»Ich bin selbst daran schuld, lieber Freund«, sagte er manchmal, wenn er mit einem seiner Bekannten sprach; »an allem bin ich selbst schuld! Einen Menschen, dem man Gutes erweist, muß man mit verdoppeltem Zartgefühl behandeln... das heißt... was rede ich da! Dem man Gutes erweist! Da habe ich wieder einmal Unsinn geschwatzt! Ich erweise ihm überhaupt nichts Gutes; im Gegenteil, er ist es, der mir damit etwas Gutes erweist, daß er bei mir wohnt, und nicht ich ihm! Na, und doch habe ich ihm das bißchen Brot zum Vorwurf gemacht!... Das heißt, ich habe es ihm gar nicht zum Vorwurf gemacht; aber es muß mir offenbar so ein Wort unversehens über die Lippen gesprungen sein, – das passiert mir öfters... Na, aber schließlich, der Mensch hat viel gelitten, Heldenhaftes geleistet; zehn Jahre lang hat er trotz aller Kränkungen seinen kranken Freund gepflegt und gewartet: all das verlangt eine Belohnung! Na, und dann schließlich die Wissenschaft... Er ist Schriftsteller! Ein hochgebildeter Mensch. Ein durchaus edler Charakter, – mit einem Wort...«
Die Vorstellung, wie der gebildete, unglückliche Foma bei dem launenhaften, grausamen Herrn als Possenreißer fungiert hatte, erfüllte das edle Herz des Onkels mit Mitleid und Empörung. Alle Sonderbarkeiten Fomas, alle seine häßlichen Ausfälle betrachtete der Onkel stets als die natürliche Folge seiner früheren Leiden, seiner Erniedrigung und seiner Verbitterung... Bei seinem zartfühlenden, edlen Herzen sagte er sich jedesmal sofort, man könne von jemand, der soviel gelitten hatte, nicht dasselbe verlangen wie von einem gewöhnlichen Menschen; man müsse ihm nicht nur verzeihen, sondern vielmehr mit Sanftmut seine Wunden heilen, ihn aufrichten, ihn wieder mit der Menschheit versöhnen. Nachdem er sich dies zum Ziel gesetzt hatte, war er Feuer und Flamme dafür und verlor vollständig die Fähigkeit, zu bemerken, daß sein neuer Freund ein genußsüchtiges, launenhaftes Geschöpf, ein Egoist, Taugenichts und Tagedieb und nichts anderes war. An Fomas Gelehrsamkeit und Genialität glaubte er vorbehaltlos. Ich habe vergessen zu sagen, daß der Onkel vor den Worten »Wissenschaft« und »Literatur« einen höchst naiven Respekt empfand, obgleich er selbst nie etwas gelernt hatte.
Das war eine seiner hervorragendsten, unschuldigsten Sonderbarkeiten.
»Er schreibt ein Werk!« sagte er manchmal, wenn er, noch zwei Zimmer weit von Fomas Zimmer entfernt, auf Zehenspitzen ging. »Ich weiß nicht, was er eigentlich schreibt«, fügte er mit stolzer, geheimnisvoller Miene hinzu; »aber es wird gewiß so’n Zeug sein... Das heißt, Zeug im guten Sinne. Mancher mag’s ja verstehen; aber für dich und mich, lieber Freund, sind das solche Rätsel, daß... Ich glaube, er schreibt über die Produktivkräfte, – so hat er selbst gesagt. Das ist gewiß etwas Politisches. Ja, sein Name wird einen großen Klang haben! Dann werden auch du und ich durch ihn berühmt werden. Das hat er mir selbst gesagt, lieber Freund...« Ich weiß zuverlässig, daß der Onkel auf Fomas Befehl sich seinen schönen, dunkelblonden Backenbart abrasieren mußte. Foma war der Ansicht, mit dem Backenbart sehe der Onkel wie ein Franzose aus und bekunde daher wenig Vaterlandsliebe. Nach und nach begann sich Foma auch in die Verwaltung des Gutes einzumischen und weise Ratschläge zu geben. Diese weisen Ratschläge waren fürchterlich. Die Bauern merkten bald, wie die Dinge lagen und wer der eigentliche Herr war, und kratzten sich tüchtig im Nacken. Ich habe in der Folge selbst ein Gespräch Foma Fomitschs mit den Bauern angehört; ich muß gestehen, daß ich es belauschte: Foma hatte schon früher geäußert, daß er gern mit dem verständigen russischen Bauern rede. So ging er denn einmal auf die Tenne, sprach mit den Bauern über Landwirtschaft, obgleich er selbst nicht Hafer von Weizen zu unterscheiden wußte, und setzte ihnen dann in süßem Tone die heiligen Pflichten des Bauern gegen die Herrschaft auseinander, wobei er auch die Fragen der Elektrizität und der Arbeitsteilung streifte, Dinge, von denen er natürlich keine blasse Ahnung hatte, und seinen Zuhörern erklärte, wie die Erde um die Sonne gehe; endlich kam er, ganz gerührt von seinem eigenen schönen Vortrag, auf die Minister zu sprechen. Ich hatte für sein Benehmen Verständnis. Erzählt doch auch Puschkin von einem Vater, der zu seinem vierjährigen Söhnchen sagte, er, der Papa, sei so tapfer, daß der Kaiser ihn liebhabe. Dieser Vater brauchte eben einen Zuhörer, mochte derselbe auch erst vierjährig sein. Die Bauern aber hörten immer pflichtschuldig an, was Foma Fomitsch sagte.
»Aber wie ist das, Väterchen? Hast du viel Gehalt vom Kaiser bekommen?« fragte ihn auf einmal aus der Schar der Bauern ein grauhaariger Alter, Archip, mit dem Spitznamen »der Kurze«, in der deutlichen Absicht, sich dadurch einzuschmeicheln; aber Foma Fomitsch erachtete diese Frage für zu familiär, und übermäßige Familiarität konnte er nicht leiden.
»Was geht dich das an, du Tölpel?« antwortete er und sah das arme Bäuerlein verächtlich an. »Warum hältst du mir dein Mopsgesicht hin? Soll ich dir hineinspucken?«