Выбрать главу

»Wie, ihr Vater?« erwiderte ich, ebenfalls flüsternd. »Aber ich dachte, sie wäre eine Waise?«

»Es ist ihr Vater, lieber Freund, ihr Vater. Und weißt du, ein durchaus ehrenhafter, höchst anständig denkender Mensch; er trinkt nicht einmal; er spielt nur so aus freien Stücken den Possenreißer. Er lebt in schrecklicher Armut, lieber Freund; acht Kinder hat er noch außer Nastasja! Sie leben nur von Nastasjas Gehalt. Aus dem Amt hat man ihn wegen seiner scharfen Zunge hinausgeworfen. Er kommt jede Woche einmal hierher. Er ist so stolz, daß er um keinen Preis etwas annimmt. Ich habe ihm etwas angeboten, oftmals etwas angeboten; aber er nimmt nichts. Ein verbitterter Mensch!«

»Nun, lieber Jewgraf Larionowitsch, was gibt es Neues bei euch?« fragte der Onkel und schlug ihm kräftig auf die Schulter, da er bemerkte, daß der mißtrauische Alte schon auf unser Gespräch horchte.

»Was es Neues gibt, mein Wohltäter? Walentin Ignatjewitsch hat gestern in der Trischinschen Prozeßsache einen Bericht eingereicht. In Trischins Säcken hatte das Mehl nicht das volle Gewicht gehabt. Das ist derselbe Trischin, gnädige Frau, der, wenn er einen ansieht, ein Gesicht macht, als wollte er einen Samowar anblasen. Vielleicht erinnern Sie sich an ihn? Also Walentin Ignatjewitsch hat über Trischin geschrieben: ›Wenn der mehrfach erwähnte Trischin die Ehre seiner Nichte nicht hat behüten können‹ (die ist nämlich im vorigen Jahre mit einem Offizier durchgebrannt), ›wie konnte er dann fiskalisches Eigentum behüten?‹ Das hat er in seinem Bericht angebracht, wahrhaftig, ich lüge nicht.«

»Pfui! Was erzählen Sie für Skandalgeschichten!« rief Anfissa Petrowna.

»Gewiß, gewiß, gewiß! Das hättest du nicht erzählen sollen, lieber Jewgraf!« stimmte ihr der Onkel bei. »Paß auf, du wirst dich noch durch deine Zunge ins Unglück bringen! Du bist ein aufrichtiger, anständiger, ehrenhafter Mensch, das kann ich bezeugen; aber du hast eine spitze Zunge. Ich wundere mich, daß du da mit denen nicht in Frieden leben kannst! Es scheint ja doch, daß es gute, treuherzige Menschen sind...«

»Verehrter Wohltäter! Gerade solche treuherzigen Menschen fürchte ich!« rief der Alte besonders lebhaft.

Seine Antwort gefiel mir. Ich trat schnell auf Jeshewikin zu und drückte ihm kräftig die Hand. Die Wahrheit zu sagen, ich wollte gegen die allgemeine Meinung wenigstens dadurch protestieren, daß ich dem Alten offen meine Sympathie bekundete. Vielleicht aber (wer weiß das?), vielleicht wollte ich gern in Nastasja Jewgrafownas Achtung steigen. Aber dieser Schritt führte eigentlich zu nichts.

»Gestatten Sie die Frage«, sagte ich, wobei ich wie gewöhnlich errötete und verlegen wurde, »haben Sie von der Methode der Jesuiten gehört?«

»Nein, mein lieber Herr, davon habe ich nichts gehört; höchstens ein bißchen... wie sollte ich auch dazu kommen! Aber wieso?«

»Ich fragte nur so... Ich wollte ein Geschichtchen erzählen, das hierher paßt... Aber erinnern Sie mich lieber ein andermal daran! Jetzt will ich nur sagen: seien Sie versichert, daß ich Sie verstehe und... Sie zu schätzen weiß...«

In größter Verwirrung griff ich noch einmal nach seiner Hand.

»Ganz bestimmt werde ich daran denken, verehrter Herr, ganz bestimmt werde ich daran denken! Mit goldenen Buchstaben werde ich es mir ins Gedächtnis schreiben. Erlauben Sie, ich werde mir auch einen Knoten ins Taschentuch machen, um es nicht zu vergessen.«

Er suchte wirklich an seinem unsauberen und von Schnupftabak befleckten Taschentuch einen trockenen Zipfel und band einen Knoten hinein.

»Jewgraf Larionowitsch, nehmen Sie Ihren Tee!« sagte Praskowja Iljinitschna.

»Sofort, schöne Dame, sofort; das heißt: Prinzessin, nicht Dame! Das ist mein Dank für den Tee! Unterwegs habe ich Stepan Alexejewitsch Bachtschejew getroffen, meine Gnädigste! Was war der vergnügt! Zum Erstaunen! Ich dachte schon, er ginge auf Freiersfüßen. – Immer schmeicheln, immer schmeicheln!« sagte er flüsternd zu mir, als er mit seiner Teetasse an mir vorbeikam, blinzelte mir zu und kniff die Augen zusammen. »Aber wie geht es denn zu, daß der Hauptwohltäter Foma Fomitsch nicht zu sehen ist? Kommt er denn nicht zum Tee?«

Der Onkel zuckte zusammen, als ob ihm jemand einen Stich versetzt hätte, und blickte ängstlich zur Generalin hin.

»Ich weiß es wirklich nicht«, antwortete er in unsicherem Ton und in sonderbarer Verwirrung. »Er ist gerufen worden; aber er... Ich weiß wirklich nicht; vielleicht ist er nicht in der richtigen Stimmung. Ich habe schon Widopljassow hingeschickt und... aber soll ich vielleicht selbst hingehen?«

»Ich bin soeben bei ihm gewesen«, sagte Jeshewikin geheimnisvoll.

»Wirklich?« rief der Onkel erschrocken. »Nun, und wie steht’s?«

»Ich bin zuallererst zu ihm gegangen, um ihm meine Aufwartung zu machen. Er sagte, er werde seinen Tee in der Einsamkeit trinken, und fügte dann hinzu, er könne sich auch mit einer trockenen Brotrinde begnügen, ja.«

Diese Worte schienen den Onkel mit wahrem Entsetzen zu erfüllen.

»Aber du hättest es ihm doch auseinandersetzen und darlegen sollen, Jewgraf Larionowitsch!« sagte der Onkel dann endlich und sah den Alten bekümmert und vorwurfsvoll an.

»Das habe ich getan, das habe ich getan.«

»Nun, und?«

»Lange Zeit gab er mir keine Antwort. Er saß über einer mathematischen Aufgabe und versuchte etwas herauszubekommen: es war offenbar etwas zum Kopfzerbrechen. Er zeichnete vor meinen Augen die Hosen des Pythagoras; ich habe selbst dabei zugesehen. Dreimal wiederholte ich ein und dasselbe; beim vierten Mal endlich hob er den Kopf, und es schien, als ob er mich da überhaupt erst gewahr werde. ›Ich werde nicht hingehen‹, sagte er. ›Da ist jetzt ein Gelehrter angekommen; neben einer solchen Leuchte der Wissenschaft ist für mich kein Platz.‹ So drückte er sich aus: ›Neben einer solchen Leuchte der Wissenschaft‹.«

Der Alte sah mich von der Seite spöttisch an.

»Na, das hatte ich mir doch gedacht!« rief der Onkel und schlug dabei die Hände zusammen. »Das hatte ich mir doch gedacht! Damit meint er dich, Sergej, wenn er sagt: ›ein Gelehrter‹ Na, was sollen wir nun tun?«

»Ich muß gestehen, lieber Onkel«, antwortete ich mit würdevollem Achselzucken, »meiner Ansicht nach ist diese Weigerung so lächerlich, daß sie gar keine Beachtung verdient, und ich wundere mich wirklich über Ihre Aufregung...«

»Ach, lieber Freund, das verstehst du nicht!« rief er mit einer energisch abwehrenden Handbewegung.

»Sie haben jetzt keinen Grund, sich zu beklagen«, mischte sich Fräulein Perepelizyna ein, »da Sie doch selbst der erste Urheber dieser traurigen Lage sind, Jegor Iljitsch. Wer sein Haus anzündet, darf nicht darüber jammern, daß es abbrennt. Hätten Sie Ihrer Mama gehorcht, dann brauchten Sie jetzt nicht zu weinen.«

»Aber was habe ich denn verbrochen, Anna Nilowna? Wie können Sie so etwas sagen, wenn Sie Gott fürchten!« rief der Onkel in flehendem Ton, wie wenn er sich zu einer Auseinandersetzung erböte.

»Ich fürchte Gott, Jegor Iljitsch; aber das kommt davon, daß Sie ein Egoist sind und Ihre Mutter nicht lieben«, antwortete Fräulein Perepelizyna. »Warum haben Sie gleich von vornherein ihren Willen nicht respektiert? Sie ist Ihre Mutter. Ich aber werde Ihnen keine Unwahrheit sagen. Ich bin selbst eine Oberstleutnantstochter und nicht irgend so eine.«

Es schien mir, daß sich Fräulein Perepelizyna lediglich mit der Absicht eingemischt hatte, uns allen und besonders mir, dem neu Angekommenen, mitzuteilen, daß sie eine Oberstleutnantstochter und nicht irgend so eine sei.

»Das kommt davon, daß er seine Mutter beleidigt«, sagte endlich die Generalin selbst in drohendem Ton.