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»Belieben Sie die adelaidenfarbene Krawatte anzulegen oder diese kleinkarierte?« fragte der Diener auf einmal, indem er sich mit außerordentlich gekünstelter Höflichkeit an mich wandte.

Ich sah ihn an und hatte den Eindruck, daß auch er Beachtung verdiente. Er war ein noch junger Mann, für einen Diener sehr schön gekleidet, nicht schlechter als mancher Stutzer in einer Gouvernementsstadt. Der braune Frack, die weißen Beinkleider, die strohgelbe Weste, die Halbstiefel von Lackleder und die rosa Krawatte waren augenscheinlich mit besonderer Sorgfalt ausgewählt. Alles dies mußte den Beschauer sofort auf den feinen Geschmack des jungen Elegants aufmerksam machen. Die Uhrkette war zweifellos zu gleichem Zweck sehr sichtbar angebracht. Sein Gesicht war blaß, ja grünlich, die Nase groß, gebogen, schmal und ungewöhnlich weiß, als wäre sie von Porzellan. Das Lächeln auf seinen schmalen Lippen brachte eine gewisse Traurigkeit, eine feine Traurigkeit zum Ausdruck. Die großen, vorstehenden, gläsern aussehenden Augen hatten einen außerordentlich stumpfen Blick; aber doch leuchtete aus ihnen gleichzeitig ebenjene Feinheit heraus. Seine dünnen, weichen Ohren waren um der Feinheit willen mit Watte zugestopft. Das lange, hellblonde, dünne Haar war in Locken gedreht und pomadisiert. Seine kleinen Hände waren weiß und sauber und wohl mit Rosenwasser gewaschen; die Finger endeten mit stutzerhaften, langen, rosafarbenen Nägeln. All das zeugte von Verwöhnung, Geckenhaftigkeit und Vermeidung gröberer Arbeit. Er lispelte und sprach nach neuester Mode das R nicht richtig aus, richtete die Augen abwechselnd nach oben und nach unten und seufzte und kokettierte in einer unglaublichen Weise. Er duftete nach Parfüm. Er war von kleiner Statur, schwächlich und welk und knickte beim Gehen in eigentümlicher Weise ein, wahrscheinlich weil er darin die höchste Feinheit sah, – kurz, er war ganz von Feinheit, auserlesenem Geschmack und einem außerordentlichen Gefühle der eigenen Würde durchtränkt. Letzterer Umstand mißfiel mir sehr stark, ohne daß ich mir über den Grund hätte Rechenschaft geben können.

»Also diese Krawatte ist adelaidenfarben?« fragte ich und sah den jungen Diener ernst an.

»Jawohl, adelaidenfarben«, antwortete er, ohne sich in seinem feinen Benehmen beirren zu lassen.

»Aber gibt es keine Agrafena-Farbe?«

»Nein; eine solche Farbe kann es gar nicht geben.«

»Warum denn nicht?«

»Weil Agrafena ein unfeiner Name ist.«

»Wieso unfein? Warum?«

»Nun, das ist klar: Adelaida ist wenigstens ein ausländischer Name und hat dadurch einen edlen Klang; aber Agrafena kann jedes Weib aus den niedrigsten Ständen heißen.«

»Du hast wohl den Verstand verloren?«

»Durchaus nicht; ich bin bei vollem Verstand. Allerdings steht es ganz in Ihrem Belieben, mich in jeder erdenklichen Weise zu schelten; aber viele Generale und sogar mehrere Grafen in der Residenz sind mit meiner Redeweise zufrieden gewesen.«

»Wie heißt du denn?«

»Widopljassow.«

»Ah! Also du bist Widopljassow?«

»Ganz richtig.«

»Nun, warte nur, lieber Freund; wir werden uns auch noch näher kennenlernen.«

»Das ist ja hier fast so, als ob man in Bedlam wäre« dachte ich bei mir, während ich nach unten ging.

IV

Beim Tee

Das Teezimmer war ebenjenes Zimmer, von dem aus man auf die Terrasse kam, wo ich vorhin Gawrila getroffen hatte. Die geheimnisvollen Voraussagen meines Onkels über den mir bevorstehenden Empfang beunruhigten mich sehr. Die Jugend ist manchmal maßlos eitel, und diese jugendliche Eitelkeit ist fast immer mit Feigheit gepaart. Man kann sich daher denken, wie unangenehm mir der folgende Vorfall war. Kaum war ich in die Tür getreten und hatte die ganze um den Teetisch versammelte Gesellschaft überblickt, als ich über den Teppich stolperte und stark ins Schwanken geriet; zwar gelang es mir noch, das Gleichgewicht zu bewahren; aber ich flog doch in recht unerwarteter Weise mitten ins Zimmer hinein. Vollkommen bestürzt, als hätte ich mit einem Mal meine ganze Karriere verdorben und meine Ehre und meinen guten Namen verloren, stand ich regungslos da, wurde rot wie ein Krebs und starrte gedankenlos die Anwesenden an. Ich erwähne diesen an sich ganz unerheblichen Vorfall einzig deswegen, weil er großen Einfluß auf meine Gemütsstimmung für fast den ganzen Rest jenes Tages und somit auch auf meine Beziehungen zu einigen der handelnden Personen meiner Erzählung hatte. Ich versuchte, eine Verbeugung zu machen, führte dies aber nicht bis zu Ende durch, sondern stürzte, noch tiefer errötend, auf meinen Onkel zu und ergriff seine Hand.

»Guten Tag, lieber Onkel«, sagte ich, mühsam atmend; ich hatte zwar etwas ganz anderes, weit Geistreicheres sagen wollen; aber unversehens brachte ich nur dieses ›Guten Tag‹ heraus.

»Guten Tag, guten Tag, lieber Freund!« antwortete mein Onkel, dem ich offenbar leid tat; »wir haben uns ja schon begrüßt. Sei nur nicht verlegen!« fügte er flüsternd hinzu; »das kann jedem passieren, und es ging ja noch glücklich ab! Mancher fällt dabei längelang hin!... Nun, aber jetzt, Mama, gestatten Sie, daß ich Ihnen unsern jungen Mann hier vorstelle; er ist ein bißchen verlegen geworden; aber Sie werden ihn sicherlich liebgewinnen. Mein Neffe Sergej Alexandrowitsch«, fügte er, sich zu allen insgesamt wendend, hinzu.

Aber bevor ich in der Erzählung fortfahre, möge mir der liebenswürdige Leser gestatten, ihm die ganze Gesellschaft, in die ich so plötzlich hereingeschneit war, mit Namen vorzustellen. Das ist sogar für das richtige Verständnis der Erzählung notwendig.

Die ganze Gesellschaft bestand aus mehreren Damen und nur zwei Herren, wenn ich mich und den Onkel nicht mitzähle. Foma Fomitsch, den ich so sehr zu sehen wünschte und der, wie ich schon damals fühlte, der allmächtige Herrscher des ganzen Hauses war, befand sich nicht im Zimmer: er glänzte durch Abwesenheit, und es schien, als habe er alle Helligkeit aus dem Zimmer mit sich fortgenommen. Alle waren ernst und düster. Das mußte einem beim ersten Blicke auffallen; wie verwirrt und verlegen ich auch selbst in diesem Augenblick war, so sah ich doch, daß zum Beispiel mein Onkel beinah ebenso verlegen war wie ich, obwohl er die größten Anstrengungen machte, seine Unruhe unter scheinbarer Zwanglosigkeit zu verbergen. Es lastete gleichsam ein schwerer Stein auf seinem Herzen. Einer der beiden im Zimmer anwesenden Männer war noch recht jung, etwa fünfundzwanzig Jahre alt, ebenjener Obnoskin, von dem mein Onkel vorher gesprochen hatte, indem er seinen Verstand und seine Moral lobte. Dieser Herr mißfiel mir außerordentlich; alles an ihm ließ einen gewissen Schick, gleichzeitig aber auch schlechten Geschmack erkennen; sein Anzug machte trotz des Schicks einen schäbigen, kümmerlichen Eindruck; auch in seinem Gesicht lag etwas Schäbiges. Sein hellblonder, dünner Schnurrbart und sein mißlungenes, flockiges Kinnbärtchen waren augenscheinlich dazu bestimmt, einen selbständig und vielleicht freigeistig denkenden Menschen erkennen zu lassen. Er kniff fortwährend die Augen zusammen, lächelte in einer gekünstelt giftigen Manier, rutschte auf seinem Stuhl herum und sah mich alle Augenblicke durch seine Lorgnette an, ließ dieselbe aber, sobald ich mich ihm zuwandte, sofort sinken, als ob er Angst bekäme. Der andere Herr, ebenfalls ein noch junger Mann von etwa achtundzwanzig Jahren, war mein entfernter Vetter Misintschikow. Er war tatsächlich außerordentlich schweigsam. Beim Tee sprach er die ganze Zeit über auch nicht eine Silbe und lachte nicht mit, wenn alle andern lachten; aber ich nahm an ihm durchaus nicht jene Niedergeschlagenheit wahr, die mein Onkel an ihm gesehen hatte; im Gegenteil bekundete der Blick seiner hellbraunen Augen einen festen, bestimmten Charakter. Misintschikow hatte einen dunklen Teint, schwarzes Haar und war recht hübsch; er war sehr anständig gekleidet, wie ich nachher erfuhr, auf Kosten meines Onkels. Von den Damen fiel mir vor allen Fräulein Perepelizyna durch ihr ungewöhnlich boshaftes, blutleeres Gesicht auf. Sie saß neben der Generalin (von der später besonders die Rede sein wird), aber nicht in einer Reihe mit ihr, sondern aus Respekt etwas zurück; alle Augenblicke bog sie sich zu ihrer Gönnerin hin und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Zwei oder drei bejahrte arme Klientinnen saßen völlig stumm in einer Reihe am Fenster, warteten in aller Ergebenheit darauf, daß ihnen Tee gereicht werde, und blickten die Generalin mit weitaufgerissenen Augen an. Mein Interesse erregte auch eine dicke, ganz auseinandergegangene Dame von ungefähr fünfzig Jahren; sie war sehr geschmacklos und grellfarben gekleidet, anscheinend geschminkt und hatte fast keine Zähne mehr; an deren Stelle ragten in ihrem Munde nur einige schwärzliche, abgebrochene Stummel hervor; dies hinderte sie aber nicht, mit gezierter Stimme zu sprechen, die Augen zusammenzukneifen, sich mit modischer Affektiertheit zu benehmen und sogar zu kokettieren. Sie war mit einer Menge Kettchen behängt und richtete, ebenso wie Monsieur Obnoskin, fortwährend ihre Lorgnette auf mich. Dies war seine Mutter. Die stille, friedliche Praskowja Iljinitschna, meine Tante, goß den Tee ein. Sie hatte offenbar die größte Lust, mich nach der langen Trennung zu umarmen und selbstverständlich dabei zu weinen; aber sie wagte es nicht. Alles hier schien sich unter einem Banne zu befinden. Neben ihr saß ein sehr hübsches, schwarzäugiges, fünfzehnjähriges Mädchen, das mich unverwandt mit kindlicher Neugier betrachtete, meine Kusine Alexandra. Endlich und vielleicht am allermeisten fiel mir noch eine sehr seltsame Dame auf, welche luxuriös und sehr jugendlich gekleidet war, obwohl sie keineswegs mehr zur Jugend gehörte, sondern mindestens fünfunddreißig Jahre alt sein mochte. Ihr Gesicht war sehr mager, blaß und vertrocknet, wirkte aber überaus enthusiastisch. Eine helle Röte erschien alle Augenblicke auf ihren blassen Wangen, fast bei jeder Gemütsbewegung, bei jeder Erregung. In Erregung war sie ununterbrochen; sie rutschte auf ihrem Stuhl herum und schien nicht imstande zu sein, auch nur einen Augenblick ruhig zu sitzen. Sie betrachtete mich mit größter Neugier und bog sich fortwährend zu Alexandra oder ihrer anderen Nachbarin hinüber, um diesen etwas ins Ohr zu flüstern, und brach dann immer sogleich in ein sehr gutherziges, kindlich vergnügtes Gelächter aus. Aber all ihr seltsames Gebaren zog zu meiner Verwunderung niemandes Aufmerksamkeit auf sich, als wäre das vorher abgesprochen worden. Ich erriet, daß dies Tatjana Iwanowna war, ebendie Dame, die nach dem Ausdrucke meines Onkels etwas Exaltiertes an sich hatte, die man ihm zur Braut bestimmt hatte und der fast alle im Hause wegen ihres Reichtums den Hof machten. Übrigens gefielen mir ihre blauen, sanften Augen, und obgleich um diese Augen herum schon kleine Fältchen sichtbar waren, so war doch der Blick derselben so harmlos, heiter und gutmütig, daß es eine besonders angenehme Empfindung war, ihm zu begegnen. Von dieser Tatjana Iwanowna, einer der wirklichen ›Heldinnen‹ meiner Erzählung, werde ich später ausführlicher sprechen; ihre Biographie ist sehr interessant.