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»Stepan, Stepan!...« rief mein Onkel.

Obnoskin wurde dunkelrot und schickte sich an, etwas zu entgegnen; aber bevor er den Mund auftun konnte, öffnete sich die Tür, und Anfissa Petrowna kam mit funkelnden Augen, höchst aufgebracht und ganz rot vor Wut, ins Zimmer hereingestürmt.

»Was soll denn das heißen?« schrie sie. »Was geht hier vor? Sie, Jegor Iljitsch, dringen mit Ihrer Bande in ein anständiges Haus ein, versetzen Damen in Schrecken und erlauben sich hier zu kommandieren!... Das ist ja unerhört! Ich bin, Gott sei Dank, noch nicht so alt, daß mein Verstand gelitten hätte, Jegor Iljitsch! Und du, Tölpel«, fuhr sie, auf ihren Sohn zustürzend, fort zu schreien, »du fängst hier wohl gar vor denen an zu greinen! Sie beleidigen deine Mutter in ihrem eigenen Haus, und du stehst dabei und sperrst das Maul auf! Bist du ein ordentlicher junger Mann, wenn du dich so benimmst? Ein Waschlappen bist du und kein junger Mann!«

Von der gestrigen Ziererei, von dem modischen Getue, von dem Manövrieren mit der Lorgnette – von alledem war jetzt bei Anfissa Petrowna auch nicht die Spur mehr vorhanden. Sie war eine richtige Furie, eine Furie ohne Maske.

Kaum hatte mein Onkel sie erblickt, als er schnell Tatjana Iwanowna den Arm bot und mit ihr das Zimmer verlassen wollte; aber Anfissa Petrowna versperrte ihm sogleich den Weg.

»Sie sollen so nicht fortkommen, Jegor Iljitsch!« zeterte sie von neuem los. »Mit welchem Rechte führen Sie Tatjana Iwanowna gewaltsam weg? Es ärgert Sie, daß sie den schändlichen Netzen entgangen ist, in denen Sie zusammen mit Ihrer Mama und diesem Dummkopf, dem Foma Fomitsch, sie verstrickt hatten! Sie wollten sie aus schmählichem Eigennutz selbst heiraten. Entschuldigen Sie, hier denkt man anständiger! Da Tatjana Iwanowna sah, daß man bei Ihnen Böses gegen sie im Schilde führte und sie ins Verderben stürzen wollte, hat sie sich selbst meinem Sohn Pawel anvertraut. Sie selbst hat ihn gebeten, sie sozusagen vor Ihren Netzen zu retten; sie sah sich genötigt, Ihnen bei Nacht zu entfliehen, – so verhält sich das! Dahin haben Sie sie gebracht! Ist es nicht so, Tatjana Iwanowna? Wenn es sich aber so verhält, wie können Sie sich dann unterstehen, mit einer ganzen Rotte in ein anständiges, vornehmes Haus einzudringen und ein ehrenhaftes Mädchen trotz ihres Geschreis und ihrer Tränen mit Gewalt wegzuführen? Das dulde ich nicht! Das dulde ich nicht! Ich habe noch all meine fünf Sinne beisammen... Tatjana Iwanowna wird hierbleiben, da sie es selbst will! Kommen Sie, Tatjana Iwanowna; wozu sollen wir noch auf diese Menschen hören: es sind Ihre Feinde, nicht Ihre Freunde! Haben Sie keine Angst; kommen Sie! Ich werde die hier sofort hinauswerfen...«

»Nein, nein!« rief Tatjana Iwanowna erschrocken; »ich will nicht, ich will nicht! Er taugt nicht zum Ehemann! Ich will Ihren Sohn nicht heiraten! Was würde ich an ihm für einen Ehemann haben!«

»Sie wollen nicht!« kreischte Anfissa Petrowna, vor Wut keuchend; »Sie wollen nicht? Erst sind Sie hierhergefahren, und nun wollen Sie nicht? Wenn’s so ist, wie konnten Sie dann so dreist sein, uns zu betrügen? Wenn’s so ist, wie konnten Sie ihm dann Ihr Versprechen geben und bei Nacht mit ihm davonlaufen und sich uns aufdrängen und uns Unannehmlichkeiten und Kosten verursachen? Mein Sohn ist vielleicht um Ihretwillen einer anständigen Partie verlustig gegangen!... Er hat vielleicht um Ihretwillen eine Mitgift von vierzig-, fünfzigtausend Rubel verloren!... Nein! Das werden Sie uns bezahlen, das müssen Sie uns jetzt bezahlen; wir haben Beweise: Sie sind bei Nacht mit ihm davongelaufen...«

Aber wir hörten diesen Redeschwall nicht bis zu Ende an. Wir scharten uns um meinen Onkel, rückten alle zugleich vor, gerade auf Anfissa Petrowna los, und gingen aus dem Haus hinaus. Der Wagen fuhr sogleich vor.

»Nur ehrlose Menschen handeln so, nur Schurken!« schrie Anfissa Petrowna voller Wut von der Haustür her. »Ich werde eine Klage einreichen! Sie müssen bezahlen... Sie gehen in ein ehrloses Haus, Tatjana Iwanowna! Sie können Jegor Iljitsch nicht heiraten; er hält sich direkt vor Ihrer Nase seine Gouvernante als Mätresse!...«

Mein Onkel fing an zu zittern, wurde blaß, biß sich auf die Lippen und half eilig Tatjana Iwanowna beim Einsteigen. Ich ging auf die andere Seite des Wagens hinüber und wartete darauf, daß die Reihe zum Einsteigen an mich käme, als plötzlich Obnoskin neben mir stand und meine Hand ergriff.

»Erlauben Sie mir wenigstens, Sie um Ihre Freundschaft zu bitten!« sagte er und drückte mir mit dem Ausdruck der Verzweiflung die Hand.

»Was? Um meine Freundschaft?« erwiderte ich, während ich einen Fuß auf den Wagentritt setzte.

»Jawohl! Ich habe schon gestern erkannt, daß Sie ein hochgebildeter Mensch sind. Fällen Sie kein Verdammungsurteil über mich!... Eigentlich hat mich nur meine Mama dazu verleitet; ich war dabei nur eine Nebenperson. Ich habe mehr eine Neigung zur Literatur, versichere ich Ihnen; dies hier war ganz Mamas Werk...«

»Das glaube ich Ihnen, das glaube ich Ihnen«, antwortete ich. »Leben Sie wohl.«

Wir setzten uns, und die Pferde trabten los. Anfissa Petrownas Geschrei und Verwünschungen schallten uns noch lange nach, und aus allen Fenstern des Hauses schauten auf einmal unbekannte Gesichter heraus und blickten uns mit scheuer Neugier hinterher.

Im Wagen waren wir jetzt zu fünft; aber Misintschikow hatte sich auf den Bock gesetzt und seinen früheren Platz Herrn Bachtschejew überlassen, der also Tatjana Iwanowna direkt gegenüber saß. Tatjana Iwanowna war sehr zufrieden damit, daß wir sie zurückbrachten, weinte aber immer noch. Der Onkel tröstete sie, so gut er konnte. Er selbst war traurig und nachdenklich: offenbar klang Anfissa Petrownas wütende Äußerung über Nastasja immer noch schmerzlich in seinem Herzen nach. Übrigens wäre unsere Rückfahrt ohne alle Störung verlaufen, wenn wir nicht Herrn Bachtschejew bei uns gehabt hätten.

Sowie er Tatjana Iwanowna gegenüber Platz genommen hatte, verlor er alle Selbstbeherrschung; er war nicht imstande, ein gleichmütiges Gesicht zu machen, rutschte auf seinem Platz hin und her, wurde rot wie ein Krebs und verdrehte die Augen in schrecklicher Weise; besonders als der Onkel Tatjana Iwanowna zu trösten anfing, geriet der Dicke ganz außer sich und knurrte wie eine Bulldogge, die man neckt. Der Onkel blickte mehrmals beunruhigt zu ihm hinüber. Endlich bemerkte auch Tatjana Iwanowna den ungewöhnlichen Gemütszustand ihres Visavis und betrachtete ihn nun aufmerksam; dann sah sie uns an, lächelte, nahm auf einmal ihren Sonnenschirm und versetzte damit Herrn Bachtschejew anmutig einen leichten Schlag auf die Schulter.

»Sie verdrehter Mensch!« sagte sie mit der bezauberndsten Koketterie und versteckte sich sogleich hinter ihrem Fächer.

Dieses Benehmen war der Tropfen, der das Gefäß zum Überlaufen brachte.

»Wa-a-as?« brüllte der Dicke. »Was soll das heißen, Madame? Also machen Sie sich nun schon auch an mich heran!«

»Sie verdrehter Mensch, Sie verdrehter Mensch!« sagte Tatjana Iwanowna noch einmal, lachte auf einmal los und klatschte in die Hände.

»Halt an!« schrie Bachtschejew dem Kutscher zu; »halt an!«

Der Wagen hielt. Bachtschejew öffnete den Schlag und stieg eilig aus.

»Aber was hast du denn, Stepan Alexejewitsch? Wo willst du hin?« rief der Onkel erstaunt.

»Nein, ich habe genug von der Geschichte!« antwortete der Dicke, zitternd vor Empörung. »Hol die ganze Welt der Deibel! Ich bin schon zu alt, Madame, als daß mir eine mit Liebeleien kommen dürfte. Da sterbe ich schon lieber auf der Landstraße, meine Verehrteste! Leben Sie wohl, Madame, comment vous portez-vous?«

Und er ging tatsächlich zu Fuß. Der Wagen fuhr im Schritt hinter ihm her.

»Stepan Alexejewitsch!« rief mein Onkel, der nun endlich die Geduld verlor; »mach doch keine Dummheiten; laß es gut sein; steig ein! Es wird doch Zeit, daß wir nach Hause kommen!«