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Nun gruben sie an jedem Tag in der Morgenfrühe ein kleines Stück. War Dion bei Kräften, so hob er selber einige Spaten voll Erde aus, mit großer Beschwerde, aber mit einer gewissen Munterkeit, als bereite die Arbeit ihm Vergnügen. Auch den Tag über verließ diese gewisse Munterkeit ihn nicht mehr; seit an dem Grabe geschaufelt wurde, war er stets guter Dinge.

»Du wirst eine Palme auf mein Grab pflanzen,« sagte er einmal bei dieser Arbeit. »Vielleicht wirst du noch von ihren Früchten essen. Wenn nicht, so wird ein anderer es tun. Ich habe je und je einen Baum gepflanzt, aber doch zu wenige, allzu wenige. Manche sagen, ein Mann sollte nicht sterben, ohne einen Baum gepflanzt zu haben und einen Sohn zu hinterlassen. Nun, ich hinterlasse einen Baum und hinterlasse dich, du bist mein Sohn.«

Er war gelassen und heiterer, als Josef ihn gekannt hatte, und wurde es mehr und mehr. Eines Abends, es wurde dunkel, und sie hatten schon gespeist und gebetet, rief er von seinem Lager aus nach Josef und bat ihn, noch eine kleine Weile bei ihm zu sitzen.

»Ich will dir etwas erzählen,« sagte er freundlich, er schien noch nicht müde und schläfrig zu sein. »Denkt es dir noch, Josef, wie du einst in deiner Klause drüben bei Gaza so schlechte Zeiten hattest und deines Lebens überdrüssig warst? Und wie du dann die Flucht ergriffen und beschlossen hast, den alten Dion aufzusuchen und ihm deine Geschichte zu erzählen? Und wie du dann in der Brüdersiedlung den alten Mann getroffen hast, den du nach dem Wohnort des Dion Pugil fragtest? Nun ja. Und war es nicht wie ein Wunder, daß jener alte Mann Dion selber war? Ich will dir nun erzählen, wie das gekommen ist; es war nämlich auch für mich merkwürdig und wie ein Wunder.

Du weißt, wie das ist, wenn ein Büßer und Beichtvater alt wird und die vielen Beichten der Sünder angehört hat, die ihn für einen Sündelosen und Heiligen halten und nicht wissen, daß er ein größerer Sünder ist als sie. Da kommt ihm sein ganzes Tun unnütz und eitel vor, und was ihm einst heilig und wichtig schien, daß ihn nämlich Gott an diese Stelle gesetzt und gewürdigt hat, den Schmutz und Unrat der Menschenseelen anzuhören und sie zu erleichtern, das erscheint ihm jetzt als eine große, eine allzu große Last, ja als ein Fluch, und am Ende graut ihm vor jedem Armen, der mit seinen Kindersünden zu ihm kommt, er wünscht ihn fort und wünscht sich selber fort, und sei es an einen Strick am Ast eines Baumes. So ist es dir gegangen. Und jetzt ist auch für mich die Stunde des Beichtens gekommen, und ich beichte: auch mir ist es so gegangen wie dir, auch ich glaubte unnütz und geistig erloschen zu sein und es nicht mehr ertragen zu können, daß immer wieder vertrauensvoll die Leute zu mir kamen und all den Unrat und Gestank des Menschenlebens zu mir trugen, mit dem sie nicht fertig wurden, und mit dem auch ich nicht mehr fertig wurde.

Nun hatte ich des öfteren von einem Büßer namens Josephus Famulus sprechen hören. Auch zu ihm, so vernahm ich, kamen die Menschen gern zur Beichte, und viele gingen zu ihm lieber als zu mir, denn er sollte ein sanfter, freundlicher Mann sein, und es hieß, er verlange nichts von den Leuten und schelte sie nicht aus, er behandle sie als Brüder, höre sie nur an und entlasse sie mit einem Kuß. Das war nicht meine Art, du weißt es, und als ich die ersten Male von diesem Josephus erzählen hörte, war mir seine Weise eher töricht und allzu kindlich erschienen; aber jetzt, da es mir so sehr fraglich geworden war, ob denn meine eigene Art etwas tauge, hatte ich allen Grund, über die Art dieses Josef mich eines Urteils und Besserwissens zu enthalten. Was für Kräfte mochte dieser Mann haben? Ich wußte, er sei jünger als ich, aber doch auch schon dem Greisenalter nahe, das gefiel mir, zu einem Jungen hätte ich nicht so leicht Vertrauen gefaßt. Zu diesem aber fühlte ich mich hingezogen. Und so entschloß ich mich, zu Josephus Famulus zu pilgern, ihm meine Not zu bekennen und ihn um Rat zu bitten, oder wenn er keinen Rat gab, vielleicht Trost und Stärkung von ihm mitzubekommen. Schon der Entschluß tat mir wohl und erleichterte mich.

Ich trat denn die Reise an und pilgerte dem Ort entgegen, wo es hieß, daß er seine Klause habe. Unterdessen aber hatte Bruder Josef eben dasselbe erlebt wie ich und hatte dasselbe getan wie ich, jeder hatte sich auf die Flucht begeben, um beim andern Rat zu finden. Als ich ihn dann, noch ehe ich seine Hütte gefunden hatte, zu Gesicht bekam, erkannte ich ihn schon beim ersten Gespräch, er sah aus wie der Mann, den ich erwartet hatte. Aber er war auf der Flucht, es war ihm schlecht ergangen, so schlecht wie mir oder noch schlechter, und er war keineswegs gesonnen, Beichten anzuhören, sondern begehrte selber zu beichten und seine Not in eine fremde Hand zu legen. Dies war mir zu jener Stunde eine wunderliche Enttäuschung, ich war sehr traurig. Denn wenn auch dieser Josef, der mich nicht kannte, seines Dienstes müde geworden und am Sinn seines Lebens verzweifelt war – schien das nicht zu bedeuten, daß es mit uns allen beiden nichts war, daß wir beide unnütz gelebt hatten und gescheitert waren?

Ich erzähle dir, was du schon weißt, laß es mich kurz machen. Ich blieb jene Nacht bei der Siedlung allein, während du bei den Brüdern Herberge fandest, ich übte Versenkung und dachte mich in diesen Josef hinein und dachte mir: was wird er tun, wenn er morgen erfährt, daß er vergebens geflohen ist und vergebens sein Vertrauen auf den Pugil gesetzt hat, wenn er erfährt, daß auch der Pugil ein Flüchtling und Angefochtener ist? Je mehr ich mich in ihn hineindachte, desto mehr tat Josef mir leid, und desto mehr wollte es mir scheinen, er sei mir von Gott zugesandt, um ihn und mit ihm mich selbst zu erkennen und zu heilen. Nun konnte ich schlafen, die halbe Nacht war schon um. Am nächsten Tage pilgertest du mit mir und bist mein Sohn geworden.

Diese Geschichte habe ich dir erzählen wollen. Ich höre, daß du weinst. Weine nur, es tut dir wohl. Und da ich schon so ungebührlich gesprächig geworden bin, so tu mir die Liebe und höre auch dieses noch an und nimm es in dein Herz auf: der Mensch ist wunderlich, es ist wenig Verlaß auf ihn, und so ist es nicht unmöglich, daß zu einer Zeit jene Leiden und Anfechtungen dich von neuem überkommen und dich zu besiegen versuchen werden. Möge dir dann unser Herr einen ebenso freundlichen, geduldigen und tröstlichen Sohn und Pflegling zusenden, wie er ihn mir in dir gegeben hat! Was aber den Ast am Baum anbelangt, von dem der Versucher dich damals träumen ließ, und den Tod des armen Judas Ischariot, so kann ich dir eines sagen: es ist nicht bloß eine Sünde und Torheit, sich einen solchen Tod zu bereiten, obwohl es unserm Erlöser ein kleines ist, auch diese Sünde zu vergeben. Aber es ist auch überdies jammerschade, wenn ein Mensch in Verzweiflung stirbt. Die Verzweiflung schickt uns Gott nicht, um uns zu töten, er schickt sie uns, um neues Leben in uns zu erwecken. Wenn er uns aber den Tod schickt, Josef, wenn er uns von der Erde und vom Leibe losmacht und uns hinüberruft, so ist das eine große Freude. Einschlafen dürfen, wenn man müde ist, und eine Last fallen lassen dürfen, die man sehr lang getragen hat, das ist eine köstliche, eine wunderbare Sache. Seit wir das Grab gegraben haben – vergiß den Palmbaum nicht, den du darauf pflanzen sollst –, seit wir angefangen haben, das Grab zu graben, bin ich vergnügter und zufriedener gewesen, als ich es in vielen Jahren war.

Ich habe lange geschwatzt, mein Sohn, du wirst müde sein. Geh schlafen, geh in deine Hütte. Gott mir dir!«

Am folgenden Tage kam Dion nicht zum Morgengebet und rief auch nicht nach Josef. Als dieser bange wurde und leise in Dions Hütte und an sein Lager trat, fand er den Alten entschlafen und sein Gesicht von einem kindlichen, leise strahlenden Lächeln erhellt.

Er begrub ihn, er pflanzte den Baum auf das Grab und erlebte noch das Jahr, in welchem der Baum die ersten Früchte trug.

Indischer Lebenslauf