Выбрать главу

»Ich sehe«, erwiderte Misintschikow, indem er sich von seinem Stuhl erhob, »daß Ihr Ärger über Foma Fomitsch und die Großmutter noch nicht den richtigen Grad erreicht hat und daß Sie, wenn Sie auch Ihren guten, braven Onkel lieben, doch noch nicht hinreichend einsehen, wie sehr man ihn quält. Sie sind hier eben noch neu... Aber nur Geduld! Wenn Sie morgen noch hier sind, so sehen Sie sich bitte die Dinge an, und am Abend werden Sie einwilligen. Sonst ist Ihr Onkel verloren – verstehen Sie? Die Verbündeten werden ihn jedenfalls zwingen, Tatjana Iwanowna zu heiraten. Vergessen Sie nicht, daß er ihr vielleicht morgen schon einen Heiratsantrag machen wird. Dann ist es zu spät; Sie sollten sich heute schon entschließen!« »Wirklich, ich wünsche Ihnen allen Erfolg; aber Ihnen zu helfen... ich weiß doch nicht...«

»Ich weiß schon! Warten wir also bis morgen!« schloß Misintschikow spöttisch lächelnd. »La nuit porte conseil. Auf Wiedersehen! Ich werde morgen so früh wie möglich zu Ihnen kommen; überlegen Sie sich die Sache bis dahin!...«

Er drehte sich um und verließ, etwas vor sich hinpfeifend, das Zimmer. Ich ging fast unmittelbar nach ihm ebenfalls hinaus, um ein bißchen frische Luft zu atmen. Der Mond war noch nicht aufgegangen; die Nacht war dunkel, die Luft warm und schwül. Die Blätter an den Bäumen rührten sich nicht. Trotz meiner schrecklichen Müdigkeit wollte ich noch ein bißchen umhergehen, mich zerstreuen, mit meinen Gedanken zurechtkommen; aber ich war noch keine zehn Schritte weit gegangen, als ich auf einmal die Stimme meines Onkels hörte. Er stieg mit jemand die Stufen vor der Tür des Sommerhäuschens hinauf und redete außerordentlich lebhaft. Ich kehrte sogleich wieder um und rief ihn an. Der, mit dem er gesprochen hatte, war Widopljassow.

XI

Höchstes Erstaunen

»Da sind Sie ja endlich, lieber Onkel«, sagte ich. »Ich habe schon lange auf Sie gewartet.«

»Ich wollte mich schon längst gern losmachen und zu dir kommen. Ich will nur erst die Sache mit Widopljassow hier erledigen; dann können wir uns nach Herzenslust aussprechen. Ich habe dir viel zu erzählen.«

»Wie! Sie wollen erst noch mit Widopljassow reden? Lassen Sie den doch jetzt, lieber Onkel!«

»Nur noch fünf oder zehn Minuten, Sergej; dann stehe ich vollkommen zu deiner Verfügung. Siehst du, es handelt sich um etwas Geschäftliches.« »Ach, was der hat, das sind doch gewiß nur Dummheiten«, sagte ich ärgerlich.

»Ja, was soll ich dir darauf antworten, lieber Freund? Muß der Mensch mich auch gerade jetzt mit seinen Lappalien behelligen! Als ob du, lieber Grigori, nicht eine andere Zeit für deine Klagen finden könntest! Na, wie kann ich dir denn helfen? Habe doch wenigstens du mit mir Mitleid, mein Lieber! Ihr zermartert mich ja sozusagen ganz und gar und freßt mich bei lebendigem Leibe mit Haut und Haar! Es ist nicht mehr zum Aushalten mit ihnen, Sergej!«

Mein Onkel machte tiefbekümmert mit beiden Händen eine Geste der Verzweiflung.

»Was ist denn das für eine wichtige Sache, die sich gar nicht aufschieben läßt? Und ich hätte so dringend: mit Ihnen zu reden, lieber Onkel...«

»Ach lieber Freund, sie schreien sowieso schon, ich kümmerte mich nicht um den moralischen Zustand meiner Leute! Womöglich beklagt er sich morgen über mich, daß ich ihm kein Gehör geschenkt hätte, und dann...«

Der Onkel schwenkte wieder trostlos den Arm.

»Na, dann erledigen Sie seine Angelegenheit so schnell wie möglich! Meinetwegen will ich Ihnen auch helfen. Lassen Sie uns ins Haus gehen! Was hat er denn eigentlich? Was will er?« fragte ich, als wir ins Zimmer getreten waren.

»Ja, siehst du, mein Freund, sein eigener Familienname mißfällt ihm; er bittet um die Erlaubnis, ihn zu ändern. Was sagst du dazu?«

»Sein Familienname! Was soll das heißen?... Na, lieber Onkel, bevor ich höre, was er selbst sagt, gestatten Sie mir die Bemerkung, daß solche Wunderlichkeiten auch nur in Ihrem Haus passieren können«, sagte ich, indem ich erstaunt die Arme ausbreitete.

»Ach, mein Teuerster! So die Arme ausbreiten, das kann ich auch, aber damit ist niemandem geholfen!« erwiderte mein Onkel ärgerlich. »Na schön, rede du selbst mit ihm, versuch es einmal! Er liegt mir schon seit zwei Monaten damit in den Ohren...«

»Es ist ein unbegründeter Familienname!« sagte Widopljassow.

»Aber wieso denn unbegründet?« fragte ich verwundert.

»Ja, das ist er. Es liegt allerlei Gemeinheit darin.«

»Wieso denn Gemeinheit? Und wie soll man ihn denn umändern? Wer ändert denn seinen Familiennamen?«

»Aber ich bitte Sie, hat denn sonst jemand einen solchen Familiennamen?«

»Ich will zugeben, daß dein Familienname etwas seltsam ist«, fuhr ich höchst erstaunt fort; »aber was ist da jetzt zu machen? Dein Vater hat doch auch diesen Familiennamen geführt?«

»Das ist es eben, daß ich durch meinen Vater auf diese Weise dazu gelangt bin, lebenslänglich zu leiden, sintemal es mir infolge meines Namens beschieden ist, viele Spötteleien hinzunehmen und viel Kummer durchzumachen«, antwortete Widopljassow.

»Ich möchte wetten, lieber Onkel, daß da wieder Foma Fomitsch dahintersteckt!« rief ich ärgerlich.

»Nicht doch, lieber Freund, nicht doch; da irrst du dich. Tatsächlich erweist ihm Foma viele Wohltaten. Er hat ihn als Sekretär zu sich genommen, und darin besteht jetzt sein ganzer Dienst. Na, und dann hat er selbstverständlich für seine geistige Entwicklung gesorgt, ihn mit edler Gesinnung erfüllt, so daß ihm sogar in gewisser Hinsicht ein Licht aufgegangen ist... Siehst du, ich werde dir alles erzählen...«

»Das ist richtig«, unterbrach ihn Widopljassow, »daß Foma Fomitsch mein wahrer Wohltäter ist, und darum hat er mir auch meine Nichtigkeit auseinandergesetzt, was für ein Wurm ich auf der Erde bin, so daß ich durch ihn zum erstenmal mein Schicksal vorhergesehen habe.«

»Nun höre mal, lieber Sergej, nun höre mal, wie das alles zusammenhängt«, fuhr der Onkel in seiner hastigen Manier fort. »Er hat ursprünglich in Moskau gelebt und dort beinahe seit seiner Kindheit bei einem Schreiblehrer im Dienst gestanden. Du solltest nur einmal sehen, wie er bei dem schreiben gelernt hat: mit Farben und mit Gold, und ringsherum, weißt du, bringt er solche Amoretten an – mit einem Wort, er ist ein Künstler! Ilja hat bei ihm Schreibunterricht; ich bezahle für jede Stunde anderthalb Rubel; Foma hat diesen Preis selbst festgesetzt. Er fährt auch zu drei benachbarten Gutsbesitzern; die bezahlen ebenfalls. Du siehst ja, wie er sich kleidet! Außerdem macht er auch Gedichte.«

»Gedichte! Das fehlte noch!«

»Ja, Gedichte, lieber Freund, Gedichte, und glaube nur nicht, daß ich Spaß mache, wirkliche Gedichte, sozusagen Verse, und, weißt du, ordentlich gereimt, über alle möglichen Gegenstände; jeden Gegenstand behandelt er gleich flüssig in seinen Gedichten. Ein wahres Talent! Der Mama hatte er zu ihrem Namenstag einen solchen poetischen Glückwunsch verfaßt, daß wir alle Nase und Mund aufsperrten: aus der Mythologie war allerlei darin, und die Musen flogen umher, und es war sogar, weißt du, dabei diese... wie nennt man es doch? diese vollkommene Form zu sehen; kurz, es war ganz und gar in Reimen. Foma hatte es korrigiert. Na, ich habe natürlich nichts dagegen und freue mich meinerseits sogar darüber. Mag er immerhin Gedichte machen, wenn er nur keine dummen Streiche begeht. Ich sage das von dir, lieber Grigori, wohlmeinend wie ein Vater. Foma hatte von seiner dichterischen Begabung gehört, ließ sich seine Gedichte zeigen, ermunterte ihn und ernannte ihn zu seinem Vorleser und Schreiber, kurz, er sorgte für seine Bildung. Widopljassow hat ganz recht, wenn er sagt, daß Foma ihm viele Wohltaten erwiesen habe. Na also, weißt du, da hat sich nun so eine edle romantische Denkweise in seinem Kopfe herausgebildet und ein Gefühl der Unabhängigkeit... Foma hat mir das alles erklärt; aber, die Wahrheit zu sagen, ich habe es schon wieder vergessen; aber ich muß gestehen, ich hatte auch schon, unabhängig von Fomas Eingreifen, vor, ihn freizulassen. Ich schäme mich gewissermaßen, weißt du!... Aber Foma wendet dagegen ein, er brauche ihn notwendig und habe ihn liebgewonnen; und außerdem sagt er, es werde mir als dem Herrn zur besonderen Ehre gereichen, wenn ich bei mir unter meinen eigenen Leuten Dichter hätte. Es hätten einmal irgendwo gewisse Barone gelebt, und das sei en grand. Na, meinetwegen en grand! Ich habe schon angefangen, ihn hochzuschätzen, lieber Freund, du verstehst?... Aber weiß der Himmel, wie er sich aufgeführt hat. Das schlimmste ist: er ist infolge seiner Verse den Gutsleuten gegenüber so hochnäsig geworden, daß er mit ihnen gar nicht mehr reden will. Nimm mir das nicht übel, Grigori; ich sage dir das in väterlicher Gesinnung. Im vorigen Winter hatte er sich verlobt: es ist da so ein Mädchen vom Gutsgesinde, Matrjona heißt sie, ein sehr hübsches Mädchen, weißt du, anständig, arbeitsam und von heiterer Gemütsart. Aber nun sagt er auf einmal nein: ›Ich will nicht‹, sagt er, ›Punktum!‹ Er ist von der Verlobung zurückgetreten. Ob er nun so hochmütig geworden ist oder ob er beabsichtigt, zuerst berühmt zu werden und dann an anderer Stelle einen Antrag zu machen...«