sich an dem Sirup gütlich getan hatten, waren sie langsam und schwerfällig und ließen sich leicht einfangen. Es dauerte nicht lange und Hector lud die Kartons einen nach dem anderen auf einen niedrigen Servierwagen. Gerade hob er den letzten auf den Wagen, da klopfte es an der Tür. Als er öffnete, stand Gerulphus draußen, um ihn zu Bovrik und Lady Mandible zu bringen. Zum letzten Mal, hoffte Hector.
Bovrik wartete bereits vor Lady Mandibles Gemächern und ging – mit einer seiner schlichteren Augenklappen ausstaffiert – vor der wuchtigen Flügeltür auf und ab. Als er Hector sah, runzelte er die Stirn. »Äändlich«, sagte er, hob einen der Schmetterlingskartons an, blickte kurz hinein und bedeutete Hector, ihm zu folgen.
Lady Mandible wartete in ihrem Zimmer auf sie, gepudert, geschminkt, das Haar nach der Mode der Zeit frisiert, wenn auch ganz besonders hoch aufgetürmt. Sie trug ein erstaunlich schmuckloses Kleid. Hector vermutete, dass sie sich noch nicht für das Fest angekleidet hatte.
»Eure Schmetterlinge«, sagte Bovrik und reichte ihr mit großer Geste einen der Kartons. »Das Schlöpfen ist sähr erfolgreich verlaufen, wenn ich das so sagen darf.«
Lady Mandible schlug die Klappen des Kartons ein wenig zurück und wäre beinahe aufgesprungen vor Freude.
»Oh, sie sind vollkommen!«, sagte sie und ein böses Lächeln huschte über ihr Gesicht. »So riesengroß, so prächtige Farben!« Sie sah ausdrücklich zu Hector hin. »Du hast hervorragende Arbeit geleistet!«
Hector lächelte wachsam. Er würde sich nicht noch einmal in etwas hineinziehen lassen. Der Baron dagegen legte die Stirn in Falten, machte einen Schritt auf Ihre Ladyship zu und lächelte angestrengt.
»Wonach riecht es denn hier?«, fragte Lysandra.
Bovrik strahlte. »Mein Parföm«, erklärte er. »Där Duftstoff der Pflanze Lippia citriodora. Ich habe mich für heute Abend extra stark parfömiert.« Ermutigt von ihrem Interesse an seiner Person, fuhr er fort: »Wollt Ihr mir jetzt nicht sagen, Euer Ladyship, was Ihr bei dem Fest mit den Schmetterlingen vorhabt? Und habe ich eigentlich schon erwähnt, dass auch ich eine Öberraschung habe? Eine Öberraschung, von der ich zu hoffen wage, dass sie Eure Zostimmung finden wird …«
Lysandra hörte kaum hin. Zu sehr war sie damit beschäftigt, unter leisen kosenden Lauten die Schmetterlinge in ihrem Karton zu betrachten.
Kapitel 29
Das Festmahl beginnt
Den ganzen Tag über fuhren Kolonnen von Kutschen den Felsenhügel nach Withypitts Hall hinauf. Sie beförderten die Angehörigen der selbst ernannten Elite von Urbs Umida, manch einer stand höher in der gesellschaftlichen Hierarchie als der andere, doch alle waren mit reichlich Geld oder Landbesitz ausgestattet.
Erstaunlicherweise – oder vielleicht auch wieder nicht, da Unzufriedenheit nun mal der Fluch der gut Situierten ist – ertönten aus diesen Kutschen zahlreiche Beschwerden: über den Zustand der Straße, die weite Anreise, das Wetter und dergleichen mehr. Und dann waren da natürlich die ständig geäußerten Sorgen, man könnte bei der Sitzordnung eventuell benachteiligt werden oder eine bestimmte Person könnte anwesend oder nicht anwesend sein.
Vor den Toren von Withypitts Hall standen Wächter, prachtvoll anzusehen in ihren Uniformen in den Farben der Mandibles, einem eher grellen Gelb und einem leuchtenden Grün. Die mit Blattgold geränderten Einladungskarten wurden vorgezeigt, und nach sorgfältiger Prüfung – Fälschungen waren durchaus nichts Unbekanntes – wurden die Gäste durchgewunken.
Beim Aussteigen warfen die Damen verstohlene Blicke hinter ihren Fächern hervor auf die Festkleidung von Bekannten aus den nächsten vorfahrenden Kutschen und konstatierten, dass sie selbst besser gekleidet seien. Sie wussten allerdings, dass keine von ihnen hoffen durfte, Lady Mandible zu übertrumpfen. Allein der Versuch wäre unverzeihlich gewesen! Was die Männer betraf, so waren sie nicht weniger eitel. Sie beherrschten bis zur Vollendung die Kunst, die Kleidung eines anderen sofort und mit einem einzigen raschen Augenaufschlag zu beurteilen (begonnen wurde dabei stets mit den Schuhen). Die Männer standen in Konkurrenz zu Baron Bovrik de Vandolin.
Um Punkt sieben Uhr saßen alle an der großen Tafel, nur die Gastgeber fehlten noch. Aber was machte das schon! Der honigsüße Wein floss bereits üppig, und als die Uhr halb acht schlug, waren die Zungen gelöst, die Augen glänzten, hier und da ertönte schrilles Gelächter, und von Tischmanieren war nicht mehr viel zu bemerken. »Aaaah« und »Oooh« wurde gerufen, während man das Herrenhaus und die anderen Gäste bewunderte. Der Tisch, der gefährlich überladen war, ächzte unter der Last der Speisen, der silbernen Schalen und überreichlich aufgelegten Bestecke. Überreichlich deshalb, weil, je öfter die Gläser erhoben wurden, man sich umso weniger mit Messer und Gabel aufhielt und stattdessen die Finger zum Essen bevorzugte.
Die Feiernden, jeder einzelne von ihnen, aßen, als gäbe es kein Morgen. Was für ein Festmahl! Was für ein Bursche, dieser Trimalchio! Kaum war ein Krug Wein oder eine Platte mit Speisen herangeschafft, war beides geleert, und man forderte Nachschub. Über die ganze Länge der Tafel sah man offene Münder und fettglänzende bekleckerte Kinne, und die geplagten Diener wurden hier am Ärmel gefasst und dort an der Weste gezerrt, bis ihnen die Kleidung sozusagen in Fetzen am Leibe hing.
Hector hielt sich zurück und beobachtete die Szene als Außenstehender. Er konnte es sich nicht verkneifen, das Ergebnis so vieler Vorbereitungen zu betrachten, bevor er Withypitts Hall für immer verlassen würde. Und dann war da natürlich die Sache mit seinen Schmetterlingen. Er beobachtete die Gäste beim Essen, Hand zum Teller zum Mund, Hand zum Teller zum Mund, eine endlose Wiederholung. Haselmausschwänzchen hingen von ihren Lippen herab (anscheinend eine besondere Köstlichkeit); ganze Sperlinge verschwanden in den aufgerissenen Mündern, Pflaumen und Kirschen wurden in Mengen hinterhergeschoben, bis der Saft in alle Richtungen spritzte. Das war kein Hunger, das war die reine Gefräßigkeit.
Hector mochte nicht länger zuschauen. Als er sich abwandte, entdeckte er Bovrik, der sich am Ende der Tafel herumdrückte und aussah, als fühle er sich ausgesprochen unwohl. Wie erwartet, fiel er in seiner Aufmachung sofort ins Auge, er war in Mitternachtsblau mit Apricot- und Violetttönen erschienen. Hector wunderte sich nur, dass er eine Augenklappe trug. Er hatte gedacht, an einem Abend wie diesem würde er eines seiner glitzernden Glasaugen vorführen. Sein Händeringen und ständiges Gezupfe an den Ärmelaufschlägen machten Hector selber ganz nervös und so entschied er sich für das kleinere der beiden Übel und schaute wieder auf die lange Tafel.
Unten in der Küche, die inzwischen an eine dampfende Hölle denken ließ, schuftete Mrs Malherbe mit ihrer Truppe. Alle Augenblicke kam ein Diener im Eilschritt herein und verlangte mehr Essen, mehr Getränke, mehr von allem. Man konnte sich kaum rühren zwischen den Bergen von Speisen – toten und lebenden –, die auf jeder freien Fläche aufgebaut waren. Und all die zusätzlich umherrennenden Helfer! Und der Lärm! Befehle, oft genug widersprüchliche, wurden gebrüllt, Töpfe und Pfannen schepperten, Essen schwappte über, und ordinäre Sprüche schwirrten durch die Luft.
»Adelige nennen die sich«, brummte Mrs Malherbe und bearbeitete den Teig für die nächste Pastete. »Wie die Tiere sind sie. Und was haben sie zu dem heutigen Abend beigetragen? Nichts! Aber die ganz gewöhnlichen Leute, die Bauern und Jäger und Schäfer, die für all das Essen hier gesorgt haben, wo sind sie, frage ich euch?«