»Laß uns unseres Lebens froh werden, Väterchen!«
Die Bauern warfen sich ihm zu Füßen. »Nun, nun, das ist dummes Zeug! Kniet vor Gott und dem Zaren, aber nicht vor mir... Na, nun geht nur und verhaltet euch ordentlich, so daß ihr eine freundliche Behandlung verdient... weiter ist nichts nötig... Weißt du«, sagte er, sich zu mir wendend, sobald die Bauern weggegangen waren, und sein Gesicht strahlte ordentlich vor Freude, »der Bauer hat das gern, wenn man ein gutes Wort zu ihm redet, und auch ein kleines Geschenk schadet nichts. Soll ich ihnen etwas schenken? Wie denkst du darüber? Deiner Ankunft zu Ehren... Soll ich ihnen etwas schenken, ja?«
»Sie sind ja, wie ich sehe, ein wahrer Wohltäter Ihrer Bauern, lieber Onkel.«
»Na, das ist notwendig, lieber Freund, das ist notwendig; nicht der Rede wert. Ich wollte ihnen schon längst etwas schenken«, fügte er wie zur Entschuldigung hinzu. »Aber kommt es dir auch nicht komisch vor, daß ich die Bauern in den Wissenschaften unterrichtet habe? Nein, lieber Freund, das habe ich bloß so aus Freude darüber getan, daß ich dich wiedersehe, lieber Sergej. Ich wollte einfach, daß auch der Bauer erfahren sollte, wie weit es zur Sonne ist, und daß er darüber den Mund aufsperren möchte. Es ist so amüsant, lieber Freund, zu sehen, wenn er den Mund aufsperrt... Man freut sich geradezu um seinetwillen. Nur, weißt du, lieber Freund, sage da im Salon nichts davon, daß ich mich hier mit den Bauern ausgesprochen habe. Ich habe sie absichtlich hinter den Pferdeställen empfangen, damit es von dort nicht zu sehen ist. Da auf dem Hof ging es nicht, lieber Freund; es ist eine kitzlige Sache; und sie waren auch selbst heimlich hergekommen. Ich habe das auch in der Hauptsache um ihretwillen getan...«
»Na, sehen Sie, lieber Onkel, da bin ich also gekommen!« begann ich in dem Wunsche, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben und so schnell wie möglich zur Hauptsache zu gelangen. »Ich muß Ihnen gestehen, Ihr Brief hat mich dermaßen in Erstaunen versetzt, daß ich...«
»Lieber Freund, kein Wort davon!« unterbrach mich der Onkel; er schien einen Schreck bekommen zu haben und sprach sogar leiser. »Später, später wird sich alles aufklären. Ich habe vielleicht dir gegenüber eine Schuld auf mich geladen, vielleicht sogar eine große Schuld...«
»Sie hätten mir gegenüber eine Schuld auf sich geladen, lieber Onkel?«
»Später, später, lieber Freund, später! All das wird seine Aufklärung finden. Aber was du für ein prächtiger Bursche geworden bist! Du lieber Mensch du! Und wie ich dich erwartet habe! Ich wollte dir sozusagen mein Herz ausschütten... du bist ein Gelehrter; du bist der einzige Mensch, den ich habe... du und Korowkin. Ich muß dich darauf aufmerksam machen, daß hier alle auf dich böse sind. Sieh dich vor; benimm dich recht vorsichtig; sei auf der Hut!«
»Böse auf mich?« fragte ich und sah den Onkel erstaunt an, da ich nicht begriff, wodurch ich Leute erzürnt haben könne, die ich überhaupt nicht kannte. »Böse auf mich?«
»Ja, auf dich, lieber Freund. Was ist zu machen? Foma Fomitsch ist nun einmal ein bißchen... na, und Mama folgt seinem Beispiel. Überhaupt, sei vorsichtig, respektvoll, widersprich nicht, vor allem aber sei respektvoll...«
»Gegen Foma Fomitsch soll ich respektvoll sein, lieber Onkel?«
»Was soll man machen, mein Freund? Ich verteidige ihn ja nicht. Er hat vielleicht wirklich seine Fehler; und gerade jetzt, in diesem Augenblick... Ach, lieber Sergej, wie mich das alles beunruhigt! Wenn sich das doch alles in Ordnung bringen ließe und wir alle zufrieden und glücklich lebten!... Aber freilich, wer ist ohne Fehler? Wir sind ja nicht von Gold!«
»Aber ich bitte Sie, lieber Onkel! Bedenken Sie doch nur, was er tut...«
»Ach, lieber Freund, es ist ja alles nur leeres Gezänk und weiter nichts! Da will ich dir zum Beispiel etwas erzählen: jetzt ist er auf mich böse, und was meinst du wohl, warum?... Übrigens bin ich vielleicht selbst mit daran schuld. Ich werde es dir lieber ein andermal erzählen...«
»Wissen Sie, lieber Onkel, ich bin zu einer eigenartigen Auffassung gelangt«, unterbrach ich ihn, da ich es eilig hatte, meine Auffassung auszusprechen. Auch hatten wir es alle beide eilig. »Erstens ist er Possenreißer gewesen; das hat ihn verbittert, gebeugt, ihm seine Ideale zerstört; und so hat sich denn bei ihm ein krankhafter Ingrimm herausgebildet, ein Verlangen, sich sozusagen an der ganzen Menschheit zu rächen... Aber wenn man ihn mit der Menschheit versöhnen, seine bessere Natur wiederherstellen könnte...«
»Richtig, richtig!« rief mein Onkel ganz entzückt; »ganz richtig! Ein ausgezeichneter Gedanke! Wir müßten uns schämen, und es wäre unedel von uns, wenn wir ihn verdammen wollten! Ganz richtig!... Ach, mein Freund, du verstehst mich; du hast mir Trost gebracht! Wenn doch bloß dort alles wieder in Ordnung käme! Weißt du, ich fürchte mich sogar, mich dort zu zeigen. Da bist du nun angekommen, und ich werde dafür mit Sicherheit gehörig etwas abkriegen!«
»Lieber Onkel, wenn es so ist...«, begann ich, durch dieses Geständnis in arge Verlegenheit versetzt.
»Nein, nein, nein! Um keinen Preis in der Welt!« rief er und ergriff meine Hände. »Du bist mein Gast, und ich will es so!«
Alles dies erregte mein größtes Erstaunen.
»Lieber Onkel, sagen Sie mir doch gleich«, begann ich in energischem Tone, »warum Sie mich hergerufen haben. Was erhoffen Sie von mir, und vor allem: inwiefern haben Sie mir gegenüber eine Schuld auf sich geladen?«
»Mein Freund, frage nicht danach! Später, später! Alles dies wird später seine Aufklärung finden! Ich habe mich vielleicht in vieler Hinsicht schuldig gemacht; aber ich wollte wie ein ehrenhafter Mensch verfahren, und... und... du wirst sie heiraten! Du wirst sie heiraten, wenn du nur einen Funken edler Gesinnung besitzt!« fügte er hinzu; er errötete über das ganze Gesicht infolge einer Empfindung, die ihn plötzlich überkam, und drückte mir entzückt und kräftig die Hand. »Aber genug; kein Wort mehr! Du wirst bald alles erfahren. Alles wird von dir abhängen... Die Hauptsache ist, daß du jetzt dort gefällst und einen guten Eindruck machst. Vor allem: werde nicht verlegen!«
»Aber hören Sie, lieber Onkel, wer ist denn da bei Ihnen? Ich muß gestehen, ich habe mich so wenig in Gesellschaft bewegt, daß...«
»Daß du ein bißchen Bange hast?« unterbrach mich der Onkel lächelnd. »Ach, dazu ist kein Grund! Es sind lauter Verwandte und gute Bekannte; nur Courage! Vor allem habe Courage und fürchte dich nicht! Ich selbst fürchte mich etwas um deinetwillen. Wer da bei uns ist, fragst du? Ja, wer ist denn bei uns? Erstens Mama«, begann er eilig. »Du erinnerst dich wohl noch an Mama? Eine sehr gutherzige, vornehm denkende alte Dame; ohne Ansprüche, kann man sagen; ein bißchen altmodisch; aber das ist gerade nett. Na, weißt du, manchmal hat sie so wunderliche Anschauungen und redet so ein bißchen eigentümlich; mir ist sie jetzt böse; aber ich bin selbst schuld daran; ich weiß, daß ich daran schuld bin! Na, schließlich – sie ist ja, was man nennt, eine grande dame, eine Generalin... ihr Mann war ein ganz vortrefflicher Mensch: erstens war er General, ein gebildeter Mensch; Vermögen hinterließ er nicht; aber dafür war er ganz mit Wunden bedeckt; kurz, er hatte sich die allgemeine Achtung erworben! Dann Fräulein Perepelizyna. Nun ja, die... ich weiß nicht... in der letzten Zeit war sie so merkwürdig... so ein eigenartiger Charakter... Aber freilich, man darf nicht über einen jeden den Stab brechen... Na, ich will ihr nichts Schlechtes nachsagen... Glaube nur nicht, daß sie so eine Schmarotzerin wäre. Sie ist selbst eine Oberstleutnantstochter, lieber Freund. Mamas Busenfreundin! Dann, mein Bester, ist da meine Schwester Praskowja Iljinitschna. Na, von der brauche ich nicht viel zu sagen: ein schlichtes, gutherziges Wesen; etwas zu geschäftig und neugierig; aber dafür hat sie ein prächtiges Herz! Sieh du nur besonders auf das Herz; sie ist ein altes Jüngferchen; aber, weißt du, dieser wunderliche Kauz, der Bachtschejew, macht ihr anscheinend den Hof und will sich um sie bewerben. Aber schweig davon; es ist ein großes Geheimnis! Na, wer ist denn noch von unseren Leuten da? Von den Kindern rede ich nicht; du wirst sie ja selbst sehen. Ilja hat morgen seinen Namenstag... Ja, halt! Beinah hätte ich das vergessen: es logiert bei uns, siehst du, schon einen ganzen Monat lang Iwan Iwanowitsch Misintschikow; er ist ja wohl dein Vetter dritten Grades; ja, ganz richtig, dritten Grades. Er hat vor kurzem als Husarenleutnant seinen Abschied genommen; er ist ein noch junger Mann. Eine herrliche Seele! Aber, weißt du, er hat sein Vermögen so durchgebracht, daß ich gar nicht begreife, wie er das so schnell fertiggekriegt hat. Übrigens, viel hat er nicht besessen; aber er hat es durchgebracht und Schulden gemacht. Jetzt wohnt er bei mir. Ich hatte bis dahin überhaupt nichts von ihm gewußt; er kam an und stellte sich selbst vor. Ein liebenswürdiger, gutmütiger, friedlicher, respektvoller Mensch. Bis jetzt hat ihn noch keiner reden hören. Er schweigt immer. Foma hat ihm spottweise den Spitznamen ›der schweigsame Unbekannte‹ gegeben; aber er macht sich nichts daraus; er nimmt es nicht übel. Foma ist mit ihm zufrieden; er sagt von Iwan, es sei nicht viel mit ihm los. Übrigens widerspricht ihm Iwan nie und stimmt ihm in allen Dingen bei. Hm! Er ist so niedergeschlagen... Na, Gott helfe ihm auf! Du wirst ja selbst sehen. Dann sind da noch Gäste aus der Stadt: Pawel Semjonowitsch Obnoskin mit seiner Mutter; ein junger Mensch, aber außerordentlich vernünftig; er hat so etwas Gereiftes, weißt du, Unerschütterliches... Ich kann mich nur nicht so recht ausdrücken. Und außerdem ist er von einer hervorragenden Sittsamkeit und hat strenge moralische Grundsätze! Na, und endlich logiert bei uns noch, siehst du, eine gewisse Tatjana Iwanowna; sie wird wohl ganz entfernt mit uns verwandt sein; du kennst sie nicht; sie ist unverheiratet, nicht mehr jung, das muß man zugeben; aber – ein angenehmes Mädchen; sie ist so reich, lieber Freund, daß sie zwei solche Güter wie Stepantschikowo kaufen könnte; sie hat erst kürzlich geerbt; bis dahin führte sie ein klägliches Leben. Behandle sie bitte recht behutsam, lieber Sergej: sie hat etwas Krankhaftes... weißt du, etwas Exaltiertes in ihrem Charakter, Na, du bist ja ein edeldenkender Mensch und wirst dafür Verständnis haben; weißt du, sie hat viel Unglück durchgemacht! Denke übrigens nichts Schlimmes von ihr! Gewiß, sie hat ihre Schwächen: sie spricht zu schnell, verhaspelt sich manchmal, trifft nicht das richtige Wort; nicht daß sie löge, glaube das nicht... das alles, lieber Freund, kommt bei ihr sozusagen aus einem reinen, edlen Herzen; das heißt, wenn sie wirklich etwas hinzulügt, so tut sie das doch einzig und allein aus übermäßigem Edelsinn ihres Herzens – du verstehst?«