»Na, sehen Sie!« rief ich. »Mit Widopljassow! Na, ist das überhaupt denkbar? Ist es nicht ekelhaft, so etwas auch nur zu hören? Glauben Sie denn auch das?«
»Ich sage Ihnen ja, daß ich es nicht glaube«, antwortete Misintschikow in aller Ruhe; »indessen unmöglich ist auch das nicht. Auf der Welt ist alles möglich. Ich für meine Person bin nicht dabeigewesen, und außerdem geht mich die Sache meines Erachtens nichts an. Aber da Sie, wie ich sehe, an all diesen Dingen großen Anteil nehmen, so halte ich es für meine Pflicht, hinzuzufügen, daß dieses Verhältnis mit Widopljassow in der Tat wenig Wahrscheinlichkeit hat. Das sind alles nur Intrigen von Anna Nilowna, diesem Fräulein Perepelizyna; sie hat diese Gerüchte hier aus Neid ausgestreut, weil sie sich selbst früher Hoffnung machte, Jegor Iljitsch zu heiraten, und zwar weil sie eine Oberstleutnantstochter ist; wahrhaftig! Jetzt sieht sie sich in dieser Hoffnung getäuscht und ist deshalb wütend. Aber ich glaube, ich habe Ihnen bereits alles erzählt, was von diesen Dingen zu sagen ist, und ich muß gestehen, ich bin ein geschworener Feind von Klatsch, um so mehr da wir damit nur unsere kostbare Zeit verlieren. Sehen Sie, ich bin nämlich mit einer kleinen Bitte zu Ihnen gekommen.«
»Mit einer Bitte? Sprechen Sie sie aus; alles, womit ich Ihnen dienen kann...«
»Sehr freundlich; ich hoffe sogar, daß meine Bitte Sie interessieren wird, da Sie, wie ich sehe, Ihren Onkel lieben und an seinem Geschick in bezug auf die Heirat großen Anteil nehmen. Aber bevor ich diese Bitte ausspreche, habe ich an Sie noch eine andere, vorbereitende Bitte.«
»Welche denn?«
»Es ist folgende: vielleicht werden Sie sich bereit finden lassen, meine Hauptbitte zu erfüllen, vielleicht auch nicht; aber in jedem Falle möchte ich, ehe ich sie Ihnen vortrage, Sie ergebenst bitten, mir den großen Gefallen zu tun und mir Ihr Ehrenwort als Edelmann und anständiger Mensch zu geben, daß alles, was Sie von mir hören werden, tiefstes Geheimnis zwischen uns bleibt und daß Sie dieses Geheimnis unter keinen Umständen einem Menschen verraten, auch den Gedanken, den ich jetzt für nötig erachte, Ihnen mitzuteilen, nicht für Ihren eigenen Vorteil verwerten wollen. Sind Sie damit einverstanden?«
Die Vorrede klang sehr feierlich. Ich gab ihm mein Wort.
»Nun?« fragte ich.
»Die Sache ist im Grunde sehr einfach«, begann Misintschikow. »Sehen Sie, ich will Tatjana Iwanowna entführen und heiraten; kurz, es soll so etwas wie Gretna-Green werden; Sie verstehen?«
Ich sah Herrn Misintschikow direkt in die Augen und konnte eine Zeitlang kein Wort herausbringen.
»Ich muß Ihnen gestehen, ich begreife nichts«, sagte ich endlich. »Und außerdem«, fuhr ich fort, »da ich glaubte, mit einem vernünftigen Menschen zu tun zu haben, hatte ich meinerseits in keiner Weise geglaubt...«
»Da Sie glaubten, hatten Sie nicht geglaubt«, unterbrach mich Misintschikow. »Das heißt in einfacher Redeweise, daß ich dumm bin und mein Plan dumm ist, nicht wahr?«
»Durchaus nicht... aber...«
»O bitte, sprechen Sie ganz ungeniert! Seien Sie unbesorgt; Sie tun mir damit sogar einen großen Gefallen, da wir auf diese Weise schneller zum Ziel kommen. Ich gebe übrigens zu, daß dies auf den ersten Blick etwas seltsam erscheinen mag. Aber ich kann Ihnen versichern, daß mein Plan keineswegs dumm, sondern sogar höchst verständig ist; und wenn Sie so gut sein wollen anzuhören, wie die Dinge liegen...« »O bitte! Ich werde mit größtem Interesse zuhören.«
»Übrigens ist dabei eigentlich fast nichts zu erzählen. Sehen Sie: ich stecke jetzt in Schulden und besitze keine Kopeke. Überdies habe ich eine Schwester, ein junges Mädchen von neunzehn Jahren, eine Waise, die bei fremden Leuten lebt und völlig mittellos ist. Das ist zum Teil meine eigene Schuld. Wir erbten vierzig Seelen. Da mußte es sich treffen, daß ich gerade um diese Zeit zum Kornett befördert wurde. Nun, zunächst nahm ich natürlich eine Hypothek darauf auf, und dann brachte ich unsere Erbschaft vollständig durch. Ich führte einen dummen Lebenswandel, wollte die erste Geige spielen, kehrte den Feinen heraus, spielte Karten, trank – kurz, ich trieb es so töricht, daß ich mich sogar schäme, daran zu denken. Jetzt bin ich anderen Sinnes geworden und will meine Lebensweise vollständig ändern. Aber dazu muß ich ganz notwendig hunderttausend Rubel haben. Da ich nun beim Militär nicht zu Geld gelangen kann, persönlich aber zu nichts tauge und fast keine Bildung besitze, so bleiben mir selbstverständlich nur zwei Wege: entweder zu stehlen oder eine reiche Heirat zu machen. Ich kam hierher fast ohne Stiefel, und ich kam zu Fuß her, nicht im Wagen. Meine Schwester hatte mir ihre letzten drei Rubel gegeben, als ich aus Moskau fortging. Hier sah ich diese Tatjana Iwanowna, und sogleich hatte ich eine Idee. Ich faßte sofort den Entschluß, mich zu opfern und sie zu heiraten. Sie werden zugeben müssen, daß dies eine verständige Handlungsweise ist. Überdies tue ich das in der Hauptsache um meiner Schwester willen... nun, natürlich auch um meinetwillen.«
»Aber erlauben Sie, wollen Sie ihr einen förmlichen Heiratsantrag machen?«
»Gott behüte! Ich würde sogleich von hier weggejagt werden, und sie selbst würde nicht darauf eingehen; aber wenn ich ihr eine Entführung, eine Flucht vorschlage, dazu wird sie sogleich bereit sein. Das ist es ja eben: es muß etwas Romantisches, Auffälliges dabeisein. Selbstverständlich wird das alles dann durch eine legitime Heirat seinen Abschluß finden. Ich muß sie nur erst von hier weglocken!«
»Aber woher nehmen Sie denn diese feste Überzeugung, daß sie bestimmt mit Ihnen fliehen wird?«
»Oh, da seien Sie unbesorgt! Davon bin ich vollständig überzeugt. Das ist ja eben der Grundgedanke, daß Tatjana Iwanowna imstande ist, schlechterdings mit einem jeden, der ihr über den Weg läuft, mit einem jeden, der sich mit ihr einlassen mag, eine Liebschaft anzuknüpfen. Das ist auch der Grund, weshalb ich Ihnen vorher das Ehrenwort abgenommen habe, diesen Gedanken nicht für sich auszunutzen. Sie sehen gewiß ein, daß es von mir geradezu sündhaft wäre, wenn ich diese Gelegenheit nicht nutzen würde, namentlich bei meinen Verhältnissen.«
»Dann ist sie also vollständig verrückt?... ach, entschuldigen Sie!« fügte ich, meinen Fehler gewahr werdend, hinzu. »Da Sie jetzt auf die Dame Absichten haben, so...«
»Bitte, genieren Sie sich nicht; ich habe Sie schon einmal darum gebeten. Sie fragen, ob sie vollständig verrückt sei. Was soll ich Ihnen darauf antworten? Natürlich ist sie nicht verrückt, da sie ja noch nicht im Irrenhaus sitzt; übrigens vermag ich in dieser Manie für Liebschaften wirklich keine besondere Verrücktheit zu erblicken. Sie ist trotz alledem doch ein anständiges Mädchen. Sehen Sie: sie hat sich bis zum vorigen Jahr in schrecklicher Armut befunden, hat von ihrer Kindheit an unter der Fuchtel von allerlei Wohltäterinnen gestanden. Sie besitzt ein außerordentlich gefühlvolles Herz; aber niemand wollte sie heiraten. Nun, Sie verstehen: Träumereien, Wünsche, Hoffnungen, eine innere Glut, die sie immer unterdrücken mußte, die ewigen Quälereien von seiten der Wohltäterinnen – alles dies konnte natürlich einen empfindsamen Charakter zerrütten. Und nun gelangt sie plötzlich in den Besitz eines solchen Reichtums: Sie werden selbst zugeben müssen, daß das gar mancher den Kopf verdrehen kann. Na, natürlich ist sie jetzt eine gesuchte Persönlichkeit geworden; man machte ihr den Hof, und alle ihre Hoffnungen sind wieder aufgelebt. Vorhin erzählte sie von einem Stutzer in weißer Weste: das ist eine Tatsache und hat sich buchstäblich so zugetragen, wie sie es erzählt hat. Nach dieser Begebenheit können Sie sich auch über das übrige ein Urteil bilden. Mit Seufzern, Briefchen und Verschen können Sie sie sofort betören; und wenn Sie außerdem noch auf Strickleitern, spanische Serenaden und ähnlichen Unsinn anspielen, können Sie mit ihr machen, was Sie wollen. Ich habe schon eine Probe angestellt und ohne weiteres ein geheimes Rendezvous erlangt. Indes habe ich nun vorläufig bis zum Eintritt des günstigen Zeitpunktes haltgemacht. Aber in etwa vier Tagen muß ich sie unbedingt entführen. Tags zuvor fange ich mit Schmeichelreden und Seufzern an; ich spiele nicht übel Gitarre und singe auch. In der Nacht folgt dann ein Rendezvous im Pavillon, und beim Tagesgrauen steht ein Wagen bereit; ich überrede sie, wir steigen ein und fahren davon. Sie verstehen, daß keinerlei Risiko dabei ist; sie ist mündig und handelt außerdem ganz nach ihrem freien Willen. Wenn sie aber einmal mit mir davongelaufen ist, so ist sie natürlich mir gegenüber eine Verpflichtung eingegangen. Ich werde sie zu einer anständigen, aber armen Familie bringen (ich kenne eine solche, vierzig Werst von hier), wo man sie bis zur Hochzeit unter Aufsicht halten und niemanden zu ihr lassen wird; unterdessen aber werde ich meine Zeit nicht verlieren; innerhalb von drei Tagen werden wir Hochzeit machen; das ist möglich. Selbstverständlich brauche ich vor allen Dingen Geld; aber ich habe mir ausgerechnet, daß ich für das ganze Intermezzo nicht mehr als fünfhundert Rubel nötig habe, und in dieser Hinsicht hoffe ich auf Jegor Iljitsch; er wird mir das Geld geben, natürlich ohne zu wissen, wozu es dienen soll. Haben Sie nun verstanden?«