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»Sie möchten zu Ihrem Herrn Onkel kommen«, sagte er in traurigem Ton. Ich kam wieder zu mir.

»Zu meinem Onkel? Wo ist er? Was ist mit ihm?«

»Im Teezimmer. Ebendort, wo Sie vorhin Tee getrunken haben.«

»Wer ist bei ihm?«

»Er ist allein und wartet.«

»Auf wen? Auf mich?«

»Er hat auch nach Foma Fomitsch geschickt. Unsere guten Tage sind nun vorbei!« fügte er mit einem tiefen Seufzer hinzu.

»Nach Foma Fomitsch? Hm! Und wo sind die andern? Wo ist die gnädige Frau?«

»In ihren Zimmern. Sie war in Ohnmacht gefallen und liegt jetzt ohne Besinnung da und weint.«

Während dieses Gespräches waren wir zur Terrasse gelangt. Draußen war es schon fast ganz dunkel. Der Onkel befand sich tatsächlich allein in ebendemselben Zimmer, in welchem mein Zusammenprall mit Foma Fomitsch stattgefunden hatte, und ging darin mit großen Schritten auf und ab. Auf dem Tisch brannten einige Kerzen. Als er mich erblickte, eilte er auf mich zu und drückte mir kräftig beide Hände. Er war blaß und atmete schwer; seine Hände zitterten, und ein nervöses Zucken lief von Zeit zu Zeit durch seinen ganzen Körper.

IX

Seine Exzellenz

»Mein Freund! Alles ist zu Ende, alles ist entschieden!« sagte er in einer Art von tragischem Flüsterton.

»Lieber Onkel«, erwiderte ich, »ich habe ein seltsames Geschrei gehört.«

»Allerdings, lieber Freund, allerdings; es hat mancherlei Geschrei gegeben! Mama ist in Ohnmacht gefallen, und jetzt herrscht die größte Aufregung. Aber ich habe meinen Entschluß gefaßt und werde auf meinem Willen bestehen. Ich fürchte mich jetzt vor niemand mehr, lieber Sergej. Ich will ihnen zeigen, daß auch ich Charakterfestigkeit besitze, und ich werde es ihnen zeigen. Und darum habe ich extra dich rufen lassen, damit du mir behilflich bist, es ihnen zu zeigen... Mein Herz blutet, lieber Sergej... aber ich muß, ich bin verpflichtet, mit aller Strenge zu verfahren. Die Gerechtigkeit ist unerbittlich!«

»Aber was ist denn vorgefallen, lieber Onkel?«

»Ich werde mich von Foma trennen«, antwortete mein Onkel in entschlossenem Ton.

»Lieber Onkel!« rief ich entzückt, »auf einen besseren Gedanken konnten Sie überhaupt nicht kommen! Und wenn ich Ihnen irgendwie bei der Ausführung Ihres Entschlusses behilflich sein kann, so verfügen Sie vollständig über mich!«

»Ich danke dir, mein Lieber, ich danke dir! Aber jetzt ist alles bereits entschieden. Ich erwarte Foma; ich habe schon nach ihm geschickt. Entweder er oder ich! Wir müssen uns trennen. Entweder verläßt Foma morgen dieses Haus, oder (das schwöre ich!) ich lasse alles im Stich und trete wieder bei den Husaren ein! Man wird mich schon nehmen und mir wieder zwei Schwadronen geben. Schluß mit dieser ganzen Art der Lebensführung! Jetzt soll ein neues Leben beginnen! Wozu hast du da das französische Heft?« schrie er grimmig, indem er sich zu Gawrila wandte. »Weg damit! Verbrenne es, zertritt es mit den Füßen, zerreiße es! Ich bin dein Herr, und ich befehle dir, kein Französisch zu lernen. Du kannst und darfst mir nicht ungehorsam sein; denn ich bin dein Herr und nicht Foma Fomitsch!«

»Gott sei Dank!« murmelte Gawrila vor sich hin.

Die Sache hatte offenbar eine ernste Wendung genommen.

»Mein Freund«, fuhr der Onkel höchst gefühlvoll fort, »sie fordern Unmögliches von mir! Du sollst mein Richter sein; du stehst jetzt als unparteiischer Richter zwischen denen da und mir. Du weißt nicht, du weißt nicht, was man von mir verlangt und schließlich in aller Form mit dürren Worten gefordert hat! Aber das läuft der Menschenliebe, dem Anstandsgefühle, der Ehre zuwider... Ich werde dir alles erzählen; aber zuerst...«

»Ich weiß bereits alles, lieber Onkel!« rief ich, ihn unterbrechend. »Ich errate, was Sie sagen wollen... Ich habe soeben mit Nastasja Jewgrafowna gesprochen.«

»Mein Freund, jetzt kein Wort davon, kein Wort!« unterbrach er mich hastig und wie erschrocken. »Später werde ich dir alles selbst erzählen; aber einstweilen... Was soll das heißen?« schrie er den eintretenden Widopljassow an; »wo ist denn Foma Fomitsch?«

Widopljassow brachte die Meldung, Foma Fomitsch wolle nicht kommen; er finde die Forderung, daß er erscheinen solle, überaus ungehörig, so daß er sich dadurch sehr beleidigt fühle.

»Bring ihn her! Schleppe ihn her! Her mit ihm! Schleppe ihn mit Gewalt her!« schrie der Onkel und stampfte dabei mit den Füßen.

Widopljassow, der seinen Herrn noch nie so zornig gesehen hatte, zog sich erschrocken zurück. Ich war höchst erstaunt.

›Es muß sich doch um etwas sehr Wichtiges handeln‹, dachte ich, ›wenn ein Mensch mit solchem Charakter fähig ist, in einen derartigen Zorn zu geraten und solche Entschlüsse zu fassen.‹

Einige Minuten lang ging der Onkel schweigend im Zimmer auf und ab, wie wenn er mit sich selbst kämpfte.

»Zerreiße das Heft doch lieber nicht!« sagte er endlich zu Gawrila. »Warte damit noch und bleib selbst hier; ich brauche dich vielleicht noch. – Mein Freund«, fügte er, sich zu mir wendend, hinzu, »ich bin wohl soeben etwas zu sehr ins Schreien geraten. Man muß alles mit Würde und Mannhaftigkeit ausführen, aber ohne Geschrei und ohne Beleidigungen. Das ist das richtige. Weißt du was, lieber Sergej? Wäre es nicht besser, wenn du von hier weggingest? Dir kann es ja gleich sein; denn ich werde dir nachher doch alles selbst erzählen; nicht wahr? Wie denkst du darüber? Tu mir die Liebe; ich bitte dich darum.«

»Fürchten Sie sich, lieber Onkel? Bereuen Sie Ihren Entschluß?« fragte ich, indem ich ihn forschend ansah.

»Nein, nein, mein Freund; ich bereue meinen Entschluß nicht!« rief er mit verdoppelter Lebhaftigkeit. »Ich fürchte jetzt nichts mehr. Ich habe energische Maßnahmen ergriffen, die allerenergischsten! Du weißt nicht, du kannst dir nicht vorstellen, was man von mir verlangt hat! Bin ich denn wirklich verpflichtet, dazu ja zu sagen? Nein, ich habe mich dagegen aufgelehnt; ich werde ihnen zeigen, daß ich einen eigenen Willen habe; das werde ich ihnen zeigen! Irgendwann muß ich es ihnen doch zeigen! Aber weißt du, mein Freund, ich bereue es, daß ich dich habe rufen lassen: es würde Foma vielleicht sehr peinlich sein, wenn du sozusagen ein Zeuge seiner Erniedrigung würdest. Siehst du, ich will ihm das Haus verbieten, auf anständige Weise, ohne jede Demütigung. Aber freilich sage ich das nur so, daß ich es ohne Beleidigung tun will. Denn die Sache selbst, lieber Freund, ist doch von der Art, daß sie immer kränkend bleibt, wenn man auch honigsüße Redensarten dabei macht. Ich aber bin ein plumper Mensch, ohne Bildung, und werde mich am Ende in meiner Dummheit noch so verrennen, daß es mir selbst nachher leid tun wird. Er hat doch viel für mich getan... Geh fort, mein Freund!... Aber da führt ihn der Diener schon her! Lieber Sergej, ich bitte dich, geh hinaus! Ich werde dir nachher alles erzählen. Geh hinaus, um Gottes willen!«

Und der Onkel führte mich im selben Augenblick auf die Terrasse hinaus, als Foma ins Zimmer trat. Aber ich muß bekennen: ich ging nicht weg; ich beschloß, auf der Terrasse zu bleiben, wo es sehr dunkel war und man mich folglich vom Zimmer aus nicht leicht sehen konnte. Ich beschloß zu horchen!

153 Ich will mein Verhalten durch nichts zu entschuldigen suchen; aber das kann ich kühn sagen: damit, daß ich da, ohne die Geduld zu verlieren, eine halbe Stunde lang auf der Terrasse stand, habe ich meines Erachtens eine Großtat des Märtyrertums vollführt. Von meinem Platz aus konnte ich nicht nur gut hören, sondern auch gut sehen, da die Tür eine Glastür war. Jetzt bitte ich den Leser, sich Foma Fomitsch vorzustellen, dem befohlen worden war, zu erscheinen, unter Androhung von Gewalt, falls er sich weigerte.