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Ohne einen Augenblick zu verlieren, beeilte ich mich, ihm mein ganzes Gespräch mit Nastasja zu erzählen: meinen Antrag, ihre entschiedene Ablehnung, ihren Zorn auf den Onkel, weil er sich erlaubt hatte, mich brieflich herzuberufen; ich setzte ihm auseinander, daß sie ihn durch ihre Abreise vor der Heirat mit Tatjana Iwanowna zu retten hoffe; kurz, ich enthielt ihm nichts vor; ich übertrieb sogar absichtlich alles, was in diesen Mitteilungen an Unangenehmem enthalten war. Ich wollte bei meinem Onkel einen starken Eindruck hervorrufen, um ihn zu definitiven Maßnahmen zu veranlassen, – und der Eindruck war dann auch tatsächlich sehr stark. Der Onkel schrie auf und griff sich an den Kopf.

»Wo ist sie? Weißt du es nicht? Wo ist sie jetzt?« sagte er endlich, ganz blaß vor Schreck. »Und ich Dummkopf kam schon ganz beruhigt hierher und dachte, es sei alles wieder in Ordnung«, fügte er verzweifelt hinzu.

»Ich weiß nicht, wo sie jetzt ist; aber vorhin, als dieses Geschrei anfing, wollte sie zu Ihnen gehen, sie wollte das alles laut in jedermanns Gegenwart aussprechen. Wahrscheinlich hat man sie nicht hereingelassen.«

»Das fehlte auch noch, daß man sie hereingelassen hätte! Was hätte sie da angerichtet! Ach, sie hat ein hitziges, stolzes Köpfchen! Und wo wird sie jetzt bleiben? Ja wo, wo? Und du, du bist mir auch der Richtige! Warum hat sie dir denn eine abschlägige Antwort gegeben? Unsinn! Du mußtest ihr gefallen. Warum hast du ihr denn nicht gefallen? So antworte doch, um Himmels willen; warum stehst du so stumm da?«

»Aber ich bitte Sie, lieber Onkel! Wie kann man denn überhaupt solche Fragen stellen?«

»Aber so kann es doch unmöglich bleiben! Du mußt, du mußt sie heiraten. Warum habe ich dich denn aus Petersburg hierher zitiert? Du mußt sie glücklich machen! Jetzt will man sie von hier vertreiben; aber dann, wenn sie deine Frau und meine Nichte ist, dann werden sie sie nicht vertreiben können. Und wo soll sie denn sonst hingehen? Was soll aus ihr werden? Soll sie sich nach einer Gouvernantenstelle umsehen? Aber das ist ja der schrecklichste Unsinn, Gouvernante! Wovon soll sie denn zu Hause leben, bis sie eine Stelle findet? Der Alte hat ja so schon acht Kinder auf dem Hals; sie nagen selbst am Hungertuch. Sie wird ja keinen Groschen von mir annehmen, wenn sie wegen dieser häßlichen Verleumdungen von hier fortgeht, weder sie noch ihr Vater. Und wie kann sie denn auch in solcher Weise von hier fortgehen; das ist ja schrecklich! Es wird hier einen argen Skandal geben; das weiß ich schon jetzt. Ihr Gehalt aber hat sie schon längst im voraus erhalten, um die Ausgaben für ihre Familie bestreiten zu können; denn sie ernährt ja ihre Angehörigen. Na, angenommen, ich empfehle sie als Gouvernante und mache für sie eine ehrenhafte, anständige Familie ausfindig... aber hol’s der Teufel, wo findet man anständige, wahrhaft anständige Menschen? Na, angenommen sogar, es gäbe ihrer viele (wir wollen Gott nicht erzürnen), aber es bleibt doch immer gefährlich: kann man sich auf die Menschen verlassen? Zudem ist ein armer Mensch mißtrauisch; er hat immer das Gefühl, daß man ihn das Brot und die freundliche Behandlung durch Demütigungen bezahlen läßt! Man wird sie kränken; sie hat ihren Stolz, und dann... ja, was dann? Und wie, wenn zu alldem so ein schändlicher Verführer sich an sie heranmacht? Sie wird ihn empört zurückweisen; ich weiß, daß sie das tun wird; aber er wird sie doch beleidigen, der Schurke! Es kann doch ein Schatten von Verdacht auf sie fallen, üble Nachrede an ihr hängenbleiben, und dann? Der Kopf platzt mir ja! Ach du mein Gott!«

»Lieber Onkel! Verzeihen Sie mir eine Frage«, begann ich feierlich; »seien Sie mir nicht böse, sondern machen Sie sich klar, daß von der Antwort auf diese Frage viel abhängt; ich bin sogar zum Teil berechtigt, von Ihnen eine Antwort zu verlangen, lieber Onkel!«

»Was ist denn los? Was ist das für eine Frage?«

»Sagen Sie mir offen und ehrlich, wie wenn Sie vor Gott stünden: fühlen Sie nicht, daß Sie selbst ein bißchen in Nastasja Jewgrafowna verliebt sind und sie gern heiraten möchten? Bedenken Sie doch nur: das ist doch gerade der Grund, weshalb man sie von hier weghaben möchte.«

Mein Onkel machte eine höchst energische Geste krampfhafter Ungeduld.

»Ich verliebt? In sie? Die haben wohl alle Tollkraut gegessen oder sich gegen mich verschworen. Ebendeswegen habe ich dich ja herbestellt, um ihnen allen zu beweisen, daß sie nicht recht bei Trost sind. Und wie könnte ich denn dann darauf hinwirken, daß du sie heiratest? Ich verliebt? In sie? Sie sind alle übergeschnappt, damit basta!«

»Wenn es so steht, lieber Onkel, dann erlauben Sie mir bitte, alles auszusprechen. Ich erkläre Ihnen feierlich, daß ich in einer solchen Vermutung absolut nichts Schlechtes finde. Vielmehr würden Sie sie glücklich machen, wenn Sie sie liebten, und... und das gebe Gott! Gott gebe Ihnen Liebe und einen klugen Entschluß!«

»Aber ich bitte dich, was redest du da!« rief mein Onkel ordentlich erschrocken. »Ich wundere mich, wie du das so kaltblütig sagen kannst... und... überhaupt bist du immer zu hastig, lieber Freund; diesen Charakterzug habe ich an dir schon bemerkt! Na, ist das nicht sinnlos, was du da gesagt hast? Sag selbst, wie soll ich sie denn heiraten, da ich sie doch wie eine Tochter ansehe und nicht anders? Und ich müßte mich sogar schämen, wenn ich sie anders ansähe; ja, es wäre geradezu sündhaft! Ich bin ein alter Mann und sie ein junges Knöspchen! Auch Foma hat mir das mit genau denselben Ausdrücken auseinandergesetzt. Ich fühle in meinem Herzen eine warme väterliche Liebe zu ihr, und du redest von Heirat! Vielleicht würde sie mir aus Dankbarkeit keine abschlägige Antwort geben; aber dann würde sie mich später deswegen verachten, weil ich ihre Dankbarkeit mißbraucht habe. Ich würde sie zugrunde richten, und ich würde ihre Neigung verlieren! Gern gäbe ich ihr meine ganze Seele hin, ihr, meinem lieben Kind! Ich liebe sie ganz ebenso wie Alexandra, sogar noch mehr, muß ich dir gestehen. Alexandra ist von Natur und von Rechts wegen meine Tochter; aber diese habe ich durch meine Liebe zu meiner Tochter gemacht. Ich habe sie aus der Dürftigkeit herausgehoben und aufgezogen. Auch Katerina, meine gute selige Frau, liebte sie und hat sie mir wie eine Tochter hinterlassen. Ich habe ihr eine gute Bildung zukommen lassen: sie hat Französisch sprechen gelernt und Klavier spielen und Bücher und alles... Was hat sie für ein hübsches Lächeln! Hast du es auch bemerkt, lieber Sergej! Als ob sie einen auslachen wollte; aber dabei lacht sie einen gar nicht aus, sondern meint es vielmehr gut mit einem... Siehst du, ich hatte gedacht, du würdest herkommen und ihr einen Antrag machen, und dann würden sie alle zu der Überzeugung gelangen, daß ich keine Absichten auf sie habe, und würden aufhören, diese häßlichen Gerüchte über sie zu verbreiten. Sie würde dann in Ruhe und Frieden bei uns bleiben, und wie glücklich würden wir dann leben! Ihr seid beide meine Kinder, beinah beide Waisen, beide seid ihr unter meiner Obhut aufgewachsen... ich würde euch so liebhaben, so liebhaben! Ich würde euch mein Leben widmen, mich nie von euch trennen, immer bei euch bleiben! Ach, wie glücklich könnten wir sein! Warum die Menschen sich nur immer so erbosen und aufeinander zornig sind und sich gegenseitig hassen? Ich möchte mich am liebsten daranmachen, ihnen das alles auseinanderzusetzen und ihnen die ganze, reine Wahrheit darzulegen! Ach du mein Gott!«

»Ja, lieber Onkel, ja; das ist alles ganz richtig; aber sie hat mir doch einen Korb gegeben.«

»Sie hat dir einen Korb gegeben! Hm!... Aber weißt du, ich hatte das gewissermaßen geahnt, daß sie dir einen Korb geben würde«, sagte er nachdenklich. »Aber nein!« rief er. »Ich glaube es nicht! Das ist unmöglich. Dann würde ja alles in die Brüche gehen! Gewiß hast du dich gleich von vornherein ihr gegenüber ungeschickt benommen, sie vielleicht verletzt, womöglich Komplimente zu drechseln versucht... Erzähle mir noch einmal, wie es gewesen ist, Sergej!«