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»Aber, junger Herr«, antwortete der Alte, »wie kann er denn ein Narr sein, wenn er doch unsere Herrschaft so nach seinem Willen lenkt?«

»Hm! Vielleicht hast du recht, Gawrila«, murmelte ich, durch diese Bemerkung in meinem Zornesausbruch gehemmt. »Führe mich zu meinem Onkel!«

»Ach, du mein Falke! Ich kann mich ja gar nicht vor ihm zeigen; ich wage es nicht. Ich habe schon angefangen, mich auch vor ihm zu fürchten. Da sitze ich nun hier in meiner Trübsal, und wenn er kommt, gehe ich hinter die Büsche.«

»Aber warum fürchtest du dich denn?«

»Ich habe vorhin meine Aufgabe nicht gekonnt; Foma Fomitsch wollte mich zur Strafe knien lassen; aber das tat ich nicht. Ich bin zu alt geworden, junger Herr Sergej Alexandrowitsch, als daß ich solche Späße mitmachen könnte! Der gnädige Herr wurde böse darüber, daß ich Foma Fomitsch nicht gehorchte. ›Er gibt sich Mühe, dir Bildung beizubringen, alter Graukopf‹, sagte er; ›er will dich die Aussprache lehren.‹ Da gehe ich denn hier umher und lerne Vokabeln. Foma Fomitsch hat versprochen, er wolle mich am Abend noch einmal examinieren.«

Mir schien dabei etwas unklar zu sein.

›Mit diesem Französisch‹, dachte ich, ›muß es doch wohl eine besondere Bewandtnis haben, die mir der alte Mann nicht erklären kann.‹

»Noch eine Frage, Gawrila: wie sieht er denn aus? Ist er stattlich, hochgewachsen?«

»Foma Fomitsch? Nein, junger Herr, der ist so ein mickriges Kerlchen.«

»Hm! Nun, habe nur Geduld, Gawrila; das alles wird vielleicht noch in Ordnung kommen; es wird sogar bestimmt in Ordnung kommen, das verspreche ich dir! Aber... wo ist denn der Onkel?«

»Er empfängt hinter den Pferdeställen die Bauern. Die Ältesten von Kapitonowka sind mit einem Bittgesuch gekommen. Sie haben gehört, daß sie an Foma Fomitsch abgetreten werden sollen, und da bitten sie, daß das nicht geschehen möchte.«

»Aber warum denn hinter den Pferdeställen?«

»Er fürchtet sich, junger Herr...«

In der Tat fand ich meinen Onkel hinter den Pferdeställen. Dort stand er auf einem freien Platz vor einer Anzahl von Bauern, die ihn mit vielen Verbeugungen angelegentlich um etwas baten. Der Onkel war eifrig beschäftigt, ihnen etwas auseinanderzusetzen. Ich trat näher heran und rief ihn. Er wandte sich um, und wir fielen einander in die Arme.

Er freute sich außerordentlich über meine Ankunft und war geradezu entzückt darüber. Er umarmte mich und drückte mir die Hand, als ob sein leiblicher Sohn nach Rettung aus irgendwelcher Lebensgefahr zurückgekehrt wäre oder als ob ich durch meine Ankunft ihn selbst aus irgendwelcher Lebensgefahr gerettet und Befreiung von allen Zweifeln sowie lebenslängliche Freude und Glückseligkeit für ihn und alle, die er liebte, mitgebracht hätte. Allein hätte mein Onkel nie glücklich sein mögen. Nach den ersten Ausbrüchen des Entzückens fing er von allem möglichen zu reden an, so daß er schließlich ganz konfus wurde. Er überschüttete mich mit Fragen und wollte mich unverzüglich zu seiner Familie führen. Wir waren auch schon auf dem Weg dahin; aber der Onkel kehrte wieder um, da er mich zuerst den Bauern von Kapitonowka vorzustellen wünschte. Dann fing er ohne ersichtlichen Anlaß auf einmal von einem Herrn Korowkin zu reden an, der ein ganz außerordentlicher Mensch sei; er hatte ihn vor drei Tagen irgendwo auf der Chaussee getroffen und erwartete jetzt dessen Besuch bei sich zu Hause mit größter Ungeduld. Darauf sprang er auch von Korowkin ab und begann von etwas anderem zu reden. Ich blickte ihn mit wirklicher Freude an. Auf seine eiligen Fragen antwortend, sagte ich ihm, es sei nicht meine Absicht, in den Staatsdienst zu treten, sondern mich weiter mit den Wissenschaften zu beschäftigen. Sowie ich die Wissenschaften erwähnt hatte, zog der Onkel auf einmal die Augenbrauen zusammen und machte ein höchst wichtiges Gesicht. Als er hörte, daß ich mich in der letzten Zeit mit Mineralogie beschäftigt hatte, hob er den Kopf und blickte stolz rings um sich, wie wenn er selbst allein ohne jede fremde Beihilfe die ganze Mineralogie erforscht und aufgezeichnet hätte. Ich habe schon gesagt, daß er vor dem Worte ›Wissenschaft‹ einen durchaus uneigennützigen Respekt hatte, einen um so uneigennützigeren, da er selbst absolut nichts wußte.

»Ach ja, lieber Freund, es gibt auf der Welt Leute, die alles durch und durch verstehen!« sagte er einmal zu mir, und seine Augen leuchteten dabei vor Entzücken. »Da sitzt man so unter ihnen und hört zu und weiß ja selbst, daß man nichts davon versteht; aber dennoch hüpft einem das Herz vor Freude. Und warum? Weil das Nutzen schafft; weil da Verstand darin steckt; weil dadurch die allgemeine Glückseligkeit gefördert wird! Dafür habe ich Verständnis. Da fahre ich zum Beispiel jetzt auf der Eisenbahn; aber mein Sohn IIja wird vielleicht durch die Luft fliegen... Na ja, schließlich auch der Handel, die Industrie, diese belebenden Kräfte sozusagen... das heißt, ich will sagen: wie man es auch dreht, ist es nützlich... Es ist doch nützlich, nicht wahr?«

Aber kehren wir zu unserem Wiedersehen zurück.

»Warte nur, Freundchen, warte nur«, begann er in seiner üblichen Hast und rieb sich dabei die Hände, »du wirst einen Menschen kennenlernen – ich sage dir, er ist ein seltener Mensch, ein Gelehrter, ein Mann der Wissenschaft, ein Koryphäe des Jahrhunderts. Das ist doch ein schöner Ausdruck: ›ein Koryphäe des Jahrhunderts‹, nicht wahr? Foma hat ihn mir erklärt... Warte nur, ich werde dich mit ihm bekanntmachen.«

»Sprichst du von Foma Fomitsch, lieber Onkel?«

»Nein, nein, mein Freund! Jetzt spreche ich von Korowkin. Das heißt, Foma ist ebenfalls... auch er... Aber jetzt sprach ich nur von Korowkin«, fügte er hinzu; ohne verständlichen Grund errötete er jedesmal und wurde verlegen, wenn die Rede auf Foma kam.

»Mit was für Wissenschaften beschäftigt er sich denn, lieber Onkel?«

»Mit den Wissenschaften, mein Lieber, mit den Wissenschaften, überhaupt mit den Wissenschaften. Ich kann dir nur nicht genauer sagen, mit welchen Wissenschaften; ich weiß nur, daß er sich mit den Wissenschaften beschäftigt. Ach, wie der von der Eisenbahn redet! Und weißt du«, fügte mein Onkel beinahe flüsternd hinzu, indem er das rechte Auge vielsagend zusammenkniff, »er hat auch so ein bißchen freisinnige Ideen! Das habe ich bemerkt, namentlich als er von dem Glück des Familienlebens zu reden anfing... Schade, daß ich nur wenig davon verstanden habe (es war zu wenig Zeit); sonst würde ich dir alles wie am Schnürchen erzählen. Und überdies besitzt er die edelsten Eigenschaften! Ich habe ihn eingeladen, bei mir zu logieren. Ich erwarte ihn stündlich.«

Unterdessen sahen mich die Bauern mit offenem Munde und weit aufgerissenen Augen an wie ein Wundertier.

»Hören Sie, lieber Onkel«, unterbrach ich ihn, »ich bin, wie es scheint, den Bauern in die Quere gekommen. Gewiß sind sie in einer dringlichen Angelegenheit hier. Was wollen sie denn? Ich muß gestehen, ich habe so eine Vermutung und würde sehr gern hören, was die Leute sagen...«

Der Onkel geriet auf einmal in hastige, unruhige Bewegung.

»Ach ja, das hatte ich ganz vergessen! Ja, siehst du... was soll ich mit ihnen anfangen? Sie sind auf den Gedanken gekommen (und ich möchte bloß gern wissen, wer von ihnen als erster diese Idee hatte), ich hätte die Absicht, sie und ganz Kapitonowka wegzugeben (du erinnerst dich wohl noch an Kapitonowka? Wir pflegten immer abends mit meiner seligen Katerina Spazierfahrten dorthin zu machen), ganz Kapitonowka, ganze achtundsechzig Seelen, und zwar an Foma Fomitsch! Nun kommen sie und sagen: ›Wir wollen nicht von dir weg, unter keinen Umständen!‹ «

»Also ist es nicht wahr, lieber Onkel? Sie wollen ihm Kapitonowka nicht schenken?« rief ich hocherfreut.