»Geradeswegs aus der Stadt, mein Wohltäter! Geradeswegs von dort, Verehrtester! Ich werde alles erzählen; gestatten Sie mir nur zuerst, den Herrschaften meine Reverenz zu machen«, sagte der eingetretene alte Mann und ging gerade auf die Generalin zu; aber unterwegs blieb er stehen und wandte sich wieder an meinen Onkel.
»Sie kennen meinen wichtigsten Charakterzug, mein Wohltäter: ich bin ein Lump, ein richtiger Lump! Sobald ich irgendwo eintrete, suche ich sofort mit den Augen die wichtigste Person des Hauses; zu ihr lenke ich zuerst meine Schritte, um auf diese Weise gleich von vornherein ihre Gunst und Protektion zu erlangen. Ein Lump bin ich, mein Verehrtester, ein Lump, mein Wohltäter! Gestatten Sie mir, gnädige Frau, Exzellenz, Ihr Kleid zu küssen; denn Ihr goldenes Händchen, das Händchen einer Generalin, würde ich mit meinen Lippen beschmutzen.«
Die Generalin hielt ihm zu meiner Verwunderung ziemlich gnädig die Hand hin.
»Auch Ihnen, unserer Schönheit, mache ich meine Verbeugung«, fuhr er, sich zu Fräulein Perepelizyna wendend, fort. »Was soll man machen, gnädiges Fräulein: ich bin nun einmal ein Lump! Schon im Jahre 1841 wurde das Urteil gefällt, daß ich ein Lump sei, als ich vom Dienst ausgeschlossen wurde, gerade zu der Zeit, wo Walentin Ignatjewitsch Tichonzew hochwohlgeborener Kollegienassessor wurde; er wurde Kollegienassessor und ich ein Lump. Aber ich bin nun einmal von Natur so offenherzig, daß ich alles bekenne. Was soll man machen? Ich habe versucht, ehrenhaft zu leben, ich habe es versucht; aber jetzt muß ich es auf andere Weise versuchen. Alexandra Jegorowna, Sie unser Prachtäpfelchen«, fuhr er fort, indem er um den Tisch herumging und sich zu Alexandra durchdrängte; »erlauben Sie mir, Ihr Kleid zu küssen; von Ihnen, gnädiges Fräulein, geht ordentlich ein Duft wie nach Äpfeln und anderen delikaten Dingen aus. Dem jungen Herrn, der morgen seinen Namenstag feiert, bringe ich meinen ergebensten Gruß dar; ich habe Ihnen einen Bogen und Pfeile mitgebracht; ich habe selbst den ganzen Vormittag daran gearbeitet, und meine Kinderchen haben mir geholfen; damit können wir zusammen schießen. Wenn Sie aber groß sind, dann werden Sie Offizier werden und den Türken die Köpfe abhauen. Tatjana Iwanowna... ach, sie ist nicht da, meine Wohltäterin! Sonst würde ich auch ihr das Kleid küssen. Praskowja Iljinitschna, meine Hochverehrte, ich kann mich nicht zu Ihnen durchdrängen; sonst würde ich Ihnen nicht nur das Händchen, sondern auch das Füßchen küssen – ja gewiß! Anfissa Petrowna, ich drücke Ihnen meine uneingeschränkte Hochachtung aus. Noch heute habe ich für Sie, meine Wohltäterin, auf den Knien gebetet und Gott mit Tränen angefleht, und auch für Ihren lieben Sohn habe ich gebetet, daß Gott ihm alle möglichen Ehren und Talente bescheren möge, besonders alle möglichen Talente! Bei dieser Gelegenheit mache ich auch Ihnen, Iwan Iwanowitsch Misintschikow, meine untertänigste Verbeugung. Möge Gott Ihnen alles senden, was Sie sich selbst wünschen! Denn unsereiner bekommt nicht heraus, verehrter Herr, was Sie sich selbst wünschen; Sie sind gar zu schweigsam... Guten Tag, Nastasja! Alle meine Kleinen lassen dich grüßen; sie reden täglich von dir. Und jetzt auch dem Hausherrn meine ehrfurchtsvollste Verbeugung! Aus der Stadt komme ich, Euer Hochgeboren, direkt aus der Stadt. Dies hier ist gewiß Ihr Neffe, der auf der Universität gelehrte Studien getrieben hat? Ich bezeige Ihnen meinen tiefsten Respekt, mein Herr; gestatten Sie – Ihre Hand!«
Es wurde gelacht. Offenbar spielte der Alte freiwillig die Rolle eines Possenreißers. Seine Ankunft erheiterte die ganze Gesellschaft. Viele verstanden die sarkastischen Bemerkungen gar nicht, mit denen er fast jeden bedacht hatte. Nur die Gouvernante, die er zu meiner Verwunderung einfach Nastasja nannte, errötete und machte ein finsteres Gesicht. Ich machte Miene, meine Hand zurückzuziehen; aber darauf schien der Alte nur gewartet zu haben.
»Ich habe ja um Ihre Hand nur gebeten, um sie Ihnen zu drücken, verehrter Herr, falls Sie es erlauben, nicht aber, um sie Ihnen zu küssen. Sie dachten wohl, daß ich sie Ihnen küssen wollte? Nein, mein Teuerster, vorläufig nur drücken. Sie halten mich gewiß für einen herrschaftlichen Possenreißer, mein Wohltäter?« fragte er und sah mich dabei spöttisch an.
»N-nein, ich bitte Sie, ich...«
»Hm, hm, Verehrtester! Wenn ich ein Possenreißer bin, so ist es ein gewisser anderer hier ebenfalls! Sie können mir aber immerhin Achtung zollen: ich bin noch kein solcher Lump, wie Sie denken. Übrigens mag man mich meinetwegen auch einen Possenreißer nennen. Ich befinde mich in niedriger Lebensstellung und habe es mir außerdem zum Grundsatz gemacht, den Leuten zu schmeicheln. Sehen Sie, etwas profitiert man dabei doch immer, wenigstens soviel, daß man den Kinderchen Milch dafür kaufen kann. Jedem Menschen muß man Honig ums Maul schmieren; dann wird es einem besser gehn. Das teile ich Ihnen, lieber Herr, unter dem Siegel der Verschwiegenheit mit; vielleicht werden auch Sie diese Lebensregel einmal nötig haben. Fortuna hat mich mißhandelt, mein Wohltäter; darum bin ich jetzt ein Possenreißer.«
»Hi-hi-hi! Ach, was ist dieser Alte für ein Spaßmacher! Immer bringt er einen zum Lachen!« quäkte Anfissa Petrowna.
»Verehrte Dame, meine Wohltäterin, man kommt ja doch als Dummkopf besser durchs Leben! Hätte ich das früher gewußt, so hätte ich mich von klein auf wie ein Dummkopf benommen; dann könnte ich jetzt vielleicht ein verständiger Mensch sein. Aber da ich in meiner Jugend verständig sein wollte, so bin ich jetzt ein alter Dummkopf geworden.«
»Sagen Sie doch«, mischte sich Obnoskin ein, dem wahrscheinlich die Bemerkung über die Talente nicht gefallen hatte; er rekelte sich mit besonderer Ungeniertheit auf seinem Lehnstuhl und betrachtete den Alten durch sein Lorgnon wie einen Käfer; »sagen Sie doch... ich vergesse immer Ihren Familiennamen... wie heißen Sie doch?...«
»Ach, liebster Herr! Mein Familienname? Nun, meinetwegen, ich heiße Jeshewikin; aber kommt es denn darauf an? Da sitze ich nun schon neun Jahre ohne Stelle da und lebe nur so dahin nach dem Naturgesetz. Aber Kinder habe ich, Kinder, ein ganzes Rudel! Wie es in dem Sprichwort heißt: ›Der Reiche hat viele Rinder, der Arme viele Kinder‹...«
»Na ja... Rinder... aber das gehört nicht hierher. Also hören Sie mal, ich wollte Sie schon längst fragen: warum sehen Sie, wenn Sie eintreten, immer gleich nach hinten? Das wirkt sehr lächerlich.«
»Warum ich nach hinten sehe? Ich habe immer die Vorstellung, lieber Herr, als wolle mich jemand von hinten mit der flachen Hand wie eine Fliege totschlagen; darum sehe ich nach hinten. Es ist so eine fixe Idee von mir, lieber Herr.«
Wieder wurde gelacht. Die Gouvernante erhob sich halb, um wegzugehen, ließ sich dann aber doch wieder auf ihren Stuhl zurücksinken. Ihr Gesicht zeigte einen schmerzlichen, leidenden Ausdruck, trotz der Röte, die ihre Wangen übergoß.
»Weißt du, wer das ist, lieber Freund?« flüsterte mir mein Onkel zu. »Das ist ja ihr Vater!«
Ich sah den Onkel mit aufgerissenen Augen an. Der Name Jeshewikin war mir ganz aus dem Gedächtnis entschwunden gewesen. Ich hatte mich als edlen Helden gefühlt, hatte mich unterwegs angenehmen Träumereien über die mir vom Schicksal bestimmte Braut überlassen und mit Bezug auf sie großmütige Pläne entworfen, aber dabei ihren Familiennamen vollständig vergessen; oder, richtiger gesagt, ich hatte ihn von vornherein nicht beachtet.