»Ach, Foma, du hast mich nicht verstanden, Foma!«
»O doch, Oberst, ich habe Sie längst durchschaut und verstehe Sie vollständig. Eine grenzenlose Eigenliebe quält Sie; Sie erheben unmögliche Ansprüche darauf, ein geistreicher Mensch zu sein, und vergessen, daß gerade diese Ansprüche den Eindruck geistiger Stumpfheit hervorrufen. Sie...«
»Hör auf, Foma, um Gottes willen! Nimm doch wenigstens Rücksicht auf die Anwesenden!...«
»Aber es ist gar zu traurig, Oberst, das alles mit anzusehen, und wenn man es mit ansieht, so kann man unmöglich schweigen. Ich bin arm; ich lebe bei Ihrer Mutter. Da könnten die Leute womöglich noch denken, ich wollte mich durch mein Schweigen bei Ihnen einschmeicheln; aber ich will nicht, daß irgend so ein Milchbart mich für Ihren Parasiten hält! Vielleicht habe ich, als ich vorhin hier eintrat, meine wahrheitsliebende Offenherzigkeit geflissentlich stark hervortreten lassen und mich gezwungen gesehen, geflissentlich sogar bis zur Grobheit zu gehen, ebendeshalb weil Sie selbst mich in eine solche Lage bringen. Sie behandeln mich gar zu sehr von oben herab, Oberst. Man kann mich ja für Ihren Sklaven halten, für einen Klienten, der bei Ihnen das Gnadenbrot ißt. Es macht Ihnen Vergnügen, mich vor den Augen Unbekannter herabzuwürdigen, während ich Ihnen doch gleichgestellt bin, wissen Sie das? In jeder Beziehung gleichgestellt. Vielleicht erweise ich Ihnen sogar einen Dienst damit, daß ich bei Ihnen wohne, und nicht Sie mir. Ich werde von Ihnen erniedrigt; folglich muß ich mich Ihnen gegenüber loben; das ist nur natürlich! Ich kann nicht schweigen; ich muß reden, muß unverzüglich Protest erheben, und daher erkläre ich Ihnen offen und geradezu, daß Sie in phänomenaler Weise neidisch sind! Sie sehen zum Beispiel, daß jemand in einem harmlosen, freundschaftlichen Gespräch unwillkürlich seine Kenntnisse, seine Belesenheit, seinen guten Geschmack an den Tag legt: gleich ärgern Sie sich darüber und können sich nicht beherrschen: ›Da will ich doch auch meine Kenntnisse und meinen guten Geschmack zeigen!‹ Aber was besitzen Sie für einen Geschmack, mit Verlaub zu sagen? Sie verstehen vom Schönen soviel (nehmen Sie es nicht übel, Oberst) wie zum Beispiel der Esel vom Lautenspiel! Das ist schroff und derb gesagt, ich gebe es zu, aber wenigstens aufrichtig und wahrheitsgemäß. So etwas bekommen Sie von Ihren Schmeichlern nicht zu hören, Oberst.«
»Aber Foma!...«
»Nun ja, ›aber Foma!‹ Die Wahrheit ist bekanntlich kein Daunenbett. Nun gut, wir werden darüber später noch einmal reden; jetzt aber wollen Sie auch mir gestatten, die Gesellschaft ein wenig zu erheitern. Es ist doch nicht in Ordnung, daß Sie sich immer nur allein hervortun. Pawel Semjonowitsch! Haben Sie dieses Seeungeheuer in Menschengestalt gesehen? Ich beobachte ihn schon lange. Betrachten Sie ihn nur genauer: er würde mich am liebsten lebendig mit Haut und Haar auffressen.«
Es handelte sich um Gawrila. Der alte Diener stand an der Tür und sah und hörte wirklich mit tiefem Schmerz an, wie sein Herr heruntergeputzt wurde.
»Auch ich will Sie durch ein Schauspiel amüsieren, Pawel Semjonowitsch. Heda, du Maulaffe, komm mal her! Haben Sie die Güte, näher zu kommen, Gawrila Ignatitsch! Sehen Sie, Pawel Semjonowitsch, das ist Gawrila; zur Strafe für seine Grobheit lernt er Französisch. Wie Orpheus mildere ich hierzulande die Sitten, aber nicht durch Lieder, sondern durch die französische Sprache. Nun, du Franzose (er kann es nicht leiden, wenn ich ihn so nenne), kannst du deine Lektion?«
»Ich habe sie gelernt«, antwortete Gawrila, der den Kopf hängen ließ.
»Nun also: Parlez-vous francais?«
»Wui, mußjö, sche le parl ön pö...«
Ich weiß nicht, war Gawrilas traurige Figur beim Aussprechen dieses französischen Satzes die Ursache oder ahnten alle Fomas Wunsch, daß sie lachen möchten, kurz, jeder schüttelte sich nur so vor Lachen, sowie Gawrila nur einen Ton sagte. Sogar die Generalin lachte mit. Anfissa Petrowna ließ sich gegen die Sofalehne zurücksinken, kreischte laut auf und verbarg ihr Gesicht hinter dem Fächer. Am lächerlichsten erschien es der Gesellschaft, daß Gawrila, als er sah, welche Wendung das Examen nahm, sich nicht mehr beherrschen konnte, ausspuckte und vorwurfsvoll sagte: »Was für eine Schande muß ich auf meine alten Tage noch erleben!« »Was? Was hast du gesagt? Willst du etwa grob werden?«
»Nein, Foma Fomitsch«, antwortete Gawrila würdig, »meine Worte sind keine Grobheit, und mir als Leibeigenem steht es auch nicht zu, gegen dich als geborenen Herrn grob zu werden! Aber jeder Mensch trägt das Ebenbild Gottes in sich, sein Ebenbild und Gleichnis. Ich bin schon dreiundsechzig Jahre alt. Mein Vater erinnerte sich noch an den schrecklichen Pugatschow, und meinen Großvater hatte Pugatschow an ein und denselben Galgen mit seinem Herrn, Matwej Nikititsch (Gott gebe ihm das Himmelreich), aufhängen lassen; dafür wurde mein Vater von seinem Herrn, dem seligen Afanassi Matwejewitsch, achtungsvoller behandelt als die übrigen Diener: er versah die Stelle eines Kammerdieners und beschloß sein Leben als Haushofmeister. Ich aber, gnädiger Herr Foma Fomitsch, bin zwar nur ein herrschaftlicher Leibeigener; aber solche Schande wie jetzt habe ich, solange ich auf der Welt bin, nicht erlebt!«
Bei dem letzten Worte breitete Gawrila die Arme aus und ließ den Kopf sinken. Der Onkel verfolgte sein Verhalten mit großer Unruhe.
»Na, hör auf, hör auf, Gawrila!« rief er. »Wozu machst du so viele Worte! Hör auf!«
»Es schadet nichts, es schadet nichts!« sagte Foma, der ein wenig blaß geworden war und in gezwungener Manier lächelte. »Lassen Sie ihn reden; das sind ja nur die Früchte Ihrer Behandlung...«
»Nun, dann werde ich alles sagen«, fuhr Gawrila mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit fort, »und nichts verschweigen. Die Hände kann man mir binden, aber nicht die Zunge! Ich bin ja freilich dir gegenüber ein geringer Mensch, Foma Fomitsch, mit einem Wort: ein Knecht; aber auch ich habe ein Gefühl für Kränkungen! Zu Dienst und Gehorsam bin ich dir allzeit verpflichtet, weil ich als Knecht geboren bin und jede Obliegenheit in Furcht und Zittern erfüllen muß. Wenn du dich in dein Zimmer setzt, um ein Buch zu schreiben, so habe ich jeden zudringlichen Besucher abzuweisen; das ist meine wirkliche Pflicht. Und was nur immer zur Bedienung nötig ist, das tue ich gern und willig. Aber nun soll ich auf meine alten Tage wie ein Ausländer bellen und mich vor den Leuten zum Gespött machen! Ich wage jetzt kaum noch die Gesindestube zu betreten, weil sie zu mir sagen: ›Du Franzose, du Franzose!‹ Nein, gnädiger Herr Foma Fomitsch, nicht nur ich Dummkopf, sondern alle guten Leute sagen schon einstimmig, daß du jetzt ein böser Mensch geworden bist und daß unser Herr vor dir ganz wie ein kleines Kind ist und daß du, wenn du auch von Geburt ein Generalssohn bist und es vielleicht selbst beinahe bis zum General gebracht hast, doch ein böser Mensch bist, so eine richtige Furie.«
Gawrila war zu Ende. Ich war außer mir vor Entzücken. Foma Fomitsch saß inmitten der allgemeinen Bestürzung blaß vor Wut da und schien nach dem unerwarteten Angriff von seiten Gawrilas noch gar nicht recht zur Besinnung kommen zu können; es war, als ob er in diesem Augenblick überlegte, in welchem Maße er zornig werden müsse. Endlich erfolgte der Ausbruch.
»Wie! Er wagt es, mich zu beschimpfen? Mich? Das ist Rebellion!« kreischte Foma und sprang von seinem Stuhl auf.
Wie er, sprang auch die Generalin auf und schlug die Hände zusammen. Es entstand eine schreckliche Aufregung. Mein Onkel stürzte auf den das Verbrechen begangen habenden Gawrila zu, um ihn aus dem Zimmer zu schieben.
»In Fußfesseln muß er gelegt werden, in Fußfesseln!« schrie die Generalin. »Schick ihn sofort nach der Stadt, Jegor, und gib ihn zu den Soldaten! Wenn du das nicht tust, verweigere ich dir meinen Segen. Laß ihm gleich einen Klotz ans Bein binden und gib ihn zu den Soldaten!« »Wie!« schrie Foma. »Knecht, Lump, Kanaille! Du hast es gewagt, mich zu beschimpfen? Er, er, dieser Wischlappen für meine Stiefel! Er hat es gewagt, mich eine Furie zu nennen?«