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»Ist das jener Vol-ti-geur?« wandte sie sich, kaum den Mund öffnend, in gedehntem Tone an Fräulein Perepelizyna.

Diese dumme Frage brachte mich vollständig aus der Fassung. Ich begriff nicht, warum sie mich einen Voltigeur nannte. Aber solche Fragen waren bei ihr noch nicht das Schlimmste. Fräulein Perepelizyna neigte sich zu ihr und flüsterte ihr etwas ins Ohr; aber die Alte winkte ärgerlich ab. Ich stand mit offenem Munde da und sah den Onkel fragend an. Alle wechselten Blicke miteinander; und Obnoskin grinste sogar, was mir höchlichst mißfiel.

»Sie verspricht sich manchmal, lieber Freund«, flüsterte mir der Onkel zu, der ebenfalls etwas betroffen war; »aber das hat nichts zu bedeuten; sie meint es nicht schlimm; es kommt aus gutem Herzen. Sieh nur vor allem auf das Herz!«

»Ja, das Herz, das Herz!« erscholl auf einmal die helle Stimme Tatjana Iwanownas, die während der ganzen Zeit ihren Blick nicht von mir gewandt hatte und nicht ruhig auf ihrem Platz sitzen konnte; wahrscheinlich war das geflüsterte Wort ›Herz‹ an ihr Ohr gedrungen.

Aber sie sprach nicht zu Ende, obwohl sie offenbar Lust hatte, noch etwas zu sagen. War sie nun verlegen geworden oder hatte sie irgendeinen andern Grund, genug, sie verstummte auf einmal, wurde dunkelrot, beugte sich schnell zu der Gouvernante hin, flüsterte ihr etwas ins Ohr und brach plötzlich, den Mund mit einem Taschentuch bedeckend und sich gegen die Lehne des Sessels zurückwerfend, in ein krampfhaftes Gelächter aus. In größtem Erstaunen blickte ich alle ringsum an; aber zu meiner Verwunderung waren sie alle ganz ernst und machten Gesichter, als hätte sich nichts Besonderes ereignet. Ich begriff nun natürlich, was mit Tatjana Iwanowna los war. Endlich wurde mir Tee gereicht, und ich konnte mich ein wenig sammeln. Ich weiß nicht warum, aber ich glaubte auf einmal, ich sei verpflichtet, ein recht liebenswürdiges Gespräch mit den Damen anzuknüpfen.

»Sie hatten recht, lieber Onkel«, begann ich, »als Sie mir vorhin prophezeiten, es sei leicht möglich, daß ich verlegen werden würde. Ich gestehe offenherzig (wozu soll ich es verbergen?)«, fuhr ich fort, indem ich mich mit einem einschmeichelnden Lächeln an Madame Obnoskina wandte, »daß ich mich bisher fast noch gar nicht in Damengesellschaft bewegt habe, und als mir jetzt bei meinem Eintritt jenes Mißgeschick begegnete, da hatte ich die Empfindung, daß meine theatralische Stellung mitten im Zimmer wohl sehr lächerlich sei und einigermaßen an den ›Weichling‹ erinnere; nicht wahr? Sie haben gewiß den ›Weichling‹ gelesen?« schloß ich. Ich war immer mehr in Verwirrung geraten, errötete über meine schmeichlerische Offenherzigkeit und blickte drohend Monsieur Obnoskin an, der mich immer noch grinsend von Kopf bis Fuß musterte. »Richtig, richtig, richtig!« rief der Onkel auf einmal mit großer Lebhaftigkeit; er freute sich aufrichtig darüber, daß das Gespräch ein bißchen in Gang kam und ich meine Fassung wiedergewonnen hatte. »Das ist noch nichts, was du da sagst, lieber Freund, daß man leicht verlegen werden kann. Na, wenn einer verlegen geworden ist, davon spricht nachher kein Mensch mehr! Aber ich, lieber Freund, habe bei meinem ersten Debüt sogar gelogen; kannst du das glauben? Nein, wirklich, Anfissa Petrowna, ich kann Ihnen sagen, es ist eine interessante Geschichte. Ich war soeben als Fähnrich eingetreten, da kam ich nach Moskau und begab mich mit einem Empfehlungsbrief zu einer sehr vornehmen Dame; das heißt, sie war sehr hochmütig, aber im Grunde wirklich herzensgut; da war nichts dagegen zu sagen. Ich kam hin und wurde empfangen. Der Salon war voller Menschen, lauter vornehmes Volk. Ich verbeugte mich und nahm Platz. Gleich beim zweiten Satz fragte sie mich: ›Haben Sie auch ein Gut, lieber Freund?‹ Nun besaß ich damals auch nicht ein einziges Huhn; was sollte ich antworten? Ich war entsetzlich verlegen. Alle sahen mich an; na, und ich war doch nur so ein armseliger Fähnrich! Nun, warum hätte ich nicht sagen können: ›Nein‹; das wäre anständig gewesen; denn ich hätte damit die Wahrheit gesagt. Aber ich brachte es nicht fertig! ›Ja‹, antwortete ich, ›hundertsiebzehn Seelen.‹ Und warum hängte ich noch diese siebzehn daran? Wenn ich denn einmal log, so hätte ich doch eine runde Zahl erfinden sollen, nicht wahr? Einen Augenblick darauf hatte sich durch meinen Empfehlungsbrief herausgestellt, daß ich kahl wie eine Kirchenmaus war und obendrein gelogen hatte! Na, was sollte ich tun? Ich machte schleunigst, daß ich davonkam, und ließ mich seitdem nie wieder dort blicken. Ich besaß ja damals noch gar nichts. Was ich jetzt habe, habe ich alles erst später bekommen: dreihundert Seelen vom Onkel Afanassi Matwejewitsch und zweihundert Seelen nebst Kapitonowka schon vorher von der Großmutter Akulina Panfilowna, zusammen etwas über fünfhundert; das ist ein schöner Besitz! Aber dem Lügen habe ich seitdem abgeschworen und lüge nicht mehr.«

»Na, ich hätte dem an Ihrer Stelle nicht abgeschworen. Gott weiß, was noch kommen kann«, bemerkte Obnoskin, spöttisch lächelnd.

»Nun ja, da haben Sie recht, da haben Sie recht! Gott weiß, was noch kommen kann«, stimmte ihm der Onkel gutmütig bei.

Obnoskin lachte laut auf und warf sich gegen die Stuhllehne zurück; seine Mama lächelte; in einer besonders widerwärtigen Weise kicherte auch Fräulein Perepelizyna; auch Tatjana Iwanowna lachte, ohne zu wissen warum, und klatschte sogar in die Hände, – kurz, ich sah klar, daß der Onkel in seinem eigenen Haus als eine Null galt. Alexandra blickte mit ingrimmig funkelnden Augen unverwandt Obnoskin an. Die Gouvernante errötete und schlug die Augen nieder. Der Onkel war erstaunt.

»Was ist denn? Was ist passiert?« fragte er und blickte uns alle verwundert an.

Diese ganze Zeit über saß mein Vetter Misintschikow etwas abseits und schwieg; er lächelte nicht einmal, als alle laut loslachten. Er trank eifrig seinen Tee, betrachtete das ganze Publikum wie ein Philosoph und schickte sich mehrmals, wie in einem Anfalle von unerträglicher Langerweile, dazu an, zu pfeifen, wahrscheinlich aus alter Gewohnheit, hielt aber jedesmal noch rechtzeitig inne. Obnoskin, der sich über meinen Onkel lustig gemacht hatte und offenbar auch gegen mich ein Attentat plante, wagte, wie es schien, nicht, Misintschikow auch nur anzusehen: das fiel mir auf. Es fiel mir auch auf, daß mein schweigsamer Vetter häufig und sogar mit sichtlicher Neugier zu mir hinüberblickte, als wollte er gern genau feststellen, was für ein Mensch ich sei.

»Ich bin davon überzeugt«, plapperte auf einmal Madame Obnoskina los, »ich bin vollständig davon überzeugt, Monsieur Serge (so war ja doch wohl Ihr Name?), daß Sie in Ihrem Petersburg kein großer Verehrer der Damen gewesen sind. Ich weiß, es gibt jetzt dort viele, sehr viele junge Leute, die sich von Damengesellschaft völlig fernhalten. Aber meiner Ansicht nach sind das lauter Freigeister. Ich kann das nur als unverzeihliche Freigeisterei bezeichnen. Und ich muß Ihnen gestehen, das setzt mich in Erstaunen, das setzt mich in Erstaunen, junger Mann, das setzt mich geradezu in Erstaunen!...«

»Ich habe mich überhaupt nicht in Gesellschaft bewegt«, erwiderte ich mit großer Lebhaftigkeit. »Aber das macht nichts; so glaube ich wenigstens... Ich habe da nur so für mich gelebt... aber das macht nichts, versichere ich Ihnen. Ich werde nun Bekanntschaften suchen; bisher habe ich immer zu Hause gesessen...«

»Er hat sich mit den Wissenschaften beschäftigt«, bemerkte mein Onkel mit stolzer Miene.

»Ach, lieber Onkel, Sie immer mit Ihren Wissenschaften!... Stellen Sie sich vor«, fuhr ich, mich von neuem an Madame Obnoskina wendend, in sehr ungezwungenem Ton und mit einem liebenswürdigen Schmunzeln fort, »mein teurer Onkel ist von den Wissenschaften so begeistert, daß er auf der Chaussee einen wundertätigen, praktischen Philosophen, einen Herrn Korowkin, aufgegabelt hat; und das erste, was er heute nach so vielen Jahren der Trennung zu mir sagte, war, er erwarte diesen phänomenalen Wundertäter mit sozusagen krampfhafter Ungeduld... selbstverständlich aus Liebe zur Wissenschaft...«