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Man zog in den Wald und suchte dort eine große rundliche Lichtung auf, sie hatte Knecht selbst zum Ort der Handlung bestimmt. Die meisten Männer hatten ihre Steinäxte mit, um an dem Holzstoß für die Verbrennung mitzuarbeiten. In der Lichtung angekommen, ließ man den Regenmacher in der Mitte stehen und bildete einen kleinen Kreis um ihn, weiter außen im größeren Kreis stand die Menge. Da alle ein unentschlossenes und verlegenes Schweigen bewahrten, ergriff der Regenmacher selbst das Wort. »Ich bin euer Regenmacher gewesen,« sagte er, »ich habe meine Sache viele Jahre lang so gut gemacht, als ich konnte. Jetzt sind die Dämonen gegen mich, es will mir nichts mehr glücken. Darum habe ich mich zum Opfer gestellt. Das versöhnt die Dämonen. Mein Sohn Turu wird euer neuer Regenmacher sein. Nun tötet mich, und wenn ich tot bin, dann folget genau den Vorschriften meines Sohnes. Lebet wohl! Und wer wird mich töten? Ich empfehle den Trommler Maro, er wird der geeignete Mann dafür sein.«

Er schwieg, und niemand rührte sich. Turu, dunkelrot unter der schweren Fellmütze, blickte gequält im Kreise herum, spöttisch verzog sich seines Vaters Mund. Endlich stampfte die Ahnmutter wütend mit dem Fuße auf, winkte Maro her und schrie ihn an: »Vorwärts doch! Nimm die Axt und tu es!« Maro, die Axt in Händen, stellte sich vor seinem einstigen Lehrmeister auf, er haßte ihn noch mehr als sonst, der Zug von Spott auf diesem schweigsamen alten Mund tat ihm bitter weh. Er hob die Axt und schwang sie über sich, zielend hielt er sie oben schwebend, starrte dem Opfer ins Gesicht und wartete, daß es die Augen schlösse. Allein dies tat Knecht nicht, er hielt die Augen unentwegt offen und blickte den Mann mit der Axt an, beinah ohne Ausdruck, aber was an Ausdruck zu sehen war, schwebte zwischen Mitleid und Spott.

Wütend warf Maro die Axt weg. »Ich tue es nicht,« murmelte er, drang durch den Kreis der Ehrwürdigen und verlor sich in der Menge. Einige lachten leise. Die Ahnmutter war bleich vor Zorn geworden, über den feigen, unbrauchbaren Maro nicht weniger als über diesen hochmütigen Regenmacher. Sie winkte einem der Ältesten, einem ehrwürdigen, stillen Mann, der auf seine Axt gestützt stand und sich dieser ganzen unbehaglichen Szene zu schämen schien. Er trat vor, er nickte dem Opfer kurz und freundlich zu, sie kannten sich seit Knabenzeiten, und jetzt schloß das Opfer willig seine Augen, fest tat Knecht sie zu und senkte den Kopf ein wenig. Der Alte schlug ihn mit der Axt, er sank zusammen. Turu, der neue Regenmacher, konnte kein Wort sprechen, nur mit Gebärden ordnete er das Notwendige an, und bald war ein Holzstoß geschichtet und der Tote darauf niedergelegt. Das feierliche Ritual des Feuerbohrens mit den beiden geweihten Hölzern war Turus erste Amtshandlung.

Der Beichtvater

Es war um die Zeit, da der heilige Hilarion noch am Leben, wenn auch schon hoch in den Jahren war, da lebte in der Stadt Gaza einer namens Josephus Famulus, der hatte bis zu seinem dreißigsten Jahr oder länger ein Weltleben geführt und die heidnischen Bücher studiert, war alsdann durch eine Frau, welcher er nachstellte, mit der göttlichen Lehre und der Süßigkeit der christlichen Tugenden bekannt geworden, hatte sich der heiligen Taufe unterzogen, seine Sünden abgeschworen und mehrere Jahre zu den Füßen der Presbyter seiner Stadt gesessen und namentlich den so sehr beliebten Erzählungen vom Leben der frommen Einsiedler in der Wüste mit brennender Neugier gelauscht, bis er eines Tages, etwa sechsunddreißig Jahre alt, jenen Weg einschlug, den die Heiligen Paulus und Antonius vorangegangen und den seither so manche Fromme eingeschlagen hatten. Er übergab den Rest seiner Habe den Ältesten, um ihn an die Armen der Gemeinde zu verteilen, nahm beim Tore von seinen Freunden Abschied und wanderte aus der Stadt in die Wüste, aus der schnöden Welt in das arme Leben der Büßer hinüber.

Viele Jahre sengte und dörrte ihn die Sonne, rieb er betend die Knie auf Fels und Sand, wartete er fastend den Untergang der Sonne ab, um seine paar Datteln zu kauen; quälten ihn die Teufel mit Anfechtung, Hohn und Versuchung, schlug er sie nieder mit Gebet, mit Buße, mit Preisgabe seiner selbst, wie wir das alles in den Lebensbeschreibungen der seligen Väter geschildert finden. Viele Nächte auch blickte er schlummerlos zu den Sternen empor, und auch die Sterne schufen ihm Anfechtung und Verwirrung, er las die Sternbilder ab, in welchen er einst gelernt hatte, die Geschichten der Götter und die Sinnbilder der Menschennatur mit zu lesen, eine Wissenschaft, welche von den Presbytern durchaus verabscheut wurde und welche noch lang ihn mit Phantasien und Gedanken aus seiner heidnischen Zeit verfolgte.

Überall, wo in jenen Bezirken die nackte unfruchtbare Wildnis von einem Quell, einer Handvoll Grün, einer kleinen oder großen Oase sich unterbrochen zeigte, lebten damals die Eremiten, manche ganz allein, manche in kleinen Brüderschaften wie sie auf einem Bild im Camposanto von Pisa dargestellt sind, Armut und Nächstenliebe übend, Adepten einer sehnsüchtigen Ars moriendi, einer Kunst des Sterbens, des Absterbens von der Welt und vom eigenen Ich und des Hinübersterbens zu ihm, dem Erlöser, ins Lichte und Unverwelkliche. Sie wurden von Engeln und von Teufeln besucht, sie dichteten Hymnen, trieben Dämonen aus, heilten und segneten und schienen es auf sich genommen zu haben, die Weltlust, Roheit und Sinnengier vieler dahingegangener und vieler noch kommender Zeitalter durch eine gewaltige Woge des Enthusiasmus und der Hingabe, durch ein ekstatisches Plus an Weltentsagung wiedergutzumachen. Manche von ihnen waren wohl im Besitz von alten heidnischen Praktiken der Läuterung, von Methoden und Übungen eines seit Jahrhunderten in Asien hochgezüchteten Verfahrens der Vergeistigung, doch wurde davon nicht gesprochen, und es wurden diese Methoden und Yoga-Übungen nicht eigentlich mehr gelehrt, sondern unterlagen dem Verbot, mit welchem das Christentum alles Heidnische mehr und mehr belegte.

In manchen dieser Büßer bildete die Glut dieses Lebens besondere Gaben aus, Gaben des Gebets, des Heilens durch Handauflegung, der Prophetie, des Teufelbannens, Gaben des Richtens und Strafens, des Tröstens und Segnens. Auch in Josephus schlummerte eine Gabe, und mit den Jahren, als sein Haar fahl zu werden begann, kam sie langsam zu ihrer Blüte. Es war die Gabe des Zuhörens. Wenn ein Bruder aus einer der Siedlungen oder ein vom Gewissen beunruhigtes und getriebenes Weltkind sich bei Josef einfand und ihm von seinen Taten, Leiden, Anfechtungen und Verfehlungen berichtete, sein Leben erzählte, seinen Kampf um das Gute und sein Erliegen im Kampf, oder einen Verlust und Schmerz, eine Trauer, so verstand Josef ihn anzuhören, ihm sein Ohr und Herz zu öffnen und hinzugeben, sein Leid und seine Sorge in sich aufzunehmen und zu bergen und ihn entleert und beruhigt zu entlassen. Langsam, in langen Jahren, hatte dieses Amt sich seiner bemächtigt und ihn zum Werkzeug gemacht, zu einem Ohr, dem man Vertrauen schenkte. Eine gewisse Geduld, eine gewisse einsaugende Passivität und eine große Verschwiegenheit waren seine Tugenden. Immer häufiger kamen Leute zu ihm, um sich auszusprechen, um sich angestauter Bedrängnisse zu entledigen, und manche von ihnen brachten, auch wenn sie einen weiten Weg bis zu seiner Rohrhütte hatten zurücklegen müssen, nach der Ankunft und Begrüßung doch nicht die Freiheit und Tapferkeit zum Bekennen auf, sondern wanden und schämten sich, taten mit ihren Sünden kostbar, seufzten und schwiegen lang, stundenlang, und er verhielt sich gegen einen jeden gleich, ob er nun gern oder widerwillig, ob er geläufig oder stockend redete, ob er seine Geheimnisse wütend von sich warf oder sich mit ihnen wichtig machte. Es war ihm einer wie der andere, er mochte Gott anklagen oder sich selbst, er mochte seine Sünden und Leiden vergrößern oder verkleinern, er mochte einen Totschlag oder nur eine Unkeuschheit beichten, eine untreue Geliebte oder ein verspieltes Seelenheil beklagen. Es erschreckte ihn nicht, wenn einer von vertrautem Umgang mit Dämonen erzählte und mit dem Teufel auf du zu stehen schien, noch verdroß es ihn, wenn einer lang und vielerlei erzählte und dabei sichtlich die Hauptsache verschwieg, noch machte es ihn ungeduldig, wenn einer sich wahnhafter und erdichteter Sünden bezichtigte. Es schien alles, was ihm an Klagen, Geständnissen, Anklagen und Gewissensängsten zugetragen wurde, in sein Gehör einzugehen wie Wasser in Wüstensand, er schien kein Urteil darüber zu haben und weder Mitleid noch Verachtung für den Beichtenden zu fühlen, und dennoch, oder vielleicht eben darum, schien das, was ihm gebeichtet wurde, nicht ins Leere gesagt, sondern im Sagen und Gehörtwerden verwandelt, erleichtert und gelöst zu werden. Selten nur sprach er eine Mahnung oder Warnung aus, noch seltener gab er einen Rat oder gar Befehl; es schien dies nicht seines Amtes zu sein, und die Sprechenden schienen es auch zu fühlen, daß dies nicht seines Amtes sei. Sein Amt war, Vertrauen zu erwecken und zu empfangen, geduldig und liebevoll zuzuhören, dadurch der noch nicht fertig gestalteten Beichte vollends zur Gestalt zu verhelfen, das in den Seelen Gestaute oder Verkrustete zum Fluß und Abströmen einzuladen, es aufzunehmen und in Schweigen einzuhüllen. Nur daß er am Ende einer jeden Beichte, der schrecklichen wie der harmlosen, der zerknirschten wie der eitlen, den Beichtenden neben sich knien ließ und das Vaterunser betete und ihn, ehe er ihn entließ, auf die Stirn küßte. Bußen und Strafen zu verhängen, war nicht seines Amtes, auch zum Aussprechen einer eigentlichen priesterlichen Absolution fühlte er sich nicht ermächtigt, es war weder das Richten noch das Vergeben der Schuld seine Sache. Indem er zuhörte und verstand, schien er Mitschuld auf sich zu nehmen, schien tragen zu helfen. Indem er schwieg, schien er das Gehörte versenkt und der Vergangenheit übergeben zu haben. Indem er mit dem Beichtkind nach seiner Beichte betete, schien er es als Bruder und seinesgleichen aufzunehmen und anzuerkennen. Indem er ihn küßte, schien er ihn auf eine mehr brüderliche als priesterliche, auf eine mehr zärtliche als feierliche Art zu segnen.