Ich wiederholte noch einmal alles mit der größten Ausführlichkeit. Als ich zu dem Punkt gelangte, wo Nastasja die Hoffnung aussprach, durch ihr Verschwinden den Onkel vor der Verheiratung mit Tatjana Iwanowna zu retten, lächelte dieser bitter.
»Mich zu retten!« sagte er. »Jawohl, mich zu retten bis morgen!«
»Aber Sie wollen doch nicht sagen, lieber Onkel, daß Sie Tatjana Iwanowna heiraten werden!« rief ich erschrocken.
»Eben damit habe ich es ja erkauft, daß Nastasja morgen nicht weggejagt werden soll. Gleich morgen werde ich einen Heiratsantrag machen; ich habe es mit aller Bestimmtheit versprochen.«
»Sie haben sich wirklich dazu entschlossen, lieber Onkel?«
»Was sollte ich machen, lieber Freund, was sollte ich machen? Es zerreißt mir das Herz; aber ich habe mich dazu entschlossen. Morgen mache ich ihr einen Antrag; die Hochzeit soll nach unserem Beschluß in aller Stille gefeiert werden, im Familienkreis; das ist auch das beste, lieber Freund, im Familienkreis. Dich möchte ich bitten, mein Hochzeitsmarschall zu sein. Ich habe schon auf dich hingewiesen, so daß sie dich vorläufig nicht wegjagen werden. Was sollte ich machen, lieber Freund? Sie sagen, ich solle für meine Kinder Reichtum erwerben. Gewiß, was tut man nicht alles für seine Kinder? Für seine Kinder stellt man sich sogar auf den Kopf, um so mehr, da es im Grunde nur in der Ordnung ist, daß man für sie Opfer bringt. Ich muß ja doch wenigstens etwas für die Familie tun. Ich darf doch nicht immer nur dasitzen und die Hände in den Schoß legen!«
»Aber, lieber Onkel, sie ist ja doch verrückt!« rief ich, mich vergessend; mein Herz zog sich schmerzlich zusammen.
»Nun soll sie auch noch verrückt sein! Sie ist durchaus nicht verrückt; aber weißt du, sie hat viel Unglück durchgemacht... Was soll ich machen, lieber Freund? Ich würde ja auch froh sein, wenn sie ihren vollen Verstand hätte... Übrigens, wie sehen viele von denen aus, die ihren vollen Verstand haben! Aber wenn du wüßtest, wie gutherzig sie ist, was für eine edle Gesinnung sie hat!«
»Mein Gott, er findet sich schon in diesen Gedanken hinein!« sagte ich verzweifelt.
»Aber was soll ich denn machen? Sie wünschen es ja doch nur zu meinem Besten, und ich sehe ja auch, daß ich früher oder später doch nicht drum herumkomme: sie werden mich zwingen, Tatjana Iwanowna zu heiraten. Da ist es schon besser, es jetzt gleich zu tun als erst deswegen einen Streit anzufangen. Ich will dir alles ganz offen sagen, lieber Sergej: in gewisser Weise bin ich sogar froh über das Geschehene. Es ist gut, daß ich meinen Entschluß gefaßt habe; nun bin ich wenigstens die Last, die mich bedrückte, los und fühle mich ruhiger. Als ich hierher kam, war ich schon fast ganz ruhig. Es ist nun einmal mein Schicksal. Die Hauptsache aber ist: wir haben den Vorteil, daß Nastasja bei uns bleibt. Ich habe ja nur unter dieser Bedingung eingewilligt. Aber nun will sie selbst davongehen! Das darf nicht geschehen!« rief der Onkel und stampfte mit dem Fuß auf. »Höre mal, Sergej«, fügte er mit entschlossener Miene hinzu, »warte hier auf mich, geh nicht weg; ich komme gleich wieder.«
»Wo willst du hin, lieber Onkel?«
»Vielleicht treffe ich sie, Sergej; dann wird sich alles aufklären; glaube mir, alles wird sich aufklären, und... und... du wirst sie heiraten; darauf gebe ich dir mein Ehrenwort!«
Der Onkel verließ schnellen Schrittes das Zimmer und ging in Richtung Garten, nicht in Richtung Haus. Ich folgte ihm vom Fenster aus mit den Augen.
XII
Die Katastrophe
Ich blieb allein. Meine Lage war eine höchst peinliche: ich hatte einen Korb bekommen, und doch wollte mich mein Onkel beinahe mit Gewalt verheiraten. Meine Gedanken waren unklar und verworren. Misintschikow und sein Vorhaben kamen mir nicht aus dem Sinn. Um jeden Preis mußte ich den Onkel retten! Ich dachte sogar daran, Misintschikow aufzusuchen und ihm alles zu erzählen. Aber wohin war der Onkel gegangen? Er hatte selbst gesagt, er wolle Nastasja aufsuchen, dabei aber die Richtung in den Garten hinein eingeschlagen. Ein Gedanke an geheime Rendezvous blitzte in meinem Kopf auf, und ein unangenehmes Gefühl preßte mir das Herz zusammen. Ich erinnerte mich an das, was Misintschikow über ein heimliches Verhältnis der beiden gesagt hatte... Nach kurzem Nachdenken verwarf ich meinen ganzen Verdacht mit Entrüstung. Mein Onkel konnte nicht betrügen: das war klar. Meine Unruhe wuchs von Minute zu Minute. Fast unbewußt trat ich vor die Haustür und ging in den Garten hinein, dieselbe Allee entlang, in der mein Onkel verschwunden war. Der Mond ging eben auf. Ich kannte diesen Garten nach allen Richtungen und fürchtete nicht, mich zu verirren. Als ich zu dem alten Pavillon gelangt war, der einsam am Ufer des vernachlässigten, mit Entengrütze bedeckten Teiches stand, blieb ich auf einmal wie angewurzelt stehen: ich hörte aus dem Pavillon Stimmen. Ich kann gar nicht schildern, was für ein seltsames Gefühl des Ärgers sich meiner bemächtigte! Ich war ganz sicher, daß es der Onkel und Nastasja seien, und ging näher heran, indem ich mein Gewissen für jeden Fall dadurch beschwichtigte, daß ich meinen bisherigen Schritt beibehielt und keinen Versuch machte, mich heranzuschleichen. Auf einmal wurde der Klang eines Kusses deutlich vernehmbar, dann die Töne begeisterter Worte und unmittelbar darauf der durchdringende Schrei einer weiblichen Stimme. In demselben Augenblicke kam eine weibliche Gestalt in einem weißen Kleid aus dem Pavillon herausgelaufen und huschte wie eine Schwalbe an mir vorbei. Es schien mir sogar, daß sie das Gesicht mit den Händen verbarg, um nicht erkannt zu werden; wahrscheinlich war ich vom Pavillon aus bemerkt worden. Aber wie groß war mein Erstaunen, als ich in dem Herrn, der hinter der erschrockenen Dame heraustrat, Obnoskin erkannte, Obnoskin, der nach Misintschikows Aussage schon längst weggefahren war! Auch Obnoskin seinerseits wurde, als er mich erblickte, außerordentlich verlegen: seine ganze Dreistigkeit war verschwunden.
»Entschuldigen Sie, aber ich hatte ganz und gar nicht erwartet, Sie hier zu treffen«, sagte er lächelnd und stotternd.
»Ich Sie auch nicht«, antwortete ich spöttisch, »um so weniger, da ich gehört habe, Sie seien längst abgereist.«
»Nein... ich bin nur... ich habe nur meine Mutter ein Stückchen begleitet. Aber darf ich mich an Sie als an den ehrenhaftesten Menschen der Welt mit einer Bitte wenden?«
»Mit welcher Bitte?«
»Es gibt (das werden Sie selbst zugeben) Fälle, wo ein wahrhaft ehrenhafter Mensch sich genötigt sieht, an die ganze Ehrhaftigkeit der Denkweise eines anderen wahrhaft ehrenhaften Menschen zu appellieren... Ich hoffe, Sie verstehen mich...«
»Hoffen Sie das nicht; denn ich verstehe absolut nichts.«
»Sie haben die Dame gesehen, die sich mit mir zusammen im Pavillon befand?«
»Gesehen habe ich sie, aber nicht erkannt.«
»Ah, Sie haben sie nicht erkannt... Diese Dame werde ich bald meine Frau nennen.«
»Ich gratuliere Ihnen. Aber womit kann ich Ihnen nützlich sein?«
»Nur damit, daß Sie das tiefste Stillschweigen darüber wahren, daß Sie mich mit dieser Dame gesehen haben.«
›Wer mag das gewesen sein?‹ dachte ich; ›doch nicht etwa...‹
»Ich weiß wirklich nicht«, antwortete ich ihm. »Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, daß ich Ihnen das nicht versprechen kann.«
»Um Gottes willen, ich bitte Sie inständig darum!« flehte Obnoskin. »Versetzen Sie sich doch in meine Lage: es ist noch ein Geheimnis. Vielleicht werden Sie selbst einmal Bräutigam sein; dann werde auch ich meinerseits...«
»Pst! Es kommt jemand!«
»Wo?«
Wirklich glitt, etwa dreißig Schritte von uns entfernt, kaum wahrnehmbar der Schatten eines Menschen vorbei.
»Das... das war gewiß Foma Fomitsch!« flüsterte Obnoskin, am ganzen Leib zitternd. »Ich erkenne ihn am Gang. Mein Gott! und da sind noch mehr Schritte, von der andern Seite! Hören Sie nur!... Leben Sie wohl! Ich danke Ihnen, und... ich flehe Sie an...«