»Darum, weil du neidisch bist, Jegor«, murmelte die Generalin wieder.
»Mama!« rief der Onkel ganz verzweifelt, »Sie bringen mich um den Verstand!... Sie sagen das nicht von sich aus, sondern wiederholen fremde Reden, Mama! Schließlich werde ich nicht mehr Ihr Sohn sein, sondern ein Pfosten, ein Prellstein, ein Laternenpfahl!«
»Ich habe gehört, lieber Onkel«, unterbrach ich ihn, erstaunt über seine Erzählung, »ich habe von Bachtschejew gehört (ich weiß übrigens nicht, ob es zutreffend ist), daß Foma Fomitsch den kleinen Ilja um seinen Namenstag beneidet und behauptet, er selbst habe morgen ebenfalls seinen Namenstag. Ich muß gestehen, dieser Charakterzug hat mich dermaßen in Verwunderung versetzt, daß ich...«
»Seinen Geburtstag, lieber Freund, seinen Geburtstag, nicht seinen Namenstag, sondern seinen Geburtstag!« unterbrach mich der Onkel hastig. »Er hat sich nur falsch ausgedrückt; aber er hat recht: morgen ist sein Geburtstag. Die Wahrheit, lieber Freund, geht über alles...«
»Er hat gar nicht Geburtstag!« rief Alexandra.
»Wie kannst du das sagen?« rief der Onkel verlegen.
»Er hat gar nicht Geburtstag, Papa! Sie sagen einfach die Unwahrheit, um sich selbst zu täuschen und um Foma Fomitsch damit einen Dienst zu erweisen. Aber sein Geburtstag war im März; erinnern Sie sich? Wir fuhren noch tags zuvor zum Gottesdienste ins Kloster, und er ließ keinen im Wagen ruhig sitzen: immer schrie er, das Kissen drücke ihn in die Seite, und kniff die andern; Tantchen hat er aus Bosheit zweimal gekniffen! Und als wir dann an seinem Geburtstag zu ihm kamen, um ihm zu gratulieren, da wurde er böse, weil in unserem Bukett keine Kamelien waren. ›Ich liebe die Kamelien‹, sagte er, ›weil ich den Geschmack der höheren Gesellschaftsschichten habe; ihr aber habt um meinetwillen keine Kamelien im Treibhaus abschneiden mögen; sie sind euch zu schade gewesenen.‹ Und den ganzen Tag machte er ein mürrisches Gesicht und maulte und wollte nicht mit uns reden...«
Ich glaube, wenn eine Bombe mitten ins Zimmer gefallen wäre, so hätte das nicht so ein Staunen und Entsetzen hervorgerufen wie diese offene Empörung, und Empörung von seiten wessen? Von Seiten eines Mädchens, dem nicht einmal erlaubt war, in Gegenwart seiner Großmutter laut zu reden. Die Generalin, die vor Erstaunen und Wut verstummt war, erhob sich ein wenig, richtete sich gerade und blickte, ihren Augen nicht trauend, ihre dreiste Enkelin an. Der Onkel war starr vor Entsetzen.
»So etwas wird hier geduldet! Man will die Großmutter umbringen!« schrie Fräulein Perepelizyna.
»Alexandra, Alexandra, besinne dich, was du tust! Was ist mit dir, Alexandra?« rief der Onkel und lief bald zur Generalin, bald zu Alexandra, um die letztere zum Schweigen zu bringen.
»Ich will nicht schweigen, Papa!« rief Alexandra, sprang plötzlich von ihrem Stuhl auf und stampfte mit den Füßen; ihre Augen funkelten. »Ich will nicht schweigen! Wir alle haben lange genug unter diesem Foma Fomitsch, Ihrem garstigen, widerwärtigen Foma Fomitsch gelitten! Er richtet uns alle zugrunde; ihm wird ja beständig versichert, er sei klug, hochherzig, edel, gelehrt, eine Vereinigung aller möglichen Tugenden, so eine Art Potpourri, und Foma Fomitsch, dumm wie er ist, glaubt das alles! Es sind ihm so viele süße Speisen vorgesetzt worden, daß ein anderer sich schämen würde; aber Foma Fomitsch hat alles aufgegessen, was vor ihn hingestellt wurde, und verlangt immer noch mehr. Ihr werdet sehen, er wird uns alle zu Tode quälen, und Papa ist an allem schuld! Ein abscheulicher Mensch, ein abscheulicher Mensch ist Foma Fomitsch; das sage ich geradeheraus und fürchte mich vor niemand! Er ist dumm, launenhaft, unsauber, unfein, hartherzig, ein Tyrann, ein Verleumder, ein Lügner... Ach, ich würde ihn unbedingt, unbedingt sofort aus dem Hause jagen; aber Papa vergöttert ihn ja, Papa ist ganz verrückt nach ihm!«
»Ach!« rief die Generalin und sank ohnmächtig auf das Sofa.
»Liebste Agafja Timofejewna, mein Engel!« rief Anfissa Petrowna, »nehmen Sie mein Flakon! Wasser, schnell Wasser!«
»Wasser, Wasser!« rief der Onkel. »Mama, Mama, beruhigen Sie sich! Auf den Knien flehe ich Sie an, sich zu beruhigen!...«
»Bei Wasser und Brot müßte man Sie in ein dunkles Zimmer einsperren... Sie Menschenmörderin!« zischte Fräulein Perepelizyna, die vor Wut zitterte, Alexandra an.
»Nun, dann werde ich bei Wasser und Brot sitzen; ich fürchte mich vor nichts!« rief Alexandra, die ihrerseits in eine Art von Verzückung hineingeriet. »Ich verteidige meinen Papa, weil er selbst sich nicht verteidigen kann. Was ist euer Foma Fomitsch denn gegen Papa? Er ißt Papas Brot und erniedrigt ihn, der Undankbare! Ich möchte ihn am liebsten in Stücke reißen, euren Foma Fomitsch! Zum Duell möchte ich ihn fordern und mit zwei Pistolen totschießen...«
»Alexandra, Alexandra!« schrie der Onkel verzweifelt. »Noch ein Wort, und ich bin verloren, rettungslos verloren!«
»Papa!« rief Alexandra, zu ihrem Vater hinstürzend, in Tränen ausbrechend und ihn fest mit den Armen umschlingend, »Papa! Wie können Sie, ein so guter, prächtiger, lustiger, kluger Mensch, wie können Sie sich selbst so zugrunde richten? Wie können Sie sich diesem häßlichen, undankbaren Patron unterordnen, sich zu seinem Spielzeug machen, sich dem Gelächter preisgeben? Papa, mein goldener Papa!...«
Sie fing heftig zu schluchzen an, schlug die Hände vors Gesicht und lief aus dem Zimmer.
Es folgte ein schrecklicher Wirrwarr. Die Generalin lag ohnmächtig da. Der Onkel kniete vor ihr und küßte ihr die Hände. Fräulein Perepelizyna war neben ihnen in geschäftiger Tätigkeit und warf uns wütende, aber triumphierende Blicke zu. Anfisa Petrowna befeuchtete die Schläfen der Generalin mit Wasser und hantierte mit ihrem Flakon. Praskowja Iljinitschna zitterte und zerfloß in Tränen. Jeshewikin hatte sich ein Winkelchen gesucht, wo er sich verbergen konnte, und die Gouvernante stand blaß und ganz fassungslos vor Furcht da. Nur Misintschikow war vollständig derselbe geblieben, der er vorher gewesen war. Er stand auf, trat ans Fenster und begann unverwandt hinauszusehen, ohne der Szene im Zimmer auch nur die geringste Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Auf einmal erhob sich die Generalin halb vom Sofa, richtete sich auf und maß mich mit einem drohenden Blick.
»Hinaus!« schrie sie mir zu und stampfte dabei mit dem Fuß.
Ich muß gestehen, daß ich das nicht im entferntesten erwartet hatte.
»Hinaus! Hinaus aus dem Haus; hinaus! Warum ist er hergekommen? Er soll sich nie wieder hier blicken lassen! Hinaus!«
»Mama, Mama, was reden Sie? Das ist ja Sergej«, murmelte der Onkel, am ganzen Leibe zitternd vor Furcht. »Er ist ja doch zu Besuch zu uns gekommen, Mama!«
»Was für ein Sergej? Hinaus! Ich will nichts hören; hinaus! Es ist Korowkin. Ich bin sicher, daß es Korowkin ist. Meine Ahnung täuscht mich nicht. Er ist gekommen, um Foma Fomitsch zu vertreiben; darum hast du ihn hergerufen. Mein Herz ahnt es. Hinaus, Taugenichts!«
»Lieber Onkel, wenn es so steht«, sagte ich, und die Stimme versagte mir fast vor edler Entrüstung, »wenn es so steht, dann will ich... entschuldigen Sie mich...« Und ich griff nach meinem Hut.
»Sergej, Sergej, was tust du?... Nun sieh bloß einer diesen Menschen an... Mama! Es ist ja Sergej... Aber Sergej, ich bitte dich!« rief er, mir nachlaufend und bemüht, mir den Hut abzunehmen, »du bist mein Gast; du bleibst hier; ich will es! Das redet sie ja nur so hin«, fügte er flüsternd hinzu; »so ist sie ja nur, wenn sie sich ärgert... Verstecke dich nur jetzt irgendwo während der ersten Zeit... halte dich woanders auf – und die Sache hat weiter nichts zu bedeuten; es wird alles vorübergehen. Sie wird dir verzeihen, glaube mir! Sie ist eine gute Frau; nur spricht sie manchmal Unsinn, ohne sich etwas Schlimmes dabei zu denken... Du hörst ja, sie hält dich für Korowkin; aber nachher wird sie dir verzeihen, glaube mir... Was willst du denn?« schrie er den Diener Gawrila an, der zitternd vor Furcht ins Zimmer trat.