Выбрать главу

Obnoskin verschwand. Einen Augenblick darauf stand, wie aus der Erde gewachsen, mein Onkel vor mir.

»Bist du es?« rief er mich an. »Es ist alles verloren, lieber Sergej, alles verloren!«

Ich bemerkte, daß er ebenfalls am ganzen Leib zitterte.

»Was ist verloren, lieber Onkel?«

»Komm!« sagte er, mühsam atmend, ergriff mich fest bei der Hand und zog mich mit sich. Aber auf dem ganzen Weg bis zum Sommerhäuschen sprach er kein Wort und ließ auch mich nicht sprechen. Ich machte mich auf etwas Ungeheuerliches gefaßt und irrte mich auch kaum. Als wir ins Zimmer getreten waren, wurde ihm schwindlig; er war leichenblaß. Ich bespritzte ihn sofort mit Wasser. »Es muß wohl etwas ganz Entsetzliches geschehen sein«, dachte ich, »wenn ein solcher Mann einen Ohnmachtsanfall bekommt.«

»Lieber Onkel, was ist denn mit Ihnen?« fragte ich ihn endlich.

»Es ist alles verloren, lieber Sergej! Foma hat mich im Garten mit Nastasja angetroffen, gerade in dem Augenblick, als ich sie küßte.«

»Sie haben sie geküßt? Im Garten?« rief ich, meinen Onkel erstaunt anblickend.

»Ja, im Garten, lieber Freund; Gott hat uns in Versuchung geführt! Ich war hingegangen, um sie, wenn irgend möglich, zu sehen. Ich wollte ihr alles sagen, das heißt, ihr in Hinblick auf dich den Kopf zurechtrücken. Sie hatte aber schon eine ganze Stunde auf mich gewartet, dort bei der zerbrochenen Bank, auf der anderen Seite des Teiches... Sie kommt oft dahin, wenn sie mit mir zu reden hat.«

»Oft, lieber Onkel?«

»Ja, oft, lieber Freund! In der letzten Zeit haben wir uns fast jede Nacht da getroffen. Aber sie haben uns gewiß nachgespürt; ich weiß, daß sie das getan haben, und ich weiß auch, daß Anna Nilowna dabei am eifrigsten gewesen ist. So stellten wir denn unsere Zusammenkünfte zeitweilig ein; seit vier Tagen hatten wir uns nicht mehr getroffen; aber heute war es doch wieder erforderlich geworden. Du hast ja selbst gesehen, wie notwendig es war, auf welche andere Weise hätte ich ihr alles sagen können? Ich ging hin in der Hoffnung, sie zu treffen, und sie hatte da schon eine ganze Stunde gesessen und auf mich gewartet; sie hatte ebenfalls etwas, was sie mir mitteilen mußte...«

»Mein Gott, welche Unvorsichtigkeit! Sie wußten doch, daß man Ihnen nachspürte?«

»Aber es war eine kritische Lage, lieber Sergej; wir hatten uns gegenseitig vieles zu sagen. Bei Tag wage ich sie ja nicht einmal anzusehen; sie guckt in eine Ecke und ich absichtlich in eine andere, als ob ich gar nicht gewahr würde, daß sie überhaupt auf der Welt ist. Aber bei Nacht kommen wir zusammen und reden miteinander...«

»Nun, und was weiter, lieber Onkel?«

»Ich hatte ihr erst ein paar Worte gesagt – weißt du, das Herz klopfte mir wie ein Hammer, und die Tränen liefen mir aus den Augen; ich fing an, ihr zuzureden, daß sie dich heiraten möchte; aber sie sagte zu mir: ›Sie lieben mich gewiß nicht, gewiß nicht; Sie sehen ja nichts!‹ und auf einmal warf sie sich an meine Brust, schlang mir die Arme um den Hals und begann zu weinen und zu schluchzen! ›Ich liebe nur Sie‹, sagte sie, ›und werde niemand heiraten. Ich liebe Sie schon lange; aber auch Sie werde ich nicht heiraten; ich werde gleich morgen von hier wegfahren und ins Kloster gehen.‹ «

»Mein Gott! Hat sie das wirklich gesagt? Nun, und was weiter, was weiter, lieber Onkel?«

»Ich blickte auf, und da stand Foma vor uns! Woher war er nur gekommen? Hatte er hinter einem Busch gesessen und darauf gewartet, daß wir diese Sünde begingen?«

»Der Schurke!«

»Ich war starr; Nastasja lief fort; Foma Fomitsch aber ging schweigend an mir vorbei und drohte mir mit dem Finger. Verstehst du wohl, Sergej, was es morgen für einen Skandal geben wird?«

»Na, wie sollte ich das nicht verstehen!«

»Verstehst du wohl«, rief er in heller Verzweiflung und sprang dabei vom Stuhl auf, »verstehst du wohl, daß sie sie zugrunde richten, beschimpfen, entehren wollen? Sie suchen einen Vorwand, um sie einer unehrenhaften Handlung zu beschuldigen und sie dafür aus dem Haus zu jagen, und jetzt haben sie einen solchen Vorwand gefunden! Sie haben ja gesagt, sie unterhalte mit mir ein unsittliches Verhältnis! Sie haben ja gesagt, die Schurken, sie habe ein solches Verhältnis mit Widopljassow! Das alles hat Anna Nilowna gesagt. Was wird nun werden? Was wird morgen geschehen? Ob Foma es wirklich weitererzählen wird?«

»Zweifellos wird er das tun, lieber Onkel.«

»Aber wenn er es weitererzählt, wenn er es wirklich weitererzählt...«, sagte er, sich auf die Lippen beißend und die Fäuste ballend. »Aber nein, das glaube ich nicht! Er wird es nicht weitererzählen; er wird Verständnis dafür haben... er ist ja doch ein Mann von edelster Denkungsart! Er wird sie schonen...«

»Ob er sie nun schont oder nicht«, erwiderte ich energisch, »jedenfalls ist es Ihre Pflicht, gleich morgen Nastasja Jewgrafowna einen Heiratsantrag zu machen.«

Der Onkel sah mich an, ohne sich zu rühren.

»Verstehen Sie auch, lieber Onkel, daß Sie das junge Mädchen um seinen guten Ruf bringen, wenn diese Geschichte unter die Leute kommt? Verstehen Sie auch wohl, daß Sie einem solchen Unglück so schnell wie möglich zuvorkommen müssen? Sie müssen jedem kühn und stolz in die Augen blicken, ihr öffentlich einen Heiratsantrag machen, sich den Teufel was um die Einwände dieser Menschen scheren und Foma zu Staub zermalmen, wenn er gegen Nastasja Jewgrafowna auch nur einen Ton sagt.«

»Mein Freund«, rief der Onkel, »daran habe ich auf dem Weg hierher auch schon gedacht!«

»Und wie haben Sie sich entschieden?«

»Ich habe mich dazu unwiderruflich entschlossen! Und ich habe diesen Entschluß schon gefaßt, noch ehe ich anfing, dir das Vorgefallene zu erzählen!«

»Bravo, lieber Onkel!«

Ich fiel ihm um den Hals.

Wir redeten noch lange miteinander. Ich legte ihm alle Gründe für seine Heirat mit Nastasja dar und zeigte ihm, daß dies eine absolute Notwendigkeit sei; übrigens sah er das noch besser ein als ich selbst. Aber der Trieb zur Betätigung meiner Beredsamkeit war nun einmal bei mir rege geworden. Ich freute mich über meinen Onkel. Die Pflicht drängte ihn zum Handeln; sonst hätte er sich wohl niemals dazu aufgerafft. Vor der Pflicht aber hatte er einen heiligen Respekt. Trotzdem jedoch konnte ich mir schlechterdings keine rechte Vorstellung davon machen, wie diese Sache bewerkstelligt werden sollte. Ich wußte und glaubte mit aller Bestimmtheit, daß mein Onkel um keinen Preis von dem ablassen würde, was er einmal als seine Pflicht erkannt hatte; aber ich hatte doch meine Zweifel, ob seine Kraft zum Widerstand gegen seine Hausgenossen auch ausreichen würde. Und darum gab ich mir die größte Mühe, ihn anzutreiben und anzuleiten, und widmete mich dieser Aufgabe mit jugendlichem Feuereifer.

»Um so mehr, um so mehr«, sagte ich, »da jetzt schon alles entschieden und Ihre letzten Zweifel behoben sind! Es hat sich etwas zugetragen, was Sie nicht erwartet hatten, obwohl es in Wirklichkeit alle sahen und vor Ihnen gemerkt haben: Nastasja Jewgrafowna liebt Sie! Werden Sie etwa zulassen«, rief ich, »daß diese reine Liebe ihr Schmach und Schande einträgt?«

»Niemals! Aber, mein Freund, soll ich denn wirklich zu guter Letzt noch so glücklich werden?« rief der Onkel und fiel mir um den Hals. »Und wie kommt es nur, daß sie mich liebgewonnen hat, und wofür? wofür? Ich meine, ich habe doch nichts Derartiges an mir... Ich bin im Vergleich zu ihr ein alter Mann; schon darum hätte ich es nicht erwartet! Du mein Engel, mein Engel!... Hör mal, lieber Sergej, du fragtest vorhin, ob ich in sie verliebt sei: hattest du schon irgendeine Ahnung?«

»Ich sah nur, lieber Onkel, daß Sie für sie die größte Liebe fühlten, die man sich nur denken kann: daß Sie sie liebten, ohne es selbst zu wissen. Ich bitte Sie um alles in der Welt: Sie lassen mich herkommen und wollen mich mit ihr verheiraten, einzig und allein, damit sie Ihre Nichte wird und Sie sie immer um sich haben...«