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»Sehen Sie«, begann ich einigermaßen verwirrt, »der jetzige Zeitpunkt ist dazu vielleicht nicht geeignet; aber ich bin doch gern bereit, sie Ihnen mitzuteilen. Ich denke folgendermaßen: vielleicht befinden wir uns beide über Foma Fomitsch im Irrtum; vielleicht verbirgt sich hinter all diesen Sonderbarkeiten eine eigenartige, vielleicht sogar eine hochbegabte Natur; wer weiß das? Vielleicht ist das ein verbitterter, durch viele Leiden sozusagen zerschlagener Charakter, der sich nun an der ganzen Menschheit rächt. Ich habe gehört, daß er früher eine Art von Possenreißer gewesen ist: vielleicht hat ihn das entwürdigt, beleidigt, gebeugt?... Sie verstehen: ein vornehm denkender Mensch... der Selbstbewußtsein besitzt... und da muß er die Rolle eines Possenreißers spielen!... Und da ist er denn mißtrauisch gegen die ganze Menschheit geworden, und... und vielleicht, wenn man ihn mit der Menschheit versöhnt... das heißt mit den Menschen, so erweist er sich vielleicht als eine eigenartige Natur, vielleicht sogar als eine sehr merkwürdige Natur, und... und... und es muß doch wirklich etwas an diesem Menschen dran sein; es muß doch ein Grund vorhanden sein, weswegen sich alle vor ihm beugen?«

Ich hatte selbst die Empfindung, daß ich in schrecklicher Weise aus dem Konzept gekommen war. Man konnte mir das wegen meiner Jugend noch verzeihen. Aber Herr Bachtschejew verzieh mir nicht. Ernst und streng sah er mir in die Augen und wurde schließlich puterrot. »Also Foma soll ein besonderer Mensch sein?« fragte er kurz und scharf.

»Wohlgemerkt: ich glaube selbst noch nichts von dem, was ich jetzt gesagt habe. Ich habe es nur so als Vermutung ausgesprochen...«

»Erlauben Sie eine neugierige Frage, lieber Freund: haben Sie etwa Philosophie studiert?«

»Das heißt... in welchem Sinne?« fragte ich erstaunt.

»Nein, nicht in einem Sinne; sondern antworten Sie mir geradezu, lieber Freund, ohne jeden Sinn: haben Sie Philosophie studiert?«

»Ich muß gestehen, ich beabsichtige es allerdings, aber...«

»Na, da haben wir’s!« rief Herr Bachtschejew, seiner Entrüstung freien Lauf lassend. »Noch bevor Sie den Mund aufmachten, lieber Freund, habe ich es mir gedacht, daß Sie Philosophie studiert hätten! Mich betrügt man nicht! Kein Gedanke daran! Auf drei Werst Entfernung wittre ich einen Philosophen! Küssen Sie nur Ihren Foma Fomitsch! Da haben Sie also einen besonderen Menschen entdeckt! Pfui Deibel! Mag alles in der Welt verrotten und verderben! Ich hatte schon gedacht, Sie wären auch ein vernünftiger Mensch; aber Sie... Fahr vor!« rief er seinem Kutscher zu, der bereits auf den Bock der reparierten Equipage gestiegen war. »Nach Hause!«

Nur mit Mühe gelang es mir, ihn einigermaßen zu beruhigen; schließlich geriet er in mildere Stimmung; aber es dauerte doch recht lange, bis er sich entschloß, vom Zorn zur Freundlichkeit überzugehen. Unterdessen war er mit Grigoris und Archips Beihilfe in den Wagen gestiegen, eben jenes Archip, der dem trunksüchtigen Wassiljew eine Strafpredigt gehalten hatte.

»Gestatten Sie die Frage«, sagte ich, an den Wagen herantretend: »werden Sie meinen Onkel nun nie mehr besuchen?«

»Ihren Onkel? Spucken Sie jeden an, der Ihnen das einreden will! Sie glauben wohl, ich sei ein charakterfester Mensch und könne es aushalten, dauernd wegzubleiben? Das ist ja eben mein Kummer, daß ich ein solcher Waschlappen bin! Es wird keine Woche vergehen, dann komme ich da wieder angeschlichen. Warum ich das tue? Sehen Sie, das weiß ich selbst nicht, warum; aber ich werde wieder hinfahren und mich mit Foma herumbalgen. Das ist eben mein Kummer, lieber Freund! Zur Strafe für meine Sünden hat mir Gott diesen Foma gesandt. Ich habe einen weibischen Charakter; es fehlt mir durchaus an Standhaftigkeit! Ich bin ein Feigling erster Sorte, lieber Freund...«

Wir schieden ganz freundschaftlich voneinander; er lud mich sogar ein, bei ihm einmal zu Mittag zu essen.

»Kommen Sie zu mir, lieber Freund, kommen Sie zu mir; dann wollen wir mal speisen! Ich habe mir ein feines Schnäpschen aus Kiew kommen lassen, und mein Koch ist in Paris gewesen. Der macht Ihnen solche Ragouts und Fischpasteten, daß Sie sich nachher die Finger ablecken und ihm eine tiefe Verbeugung machen, dem Schurken. Er ist ein gebildeter Mensch! Ich habe ihn nur seit längerer Zeit nicht durchpeitschen lassen; ich verwöhne ihn... gut, daß Sie mich jetzt daran erinnert haben... Kommen Sie nur! Ich würde Sie schon heute zu mir einladen; aber ich bin ganz kaputt, ganz zermürbt; die Hinterbeine versagen den Dienst. Ich bin ja ein kranker Mensch, habe einen aufgedunsenen Körper. Sie glauben es vielleicht nicht... Na, dann leben Sie wohl, lieber Freund! Es ist auch für mich Zeit, abzusegeln. Sehen Sie, Ihr Reisewagen ist auch fertiggeworden. Diesem Foma aber sagen Sie, er möchte mir nicht über den Weg laufen; sonst würde ich ihm einen so zärtlichen Empfang bereiten, daß er...«

Aber die letzten Worte konnte ich nicht mehr hören. Der Wagen, von vier kräftigen Pferden gleichzeitig angezogen, verschwand in den Staubwolken. Auch mein Reisewagen fuhr vor; ich stieg ein, und wir fuhren sogleich durch das Städtchen hindurch. »Gewiß, dieser Herr übertreibt«, sagte ich zu mir; »er ist zu erbost und kann nicht unparteiisch sein. Aber auf der anderen Seite ist alles, was er über den Onkel gesagt hat, sehr bemerkenswert. Da stimmen nun schon zwei Aussagen darin überein, daß der Onkel dieses junge Mädchen liebt... Hm! Heirate ich, oder heirate ich nicht?« Diesmal wurde ich doch recht nachdenklich.

III

Der Onkel

Ich muß gestehen, ich hatte sogar ein bißchen Angst. Meine romanhaften Träumereien kamen mir auf einmal sehr wunderlich, ja töricht vor, als ich in Stepantschikowo einfuhr. Es war gegen fünf Uhr nachmittags. Die Landstraße führte an dem herrschaftlichen Hause vorbei. Nach langen Jahren des Fernseins erblickte ich wieder diesen gewaltig großen Garten, in welchem ich als Kind so manchen glücklichen Tag verlebt und von dem ich nachher oft in den Schlafsälen der Schulen, die sich mit meiner Bildung abmühten, geträumt hatte. Ich sprang aus dem Wagen und ging geradeswegs durch den Garten auf das Gutshaus zu. Es war mir sehr daran gelegen, unauffällig anzukommen, Erkundigungen einzuziehen, diesen und jenen zu befragen und vor allen Dingen mit meinem Onkel zu sprechen. Das gelang mir denn auch. Nachdem ich die Allee von hundertjährigen Linden durchschritten hatte, trat ich auf die Terrasse, von der man durch eine Glastür direkt in die inneren Räume kam. Diese Terrasse war von Blumenbeeten umgeben und mit kostbaren Topfpflanzen besetzt. Hier traf ich einen der Hausleute, den alten Gawrila, meinen ehemaligen Hüter, jetzt meines Onkels ehrwürdigen Kammerdiener. Der alte Mann hatte eine Brille auf und hielt in der Hand ein Heft, in dem er eifrig las. Wir hatten uns vor zwei Jahren in Petersburg gesehen, wohin er mit meinem Onkel gekommen war, und daher erkannte er mich jetzt sofort. Mit Freudentränen stürzte er auf mich zu, um mir die Hände zu küssen, wobei ihm die Brille von der Nase auf die Erde fiel. Eine solche Anhänglichkeit des alten Mannes rührte mich tief. Aber da ich noch durch das unlängst mit Herrn Bachtschejew geführte Gespräch aufgeregt war, so wandte sich meine Aufmerksamkeit vor allen Dingen dem verdächtigen Heft zu, das Gawrila in der Hand hatte.

»Was ist das, Gawrila? Mußt auch du jetzt etwa Französisch lernen?« fragte ich den Alten.

»Jawohl, junger Herr; das muß ich auf meine alten Tage lernen wie ein Starmatz«, antwortete Gawrila betrübt.

»Unterrichtet dich Foma selbst?«

»Ja, junger Herr. Er muß doch ein sehr kluger Mensch sein.«

»Das muß man ihm lassen; ein kluger Mensch! Unterrichtet er dich mündlich?«

»Nein, nach dem Heft, junger Herr.«

»Nach dem, das du da in der Hand hast? Ah! Französische Wörter mit russischen Buchstaben – eine schlaue Einrichtung! Und einem solchen Tölpel und Erznarren fügt ihr euch? Schämst du dich nicht, Gawrila?« rief ich; ich hatte in einem Augenblicke alle meine großmütigen Vermutungen über Foma Fomitsch vergessen, für die mich erst vor kurzem Herr Bachtschejew heruntergemacht hatte.