»Du hast die Wahrheit gesagt, Foma, du hast die Wahrheit gesagt«, fuhr mein Onkel fort, der sich die größte Mühe gab, den unangenehmen Eindruck des vorhergehenden Gespräches zu verwischen und wenigstens einigermaßen abzuschwächen. »Du nimmst kein Blatt vor den Mund, Foma, und dafür bin ich dir dankbar. Man muß eine Sache verstehen; dann erst kann man über sie urteilen. Ich bekenne, daß ich es falsch gemacht habe! Ich habe mich schon mehrmals in eine solche Situation gebracht. Stell dir vor, Sergej, ich habe einmal sogar examiniert... Ihr lacht! Na, ihr könnt’s glauben! Bei Gott, ich habe examiniert, wahrhaftig. Ich wurde eingeladen, in einem Lehrinstitut dem Examen beizuwohnen, und da wiesen sie mir einen Platz mitten unter den Examinatoren an, nur so ehrenhalber; es war da gerade ein freier Stuhl. Ich muß bekennen, ich bekam es da ordentlich mit der Angst, und Furcht überkam mich; denn ich wußte absolut von keiner Wissenschaft etwas! Was war zu machen? ›Gleich‹, dachte ich, ›werde ich selbst an die Tafel geschickt werden!‹ Na, aber dann begab sich nichts dergleichen, und alles ging gut; ich stellte sogar selbst Fragen, ich fragte: ›Wer war Noah?‹ Überhaupt antworteten die Schüler vorzüglich; dann frühstückten wir und tranken Champagner auf das Blühen und Gedeihen der Anstalt. Es war eine ausgezeichnete Anstalt!«
Foma Fomitsch und Obnoskin schüttelten sich vor Lachen.
»Ich habe nachher selbst darüber gelacht«, rief der Onkel, lachte in seiner gutmütigen Art und freute sich, daß alle heiter geworden waren. »Nein, Foma, ich will mir ein Herz fassen und euch alle amüsieren; ich will erzählen, wie ich einmal hereingefallen bin... Stell dir vor, Sergej, wir standen in Krasnogorsk...«
»Gestatten Sie eine Frage, Oberst: ist die Geschichte, die Sie erzählen wollen, lang?« unterbrach ihn Foma.
»Ach, Foma! Es ist ja eine wundervolle Geschichte; man kann dabei geradezu platzen vor Lachen. Hör nur zu; sie ist hübsch, wirklich hübsch. Ich werde erzählen, wie ich hereingefallen bin.«
»Ich höre Ihre Geschichten immer mit Vergnügen an, wenn sie von dieser Art sind«, bemerkte Obnoskin gähnend.
»Dann hilft es nichts; dann müssen wir sie eben anhören«, entschied Foma.
»Aber bei Gott, es ist eine hübsche Geschichte, Foma. Ich will erzählen, wie ich einmal hereingefallen bin, Anfissa Petrowna. Hör du auch zu, Sergej; es ist sogar lehrreich. Wir standen in Krasnogorsk«, begann mein Onkel, strahlend vor Vergnügen; er redete schnell und hastig und erging sich in zahllosen abschweifenden Vorreden, was er immer tat, wenn er etwas zur Unterhaltung der Gesellschaft zu erzählen anfing. »Kaum waren wir angekommen, so ging ich auch gleich am selben Abend ins Theater. Es gab da eine ganz vorzügliche Schauspielerin, ein Fräulein Kuropatkina; einige Zeit darauf brannte sie mit dem Stabsrittmeister Swerkow durch, ohne an dem betreffenden Abend ihre Rolle zu Ende zu spielen, so daß der Vorhang herabgelassen werden mußte. Dieser Swerkow war übrigens ein toller Kerl, im Trinken und im Kartenspiel; nicht daß er ein Trunkenbold gewesen wäre, aber er war immer bereit, mit Kameraden zusammen vergnügt zu sein. Wenn er aber einmal so richtig ins Trinken geriet, dann vergaß er alles: wo er wohnte, in welchem Land er lebte, wie er hieß, kurz, schlechterdings alles. Aber im Grunde seines Herzens war er ein prächtiger Bursche. Na also, ich saß im Theater. In der Pause stand ich auf und stieß auf meinen früheren Kameraden Kornouchow. Ich sage euch, ein ganz vorzüglicher Mensch. Wir hatten uns seit sechs Jahren nicht gesehen. Er hatte einen Feldzug mitgemacht und die Brust voll Orden; jetzt ist er, wie ich kürzlich hörte, schon Wirklicher Staatsrat; er ist in den Zivildienst übergetreten und hat es zu einer hohen Stellung gebracht. Na, selbstverständlich freuten wir uns beide. Wir redeten von diesem und jenem. Neben uns saßen in einer Loge drei Damen; diejenige, die links saß, hatte eine Visage von unerhörter Häßlichkeit. Nachher erfuhr ich, daß sie eine vortreffliche Frau, eine brave Mutter ihrer Familie war und ihren Mann glücklich machte. Na also, ich in meiner Dummheit fragte Kornouchow ohne weiteres: ›Sag mal, Bruder, weißt du nicht, was das da für eine Vogelscheuche ist?‹ – ›Welche meinst du?‹ – ›Die da.‹ – ›Das ist meine Kusine.‹ Pfui Teufel! Versetzt euch in meine Lage! Um die Sache wieder einzurenken, sagte ich: ›Nicht doch, die nicht. Hast du denn keine Augen? Die da, die auf der andern Seite sitzt; wer ist das?‹ – ›Das ist meine Schwester.‹ Donnerwetter! Und dabei war seine Schwester auch noch wie ein Röschen, ein ganz allerliebstes Wesen, und so schön geputzt mit Broschen, Handschuhen, Armbändern; kurz, wie ein Engel saß sie da. Später hat sie einen vortrefflichen Mann namens Pychtin geheiratet; sie lief mit ihm davon, und sie ließen sich ohne Erlaubnis der Eltern trauen; na, aber jetzt ist das alles in Ordnung, und sie leben im Wohlstand; die Eltern können sich gar nicht genug über die beiden freuen! Nun also weiter: ›Aber nein!‹ rief ich und wußte selbst nicht, wo ich mich hätte verkriechen können, ›die nicht! Die in der Mitte, wer ist das?‹ – ›Ja, die in der Mitte... na, Bruder, das ist meine Frau.‹ Unter uns gesagt: ein Frauchen, wie man es sich gar nicht appetitlicher denken kann! Ich hätte sie am liebsten vor Vergnügen aufgefressen. ›Na‹, sagte ich, ›hast du schon mal einen Dummerjan gesehen? Hier steht einer vor dir, und sein Kopf ist auch da; hau ihn ohne Erbarmen ab!‹ Er lachte. Nach dem Theater stellte er mich den Damen vor und hatte ihnen wohl inzwischen die ganze Geschichte erzählt, der Schelm. Sie lachten gewaltig. Und ich muß gestehen, ich habe nie in meinem Leben die Zeit so vergnügt verbracht. So kann man manchmal hereinfallen, lieber Foma! Ha-ha-ha-ha!«
Aber vergebens lachte mein armer Onkel; vergebens ließ er seinen heiteren, gutmütigen Blick über die Anwesenden hinschweifen: Totenstille war die Antwort auf seine lustige Geschichte. Foma Fomitsch saß in finsterem Schweigen da, und die andern machten es ihm nach; nur Obnoskin lächelte leise in Voraussicht des Verweises, den der Onkel bekommen würde. Der Onkel wurde verlegen und errötete. Gerade das hatte Foma gewünscht.
»Sind Sie fertig?« fragte er endlich, indem er sich mit würdevoller Miene an den verlegenen Erzähler wandte.
»Ja, ich bin fertig, Foma.«
»Und freuen Sie sich?«
»Was meinst du damit? Inwiefern sollte ich mich freuen?« fragte mein armer Onkel bekümmert.
»Fühlen Sie sich jetzt erleichtert? Sind Sie zufrieden, da Sie ein angenehmes literarisches Gespräch unter Freunden gestört haben, indem Sie sie unterbrachen und dadurch Ihre kleinliche Eigenliebe befriedigten?«
»Aber was redest du da, Foma! Ich wollte euch alle amüsieren, und du...«
»Amüsieren!« rief Foma, der plötzlich außerordentlich heftig wurde. »Aber Sie sind nur fähig, einen Menschen melancholisch zu machen, nicht ihn zu amüsieren. Amüsieren! Aber wissen Sie auch wohl, daß Ihre Geschichte beinah unmoralisch war? Davon, daß sie unanständig war, will ich erst gar nicht reden; das versteht sich von selbst. Sie haben soeben mit einer selten vorkommenden Roheit des Gemütes erklärt, daß Sie über ein unschuldiges Wesen, über eine adlige Dame sich nur deshalb lustig gemacht haben, weil sie nicht die Ehre hatte, Ihnen zu gefallen. Und uns, uns wollten Sie veranlassen mitzulachen, das heißt Ihnen zuzustimmen, ein grobes, unanständiges Benehmen zu billigen, und alles das nur deswegen, weil Sie der Herr dieses Hauses sind! Meinetwegen, Oberst, können Sie sich Schmarotzer, Speichellecker und Kumpane suchen, soviel Sie wollen, und sich solche sogar aus fernen Gegenden kommen lassen und dadurch Ihre Suite vergrößern, zum Schaden der Aufrichtigkeit und der edlen Offenheit des Herzens; aber niemals wird Foma Opiskin Ihr Schmeichler oder Ihr Speichellecker oder Ihr Schmarotzer sein! Das kann ich Ihnen auf das bestimmteste versichern!...«