Dieser hatte, wie aus seinen Erzählungen hervorging, Freunde unter den Magiern und Sternkundigen; Rast haltend, saß er eine Stunde oder zwei bei den beiden alten Büßern, ein höflicher und gesprächiger Gast, sprach lang, gelehrt und schön über die Gestirne und über die Wanderung, welche der Mensch samt seinen Göttern vom Beginn bis zum Ende eines Weltalters durch alle die Häuser des Tierkreises zurückzulegen habe. Er sprach von Adam, dem ersten Menschen, und wie er einer und derselbe sei mit Jesus, dem Gekreuzigten, und nannte die Erlösung durch ihn die Wanderung Adams vom Baume der Erkenntnis zum Baume des Lebens, die Schlange des Paradieses aber nannte er die Hüterin des heiligen Urquells, der finsteren Tiefe, aus deren nächtigen Wassern alle Gestaltungen, alle Menschen und Götter stammen. Dion hörte diesem Manne, dessen Syrisch stark mit Griechisch durchsetzt war, aufmerksam zu, und Josef wunderte sich darüber, ja er nahm Anstoß daran, daß er diese heidnischen Irrtümer nicht mit Eifer und Zorn zurückweise, widerlege und banne, sondern daß die klugen Monologe des vielwissenden Pilgers ihn zu unterhalten und seine Teilnahme zu erregen schienen, denn er hörte nicht nur mit Hingabe zu, sondern lächelte und nickte auch des öfteren zu einem Wort des Redenden, als gefalle es ihm.
Als dieser Mensch wieder gegangen war, fragte Josef mit einem Ton von Eifer und beinahe Vorwurf: »Wie kommt es, daß du die Irrlehren dieses ungläubigen Heiden so geduldig angehört hast? Ja, du hast sie, so schien mir, nicht nur mit Geduld, sondern geradezu mit Teilnahme und mit einem gewissen Vergnügen angehört. Warum bist du ihnen nicht entgegengetreten? Warum hast du nicht versucht, diesen Menschen zu widerlegen, zu strafen und zum Glauben an unsern Herrn zu bekehren?«
Dion wiegte das Haupt auf dem dünnen faltigen Halse und gab Antwort: »Ich habe ihn nicht widerlegt, weil es nichts genützt hätte, vielmehr, weil ich dazu gar nicht imstande gewesen wäre. Im Reden und Kombinieren und in der Kenntnis der Mythologie und der Sterne ist dieser Mann mir ohne Zweifel weit überlegen, ich hätte nichts gegen ihn ausgerichtet. Und ferner, mein Sohn, ist es weder meine noch deine Sache, dem Glauben eines Menschen entgegenzutreten mit der Behauptung, es sei Lug und Irrtum, woran er glaube. Ich habe, gestehe ich, diesem klugen Mann mit einem gewissen Vergnügen zugehört, das ist dir nicht entgangen. Es machte mir Vergnügen, weil er vorzüglich sprach und viel wußte, vor allem aber, weil er mich an meine Jugendzeit erinnerte, denn in der Jugend habe ich mich viel mit ebensolchen Studien und Kenntnissen beschäftigt. Die Dinge aus der Mythologie, über die der Fremde so hübsch geplaudert hat, sind keineswegs Irrtümer. Sie sind Vorstellungen und Gleichnisse eines Glaubens, den wir nicht mehr brauchen, weil wir den Glauben an Jesum, den einzigen Erlöser, gewonnen haben. Für jene aber, die unsern Glauben noch nicht gefunden haben, ihn vielleicht überhaupt nicht finden können, ist ihr Glaube, aus alter Väterweisheit stammend, mit Recht ehrwürdig. Gewiß, Lieber, ist unser Glaube ein anderer, ein durchaus anderer. Aber weil unser Glaube der Lehre von den Gestirnen und Äonen, von den Urwassern und Weltmüttern und all dieser Gleichnisse nicht bedarf, darum sind jene Lehren an sich keineswegs Irrtum, Lug und Trug.«
»Aber unser Glaube,« rief Josef, »ist doch der bessere, und Jesus ist für alle Menschen gestorben; also müssen die, die ihn kennen, doch jene veralteten Lehren bekämpfen und die neue, richtige an ihre Stelle setzen!«
»Dies haben wir ja längst getan, du und ich und so viele andere,« sagte Dion gelassen. »Wir sind Gläubige, weil wir vom Glauben, von der Macht nämlich des Erlösers und seines Erlösertodes, ergriffen worden sind. Jene anderen aber, jene Mythologen und Theologen des Tierkreises und der alten Lehren, sind von dieser Macht nicht ergriffen worden, noch nicht, und uns ist es nicht gegeben, sie zu zwingen, daß sie Ergriffene werden. Hast du nicht bemerkt, Josef, wie hübsch und höchst geschickt dieser Mythologe zu plaudern und sein Bilderspiel zusammenzusetzen wußte und wie wohl es ihm dabei war, wie friedlich und harmonisch er in seiner Weisheit der Bilder und Gleichnisse lebt? Nun, dies ist ein Zeichen dafür, daß diesen Mann kein schweres Leiden drückt, daß er zufrieden ist, daß es ihm gut geht. Menschen, welchen es gut geht, hat unsereiner aber nichts zu sagen. Damit ein Mensch der Erlösung und des erlösenden Glaubens bedürftig werde, damit er die Freude an der Weisheit und Harmonie seiner Gedanken verliere und das große Wagnis des Glaubens an das Wunder der Erlösung auf sich nehme, muß es ihm erst schlecht gehen, sehr schlecht, er muß Leid und Enttäuschung, er muß Bitternis und Verzweiflung erlebt haben, die Wasser müssen ihm bis an den Hals gegangen sein. Nein, Josef, lassen wir diesen gelehrten Heiden in seinem Wohlergehen, lassen wir ihn im Glück seiner Weisheit, seines Denkens und seiner Redekunst! Vielleicht wird er morgen, wird er in einem Jahr, in zehn Jahren das Leid erfahren, das ihm seine Kunst und Weisheit zertrümmert, vielleicht wird man ihm die Frau, die er liebt, oder den einzigen Sohn totschlagen, oder er fällt in Krankheit und Armut; wenn wir ihm alsdann wieder begegnen, wollen wir uns seiner annehmen und ihm erzählen, auf welche Weise wir es versucht haben, des Leides Herr zu werden. Und sollte er uns dann fragen: »Warum habet Ihr mir das nicht gestern, nicht vor zehn Jahren schon gesagt?« – dann wollen wir antworten; »Es ist dir damals noch nicht schlecht genug gegangen.'«
Er war ernst geworden und schwieg eine Weile. Dann, wie aus Erinnerungsträumen heraus, fügte er hinzu: »Ich habe selbst einst viel mit den Weisheiten der Väter gespielt und mich vergnügt, und auch als ich schon auf dem Weg des Kreuzes war, hat das Theologisieren mir noch oft Freude gemacht, und freilich auch Kummer genug. Ich hatte es in meinen Gedanken am meisten mit der Schöpfung der Welt zu tun und damit, daß am Ende des Schöpfungswerkes doch eigentlich alles hätte gut sein sollen, denn es heißt ja: »Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe da, es war alles sehr gut.« In Wirklichkeit aber war es nur einen Augenblick gut und vollkommen, den Augenblick des Paradieses, und schon im nächsten Augenblick war Schuld und Fluch in die Vollkommenheit geraten, denn Adam hatte von jenem Baume gegessen, von dem zu essen ihm verboten war. Es gab nun Lehrer, welche sagten: der Gott, der die Schöpfung und mit ihr den Adam und den Baum der Erkenntnis gemacht hat, sei nicht der einige und höchste Gott, sondern nur sein Teil oder ein Untergott von ihm, der Demiurg, und die Schöpfung sei nicht gut, sondern sie sei ihm mißglückt, und es sei nun für eine Weltenzeit das Geschaffene verflucht und dem Bösen anheimgegeben, bis Er selbst, der Eine Geist Gott, durch seinen Sohn der verfluchten Weltzeit ein Ende zu bereiten beschloß. Von nun an, so lehrten sie, und so dachte auch ich, habe das Absterben des Demiurgen und seiner Schöpfung begonnen, und die Welt sterbe allmählich dahin und welke ab, bis in einem neuen Weltalter keine Schöpfung, keine Welt, kein Fleisch, keine Gier und Sünde, kein fleischliches Zeugen, Gebären und Sterben mehr sein, sondern eine vollkommene, geistige und erlöste Welt erstehen werde, frei vom Fluche Adams, frei vom ewigen Fluch und Drang des Begehrens, Zeugens, Gebarens, Sterbens. Wir gaben mehr dem Demiurgen als dem ersten Menschen die Schuld an den derzeitigen Übeln der Welt, wir waren der Meinung, es hätte dem Demiurgen, wenn er wirklich Gott selber war, ein leichtes sein müssen, den Adam anders zu schaffen oder ihm die Versuchung zu ersparen. Und so hatten wir denn am Schluß unserer Folgerungen zwei Götter, den Schöpfergott und den Vatergott, und scheuten uns nicht, über den ersteren richtend abzuurteilen. Es gab sogar solche, welche noch einen Schritt weitergingen und behaupteten, die Schöpfung sei überhaupt nicht Gottes, sondern des Teufels Werk gewesen. Wir glaubten mit unseren Klugheiten dem Erlöser und dem kommenden Zeitalter des Geistes behilflich zu sein, und so machten wir uns denn Götter und Welten und Weltpläne zurecht und disputierten und trieben Theologie, bis ich eines Tages in ein Fieber verfiel und auf den Tod krank wurde, und in den Träumen des Fiebers hatte ich es beständig mit dem Demiurgen zu tun, mußte Krieg führen und Blut vergießen, und die Gesichte und Beängstigungen wurden immer schrecklicher, bis ich in der Nacht des höchsten Fiebers meine eigene Mutter glaubte töten zu müssen, um meine fleischliche Geburt wieder auszulöschen. Der Teufel hat mich in jenen Fieberträumen mit allen seinen Hunden gehetzt. Aber ich genas, und zur Enttäuschung meiner früheren Freunde kehrte ich als ein dummer, schweigsamer und geistloser Mensch ins Leben zurück, der zwar die Kräfte seines Körpers bald wiedergewann, nicht aber die Freude am Philosophieren. Denn in den Tagen und Nächten der Genesung, als jene scheußlichen Fieberträume gewichen waren und ich beinahe immer schlief, fühlte ich in jedem wachen Augenblick den Erlöser bei mir und fühlte Kraft von ihm aus- und in mich eingehen, und als ich wieder gesund geworden war, empfand ich eine Traurigkeit darüber, daß ich diese seine Nähe nicht mehr zu empfinden vermochte. Statt ihrer aber empfand ich eine große Sehnsucht nach jener Nähe, und nun zeigte es sich: sobald ich wieder dem Disputieren zuhörte, fühlte ich, wie diese Sehnsucht – sie war damals mein bestes Gut – in Gefahr geriet, dahinzuschwinden und sich in die Gedanken und Worte hineinzuverlaufen, wie Wasser in Sand zerrinnt. Genug, mein Lieber, es war zu Ende mit meiner Klugheit und Theologie. Ich gehöre seither zu den Einfältigen. Aber wer zu philosophieren und zu mythologisieren weiß, wer jene Spiele zu spielen versteht, in denen auch ich mich einst versucht habe, den möchte ich nicht hindern und nicht gering achten. Wenn ich mich einst damit bescheiden mußte, daß Demiurg und Geistgott, daß Schöpfung und Erlösung in ihrem unbegreiflichen Ineinander- und Zugleichsein mir ungelöste Rätsel blieben, so muß ich mich auch damit bescheiden, daß ich Philosophen nicht zu Gläubigen machen kann. Es ist nicht meines Amtes.«