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»Was haben Sie denn da?« fragte er mit einem Blick auf das Blatt, das ich noch in der Hand hielt. »Doch nicht etwa Widopljassows Wehklagen? Wahrhaftig! Ich dachte es mir doch, daß Widopljassow auch Sie attackieren würde. Er hat auch mir ein ganz ebensolches Blatt mit denselben Wehklagen überreicht; Ihre Ankunft aber hat er schon längst erwartet und wahrscheinlich schon im voraus ein Exemplar für Sie hergestellt. Wundern Sie sich nicht darüber: es gibt hier viel Seltsames, und man findet hier wirklich viel Stoff zum Lachen.«

»Nur zum Lachen?«

»Na, etwa zum Weinen? Wenn Sie wollen, werde ich Ihnen Widopljassows Biographie erzählen, und ich bin überzeugt, daß Sie darüber lachen werden.«

»Ich muß gestehen, ich habe jetzt andere Dinge im Kopf als Widopljassow«, antwortete ich ärgerlich.

Es war mir ganz klar, daß Herr Misintschikow, wenn er meine Bekanntschaft suchte und ein liebenswürdiges Gespräch mit mir anknüpfte, dabei irgendeinen Zweck verfolgte und mich ganz einfach brauchte. Vorhin hatte er mit ernster, finsterer Miene dagesessen; jetzt aber war er heiter, lächelte und wollte offenbar lange Geschichten erzählen. Es war auf den ersten Blick deutlich, daß dieser Mensch sich ausgezeichnet zu beherrschen verstand und ein Menschenkenner war.

»Dieser verdammte Foma!« sagte ich und schlug ingrimmig mit der Faust auf den Tisch. »Ich bin überzeugt, daß er hier die Quelle alles Übels ist und überall die Hand im Spiele hat! Eine verdammte Kreatur!«

»Sie scheinen sich ja schon gehörig über ihn geärgert zu haben«, bemerkte Misintschikow.

»Na und ob!« rief ich und wurde plötzlich hitzig. »Gewiß, ich habe mich vorhin zu sehr hinreißen lassen und dadurch jedem das Recht gegeben, mich zu tadeln. Ich weiß sehr wohl, daß ich über das rechte Maß hinausgegangen bin und mich in jeder Hinsicht blamiert habe, und ich glaube, man braucht mich darauf nicht noch extra hinzuweisen!... Ich begreife auch, daß man sich in anständiger Gesellschaft nicht so benimmt; aber sagen Sie selbst: mußte einem da nicht mit Notwendigkeit die Galle überlaufen? Das ist ja hier geradezu eine Irrenanstalt! Und... und... schließlich... ich fahre einfach weg – so steht es!«

»Sind Sie Raucher?« fragte Misintschikow in aller Seelenruhe.

»Ja.«

»Dann erlauben Sie wohl, daß ich mir auch eine Zigarette anzünde. Dort ist es nicht gestattet, und ich bin schon beinah melancholisch geworden. Ich gebe zu«, fuhr er fort, nachdem er seine Zigarette angezündet hatte, »daß das alles mit einer Irrenanstalt Ähnlichkeit hat; aber seien Sie versichert, daß ich mir nicht erlaube, Sie zu tadeln; denn wenn ich an Ihrer Stelle gewesen wäre, würde ich vielleicht noch viel hitziger und heftiger geworden sein als Sie.«

»Aber warum sind Sie denn nicht heftig geworden, wenn Sie sich wirklich ebenfalls ärgerten? Aber ganz im Gegenteil erinnere ich mich, daß Sie höchst kaltblütig blieben, und ich muß gestehen, es befremdete mich sogar, daß Sie nicht für meinen armen Onkel eintraten, der doch immer bereit ist, allen und jedem Wohltaten zu erweisen!«

»Sie haben recht: er erweist vielen Leuten Wohltaten; aber für ihn einzutreten halte ich für völlig unangebracht; erstens würde es ihm nichts nützen und sogar in gewisser Hinsicht beschämend für ihn sein; und zweitens würde ich gleich morgen aus dem Haus gejagt werden. Ich bekenne Ihnen aber offen: meine Verhältnisse sind so, daß ich großen Wert darauf legen muß, hier länger Gastfreundschaft zu genießen.«

»Ich erwarte ganz und gar keine Offenheit von Ihrer Seite in bezug auf Ihre Verhältnisse... Indessen würde ich Sie gern etwas fragen, da Sie ja schon einen Monat lang hier wohnen...«

»Bitte, fragen Sie; ich stehe zu Ihren Diensten«, erwiderte Misintschikow eilig und rückte mit seinem Stuhl näher.

»Erklären Sie mir also zum Beispiel dies: soeben hat Foma Fomitsch fünfzehntausend Rubel zurückgewiesen, die er bereits in den Händen hatte; ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen.«

»Was Sie sagen! Wirklich?« rief Misintschikow. »Erzählen Sie doch, ich bitte Sie!«

Ich erzählte ihm den Hergang, verschwieg aber die Anrede ›Exzellenz‹. Misintschikow hörte mit gespannter Aufmerksamkeit zu; sein Gesicht verklärte sich sogar ordentlich, als ich auf die fünfzehntausend Rubel zu sprechen kam.

»Sehr geschickt!« sagte er, nachdem er meine Erzählung vernommen hatte. »Das hätte ich von Foma gar nicht erwartet.«

»Aber er hat doch das Geld zurückgewiesen! Wie ist das zu erklären? Ist da wirklich sein Seelenadel die Ursache?«

»Er hat fünfzehntausend Rubel zurückgewiesen, um später dreißigtausend zu bekommen. Übrigens, wissen Sie was?« fügte er nach kurzem Nachdenken hinzu, »ich zweifle doch, daß Foma dabei aus Berechnung gehandelt hat. Er ist ein unpraktischer Mensch und hat in seiner Art etwas von einem Dichter an sich. Fünfzehntausend Rubel... hm! Sehen Sie: er hätte das Geld gern genommen, konnte aber der Versuchung, sich ein Air zu geben, eine grandiose Pose einzunehmen, nicht widerstehen. Ich kann Ihnen sagen, er ist und bleibt ein Stoffel, eine sentimentale Nachtmütze, und zwar trotz seines grenzenlosen Egoismus!«

Misintschikow war in Erregung geraten. Offenbar ärgerte er sich sehr und schien sogar so etwas wie Neid zu empfinden. Ich beobachtete ihn mit lebhaftem Interesse.

»Hm! Da muß man sich ja auf große Veränderungen gefaßt machen«, fügte er nachdenklich hinzu. »Jetzt ist Jegor Iljitsch bereit, diesen Foma geradezu anzubeten. Und er ist am Ende auch noch imstande, aus Herzensrührung zu heiraten«, murmelte er.

»Also meinen Sie, daß diese abscheuliche, unnatürliche Ehe mit der geistesgestörten Närrin bestimmt zustande kommen wird?«

Misintschikow blickte mich forschend an.

»Die Schurken!« rief ich jähzornig.

»Übrigens ist die Idee, die die Leute da haben, eine ziemlich vernünftige: sie behaupten, er müsse etwas für die Familie tun.«

»Als ob er für sie alle nicht schon genug und übergenug getan hätte!« rief ich empört. »Und auch Sie schämen sich nicht zu sagen, daß das ein vernünftiger Gedanke sei, diese garstige Närrin zu heiraten!« »Gewiß, ich stimme Ihnen durchaus darin bei, daß sie eine Närrin ist... Hm! Es ist nett von Ihnen, daß Sie Ihren Onkel so lieben; ich selbst empfinde für ihn eine herzliche Teilnahme... obwohl sich mit ihrem Geld das Gut prächtig erweitern ließe! Übrigens hat man noch andere Gründe: man fürchtet, Jegor Iljitsch könnte diese Gouvernante heiraten... Sie wissen doch, es war da noch so ein interessantes junges Mädchen?«

»Aber ist denn das... ist denn das etwa wahrscheinlich?« fragte ich aufgeregt. »Mir scheint, daß das nur Verleumdung ist. Ich bitte Sie inständig, sagen Sie mir, wie es damit steht; es interessiert mich außerordentlich...«

»Oh, er ist verliebt bis über die Ohren! Nur sucht er es selbstverständlich zu verheimlichen.«

»Er sucht es zu verheimlichen! Sie meinen, daß er es zu verheimlichen sucht? Nun, und sie? Liebt sie ihn?«

»Schon möglich, daß auch sie ihn liebt. Übrigens wäre es für sie sehr vorteilhaft, wenn sie ihn heiratete; denn sie ist sehr arm.«

»Aber welche wirklichen Gründe haben Sie für Ihre Annahme, daß die beiden sich lieben?«

»Nun, das muß ja jeder Mensch sehen; zudem haben sie, wie es scheint, heimliche Rendezvous. Es wird sogar behauptet, sie stünden in einem unerlaubten Verhältnis zueinander. Aber bitte, erzählen Sie das nicht weiter! Ich sage es Ihnen nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit.«

»Wie kann man so etwas glauben!« rief ich. »Und Sie, Sie geben zu, daß Sie es glauben?«

»Selbstverständlich glaube ich es nicht sicher; ich bin nicht dabeigewesen. Indessen ist es doch gut möglich.«

»Wie können Sie sagen, es sei gut möglich! Denken Sie doch daran, was mein Onkel für ein anständiger, ehrenhafter Mann ist!«

»Einverstanden; und trotzdem kann sich jemand hinreißen lassen, wenn er sich sagt, daß demnächst unausbleiblich die legitime Eheschließung erfolgen soll. Dergleichen kommt häufig vor. Indessen, ich wiederhole: ich verbürge mich in keiner Weise für die völlige Glaubwürdigkeit dieser Nachrichten, um so weniger, als man das junge Mädchen hier auch so schon arg mit Schmutz beworfen hat; es wurde sogar behauptet, sie habe ein Verhältnis mit Widopljassow.«