Es schien mir, daß der Onkel schrecklich verlegen geworden war.
»Hören Sie, lieber Onkel«, sagte ich, »ich habe Sie so herzlich lieb... verzeihen Sie mir eine offenherzige Frage: werden Sie eine dieser Damen heiraten?«
»Von wem hast du denn so etwas gehört?« antwortete er und wurde dabei rot wie ein Kind. »Siehst du, mein Freund, ich will dir alles auseinandersetzen. Erstens werde ich nicht heiraten. Mama, zum Teil auch meine Schwester und ganz besonders Foma Fomitsch, den Mama vergöttert (und mit Grund, mit Grund; denn er hat viel für sie getan), die wollen alle, daß ich ebendiese Tatjana Iwanowna heiraten soll, aus Vernunftgründen, das heißt zum Segen für die Familie. Gewiß, sie wünschen ja nur mein Bestes, das sehe ich ein; aber ich will um keinen Preis heiraten; das habe ich mir fest vorgenommen. Trotzdem habe ich es nicht verstanden, auf den Vorschlag zu antworten: ich habe weder Ja noch Nein gesagt. Das geht mir immer so, lieber Freund. Sie haben gedacht, ich sei einverstanden, und wollen nun durchaus, daß ich ihr morgen bei dem Familienfest einen Antrag machen soll... und so stehen mir denn für morgen solche Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten bevor, daß ich gar nicht weiß, was ich anfangen soll! Überdies ist Foma Fomitsch auf mich böse, ich weiß nicht warum, und Mama ebenfalls. Ich muß dir gestehen, lieber Freund, ich habe dich und Korowkin sehnsüchtig erwartet... ich wollte euch mein Herz ausschütten, sozusagen...«
»Aber inwiefern wird Ihnen denn Korowkin helfen, lieber Onkel?«
»Er wird mir helfen, lieber Freund, er wird mir helfen. Er ist dazu imstande; mit einem Wort: er ist ein Mann der Wissenschaft! Ich setze meine Hoffnung auf ihn wie auf einen Felsenberg; er hat so etwas Sieghaftes an sich! Wie er über das Glück des Familienlebens reden kann! Ich muß gestehen, auch auf dich habe ich gehofft; ich dachte, du wirst sie schon zur Vernunft bringen. Sage doch selbst: nun ja, allerdings, ich habe mich schuldig gemacht, ich habe mich tatsächlich schuldig gemacht; das sehe ich alles ein; ich bin ja nicht unverständig und gefühllos. Na, aber sie könnten mir doch auch endlich einmal verzeihen! Was würden wir dann für ein Leben führen!... Ach, lieber Freund, wie ist meine Alexandra herangewachsen; sie könnte gleich vor den Traualtar treten! Und was für ein hübscher Bursche ist mein Ilja geworden! Morgen feiert er seinen Namenstag. Meine heißblütige Alexandra macht mir einige Sorge... ja, ja!«
»Lieber Onkel, wo ist denn mein Koffer? Ich werde mich umkleiden und sogleich dort erscheinen, und dann...«
»Im Zwischengeschoß, lieber Freund, im Zwischengeschoß. Ich hatte schon im voraus Befehl gegeben, dich, sobald du ankämest, geradeswegs nach dem Zwischengeschoß zu führen, damit dich niemand sähe. Gewiß, gewiß, zieh dich um! Das ist gut, sehr schön, sehr schön! Ich aber werde inzwischen dort alle ein bißchen vorbereiten. Na, Gott möge uns helfen! Weißt du, lieber Freund, man muß schlau vorgehen. Man wird, ob man nun will oder nicht, zu einem Talleyrand. Nun, das schadet nichts! Dort sind sie jetzt beim Teetrinken. Der Tee wird bei uns früh getrunken; denn Foma Fomitsch trinkt ihn gern, gleich wenn er vom Mittagsschläfchen aufwacht; und das ist ja auch besser, weißt du... Na, dann will ich also hingehen, und du komm mir nur möglichst bald nach; laß mich nicht allein; es ist mir unbehaglich, lieber Freund, wenn ich da so mit ihnen allein bin... Ja! Warte! Da habe ich noch eine Bitte; schilt mich dort nicht, wie du es soeben hier getan hast, ja? Wenn du mir eine tadelnde Bemerkung machen willst, so tue es nachher, hier, unter vier Augen; aber bis dahin beherrsche dich und warte! Ich bin dort sowieso schon unten durch. Sie sind auf mich böse...«
»Hören Sie, lieber Onkel, nach allem, was ich gesehen und gehört habe, scheint es mir, daß Sie...«
»Eine Nachtmütze sind, nicht wahr? Sprich es nur ruhig aus!« unterbrach er mich ganz unerwartet. »Was soll ich tun, lieber Freund? Ich weiß das ja auch selbst. Na, also, du wirst kommen? Bitte, komm so bald wie möglich!«
Als ich nach oben gekommen war, öffnete ich eilig meinen Koffer, um mich nach der Weisung meines Onkels möglichst schnell nach unten zu begeben. Beim Umkleiden wurde mir klar, daß ich von dem, was ich erfahren wollte, noch fast nichts wußte, obwohl mein Gespräch mit dem Onkel eine ganze Stunde gedauert hatte. Das frappierte mich. Nur eines war mir einigermaßen klar: der Onkel wünschte immer noch energisch, daß ich heiraten möchte; folglich waren alle gegenteiligen Gerüchte, nämlich daß der Onkel in ebendiese junge Person selbst verliebt sei, unzutreffend. Ich erinnere mich, daß ich mich in großer Unruhe befand. Unter anderm kam mir der Gedanke, daß ich durch meine Ankunft und durch mein Schweigen dem Onkel gegenüber beinahe ein Versprechen erteilt, mein Wort gegeben und mich für das ganze Leben gebunden hatte. ›So leicht ist es‹, dachte ich, ›ein Wort zu sagen, das einen dann lebenslänglich an Händen und Füßen bindet. Und dabei habe ich das junge Mädchen noch nicht einmal gesehen!‹ Und dann wieder fragte ich mich: ›Woher denn diese Feindschaft der ganzen Familie gegen mich? Was veranlaßt sie alle, nach der Versicherung des Onkels, meine Ankunft mit so mißgünstigen Blicken anzusehen? Und was für eine sonderbare Rolle spielt mein Onkel selbst hier in seinem eigenen Haus? Woher sein geheimnisvolles Benehmen? Woher all seine Angst und Pein?‹ Ich muß gestehen, daß das alles mir auf einmal als völliger Nonsens erschien; meine romantischen, heroischen Träumereien aber waren beim ersten Zusammenstoß mit der Wirklichkeit gänzlich zerstoben. Erst jetzt, nach dem Gespräch mit meinem Onkel, trat mir die ganze Ungereimtheit, die ganze Absurdität seines Vorschlags vor Augen, und ich sagte mir, daß einen solchen Vorschlag unter solchen Umständen eben nur mein Onkel zu machen fähig war. Ich sagte mir ferner, daß auch ich selbst, der ich auf seine erste Aufforderung hin im Entzücken über seinen Vorschlag Hals über Kopf hierhergejagt war, sehr viel Ähnlichkeit mit einem Dummkopf hatte. Ich kleidete mich eilig um und war dabei so stark mit meinen unruhigen Gedanken beschäftigt, daß ich anfänglich den Diener, der mir behilflich war, gar nicht bemerkte.