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»Gewiß dort bei den Pferdeställen; da wird ein Wagen angespannt. Ich wartete hier auf ihn. Hören Sie, richten Sie ihm von mir aus, daß ich unter allen Umständen noch heute wegfahren will; ich bin fest dazu entschlossen. Mein Vater wird mich mitnehmen; wenn es möglich ist, fahre ich sogleich. Jetzt ist alles aus! Alles ist verloren!«

Während sie das sagte, sah sie mich an, als ob sie selbst verloren wäre, und brach plötzlich in Tränen aus. Es schien, daß sie einen Weinkrampf bekam.

»Beruhigen Sie sich!« bat ich sie. »All das wird sich noch zum besten wenden; Sie werden sehen... Was ist mit Ihnen, Nastasja Jewgrafowna?«

»Ich... ich weiß nicht... was mit mir ist«, erwiderte sie, mühsam atmend, und drückte unbewußt fest meine beiden Hände. »Sagen Sie ihm...«

In diesem Augenblick wurde hinter der rechts gelegenen Tür ein Geräusch vernehmbar.

Sie ließ meine Hände los und lief erschrocken, ohne zu Ende zu sprechen, die Treppe hinauf.

Ich fand die ganze Gesellschaft, das heißt den Onkel, Bachtschejew und Misintschikow, auf dem hinteren Hof bei den Pferdeställen. Vor Bachtschejews Kutsche waren frische Pferde gespannt worden. Alles war zur Abfahrt bereit; man wartete nur auf mich.

»Da ist er!« rief der Onkel bei meinem Erscheinen. »Hast du die Geschichte gehört, lieber Freund?« fügte er mit einem sonderbaren Gesichtsausdruck hinzu. Schrecken, Verwirrung und gleichzeitig ein Schimmer von Hoffnung kamen in seinen Blicken, in seiner Stimme und in seinen Bewegungen zum Ausdruck. Er war sich dessen bewußt, daß sich in seinem Schicksal eine entscheidende Wende vollzog.

Ich wurde sogleich in alle Einzelheiten eingeweiht. Herr Bachtschejew war, nachdem er eine sehr unangenehme Nacht verbracht hatte, bei Tagesanbruch von seinem Haus weggefahren, um der Frühmesse in dem Kloster beizuwohnen, das von seinem Gut ungefähr fünf Werst entfernt lag. Gerade an der Stelle, wo der Weg zum Kloster von der Chaussee abbiegt, hatte er auf einmal einen mit höchstem Tempo fahrenden Reisewagen und in demselben Tatjana Iwanowna und Obnoskin erblickt. Tatjana Iwanowna, die ganz verweint und ängstlich ausgesehen hatte, hatte aufgeschrien und die Hände nach Herrn Bachtschejew ausgestreckt, wie wenn sie ihn um Schutz bäte – so kam es wenigstens in seiner Erzählung heraus. »Aber er, der Schurke mit dem Spitzbärtchen«, fügte er hinzu, »saß halbtot vor Angst da und suchte sich zu verstecken; aber da irrst du dich, mein Lieber; dich zu verstecken, das gelingt dir nicht!« Ohne sich lange zu besinnen, war Stepan Alexejewitsch wieder auf die Chaussee eingebogen und nach Stepantschikowo gejagt, wo er den Onkel und Misintschikow und zuletzt auch mich geweckt hatte. Es war beschlossen worden, sofort zur Verfolgung aufzubrechen.

»Dieser Obnoskin, dieser Obnoskin...«, sagte der Onkel, mich unverwandt anblickend, als ob er mir zugleich noch etwas anderes sagen wollte; »wer hätte das von ihm gedacht!«

»Von diesem gemeinen Menschen konnte man immer jede Schändlichkeit erwarten!« rief Misintschikow in der energischsten Entrüstung und wandte sich sogleich ab, um meinen Blick zu vermeiden.

»Nun, was tun wir: wollen wir fahren, oder wollen wir hier bis zum Abend stehenbleiben und uns Märchen erzählen?« unterbrach Herr Bachtschejew dieses Gespräch, indem er in den Wagen stieg.

»Fahren wir, fahren wir!« fiel mein Onkel ein.

»Es wird sich alles zum besten wenden, lieber Onkel«, flüsterte ich ihm zu. »Sehen Sie, wie gut sich das jetzt alles gestaltet hat?«

»Sei still, lieber Freund, versündige dich nicht... Ach, mein Bester, sie werden jetzt ganz einfach sie aus dem Haus jagen, zur Strafe dafür, daß ihnen ihr Plan nicht gelungen ist. Ich ahne schrecklich viel Leid!«

»Nun, wie ist’s, Jegor Iljitsch? Wollt ihr miteinander flüstern, oder wollt ihr fahren?« rief Herr Bachtschejew zum zweiten Mal. »Oder sollen wir die Pferde wieder ausspannen und einen Imbiß nehmen? Wie denkt ihr darüber: wollen wir nicht ein Schnäpschen trinken?«

Diese Worte wurden von ihm mit so grimmiger Ironie gesprochen, daß wir nicht umhin konnten, Herrn Bachtschejew sogleich den Willen zu tun. Wir stiegen alle unverzüglich in den Wagen, und die Pferde jagten los.

Eine Weile schwiegen wir alle. Der Onkel sah mich bedeutsam an, mochte aber in Gegenwart der beiden andern nicht mit mir reden. Er versank häufig in Gedanken; dann wieder war es, als ob er erwachte: er fuhr zusammen und blickte aufgeregt um sich. Misintschikow war anscheinend ruhig, rauchte eine Zigarre und machte das würdevolle Gesicht eines Menschen, der ungerechterweise gekränkt ist. Dafür ereiferte sich Bachtschejew für alle. Er brummte etwas vor sich hin, blickte alle an, errötete vor starker Empörung, schnaufte, spuckte unaufhörlich seitwärts aus und konnte gar nicht zur Ruhe kommen. »Bist du denn auch sicher, Stepan Alexejewitsch, daß sie nach Mischino gefahren sind?« fragte mein Onkel plötzlich. »Das liegt zwanzig Werst von hier, lieber Freund«, fügte er, an mich gewandt, hinzu. »Es ist ein kleines Gut mit dreißig Seelen; kürzlich hat es ein ehemaliger Gouvernementsbeamter von den früheren Besitzern gekauft. Er ist ein Ränkeschmied, wie die Welt keinen zweiten kennt! Wenigstens sagen die Leute das von ihm; vielleicht irren sie sich auch. Stepan Alexejewitsch versichert, daß Obnoskin eben dorthin gefahren sei und daß dieser Beamte ihm hilft.«

»Ganz bestimmt!« schrie Bachtschejew auffahrend. »Wenn ich dir doch sage: nach Mischino. Nur ist er von Mischino vielleicht schon wieder über alle Berge, dieser Obnoskin! Natürlich, wenn wir drei Stunden unnütz auf dem Hof verplaudern!«

»Regen Sie sich nicht auf«, bemerkte Misintschikow, »wir werden sie schon noch antreffen.«

»Jawohl, wir werden sie antreffen! Er wird da gewiß auf uns warten. Die Schatulle hat er in den Händen; da wird er sich schon aus dem Staub gemacht haben.«

»Beruhige dich, Stepan Alexejewitsch, beruhige dich; wir werden sie einholen«, sagte mein Onkel. »Die beiden haben noch nicht Zeit gehabt, etwas zu tun; du wirst sehen, daß es so ist.«

»Nicht Zeit gehabt, etwas zu tun!« erwiderte Herr Bachtschejew boshaft. »Was kann die nicht schon alles angerichtet haben, trotz ihres stillen, sanften Wesens! ›Sie ist so still und sanft‹, heißt es, ›so still und sanft!‹ « fügte er mit hoher Stimme hinzu, wie wenn er jemanden nachäffen wollte. » ›Sie hat viel Unglück erfahren!‹ Da ist sie uns nun ausgekratzt, die Unglückliche! Nun kann man ihr vor Tau und Tag auf den Landstraßen nachjagen, daß einem die Zunge aus dem Hals hängt. Nicht einmal sein Gebet verrichten lassen sie einen an dem hohen Festtage. Pfui Deibel!«

»Aber sie ist doch schon mündig«, bemerkte ich; »sie steht nicht unter Vormundschaft. Wir können sie nicht zurückholen, wenn sie es nicht selbst will. Was können wir denn tun?«

»Selbstverständlich!« antwortete der Onkel; »aber sie wird wollen, versichere ich dir. Das hat sie nur einfach so getan. Sowie sie uns erblickt, wird sie sogleich zurückkommen; dafür bürge ich. Wir können sie doch nicht so ihrem Schicksal als Opfer preisgeben, lieber Freund; es ist sozusagen unsere Pflicht, sie zu retten...«

»Sie steht nicht unter Vormundschaft!« schrie Bachtschejew, der nun über mich herfiel. »Eine Verrückte ist sie, Verehrtester, geradezu eine Verrückte; daß sie nicht unter Vormundschaft steht, ist dabei ganz egal. Ich habe Ihnen gestern von ihr nichts erzählen wollen; aber neulich trat ich mal aus Versehen in ihr Zimmer und sah, wie sie da allein vor dem Spiegel stand, mit den Händen in der Seite, und eine Ecossaise tanzte! Und wie sie herausgeputzt war: wie eine Figur aus dem Modejournal, genauso! Ich spuckte aus und ging weg. Gleich damals wußte ich alles im voraus, als ob ich es schriftlich hätte!«

»Aber darf man sie denn so streng verurteilen?« bemerkte ich etwas schüchtern. »Es ist ja bekannt, daß Tatjana Iwanowna... nicht vollständig gesund ist... oder, richtiger gesagt, so eine gewisse Manie hat... Mir scheint, daß nur Obnoskin schuldig ist, nicht sie.«