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»Ich soll Sie holen«, sagte er. »Jegor Iljitsch läßt Sie bitten, unverzüglich zu kommen.«

»Gehen wir!«

Ich war jetzt vollständig fertig. Wir gingen.

»Was gibt es dort Neues?« fragte ich unterwegs.

»Alle sind bei Foma versammelt«, antwortete Misintschikow. »Foma zeigt sich nicht launisch; er ist nachdenklich und redet nur wenig, oder vielmehr er murmelt nur etwas vor sich hin. Er hat sogar den kleinen Ilja geküßt, worüber Jegor Iljitsch natürlich ganz entzückt war. Erst vor einem Weilchen hat er durch Fräulein Perepelizyna ausrichten lassen, man solle ihm nicht zum Namenstag gratulieren; er habe alle nur prüfen wollen... Die Alte hat zwar so eine Witterung, verhält sich aber ruhig, da auch Foma ruhig ist. Von der Geschichte mit der Entführung und Verfolgung läßt keiner eine Silbe verlauten, als ob gar nichts geschehen wäre; sie schweigen, weil auch Foma schweigt. Er hat den ganzen Vormittag über niemand zu sich gelassen, obgleich die Alte vorhin, als wir weg waren, ihn bei allen Heiligen angefleht hat, zur Beratung zu ihr zu kommen; ja sie hat sogar selbst an seine Tür geklopft; aber er hatte sich eingeschlossen und antwortete, er bete für das Menschengeschlecht, oder etwas in der Art. Er führt irgend etwas im Schilde: das ist ihm am Gesicht abzulesen. Aber da Jegor Iljitsch niemandem etwas am Gesicht ablesen kann, so ist er jetzt ganz entzückt von Foma Fomitschs Sanftmut. Er ist eben das reine Kind! Ilja hat ein Gedicht auswendig gelernt, das er deklamieren soll; und mich hat man losgeschickt, um Sie zu holen.«

»Und Tatjana Iwanowna?«

»Was wollen Sie über Tatjana Iwanowna wissen?«

»Ist sie auch da? Mit denen zusammen?«

»Nein, sie ist auf ihrem Zimmer«, antwortete Misintschikow trocken. »Sie erholt sich und weint. Vielleicht schämt sie sich auch. Es ist jetzt anscheinend diese... diese Gouvernante bei ihr. Aber was ist das? Da braut sich wahrhaftig ein Gewitter zusammen. Sehen Sie nur, da am Himmel!«

»Es scheint allerdings ein Gewitter zu kommen«, sagte ich nach einem Blick auf die schwarze Wolke am Horizont.

In diesem Augenblick betraten wir die Terrasse.

»Aber was sagen Sie zu diesem Obnoskin, wie?« fuhr ich fort; ich konnte dem Verlangen nicht widerstehen, Misintschikow damit ein bißchen zu ärgern.

»Reden Sie mir nicht von dem! Erinnern Sie mich nicht an diesen Schurken!« schrie er, indem er plötzlich stehenblieb, rot wurde und mit dem Fuß stampfte. »So ein Dummkopf! So ein Dummkopf! Ein so prächtiges Unternehmen, einen so glänzenden Plan zu verpfuschen! Hören Sie: ich bin natürlich ein Esel, weil ich sein hinterlistiges Treiben nicht gemerkt habe; das gestehe ich feierlich, und vielleicht wollten Sie gerade dieses Geständnis von mir hören. Aber ich schwöre Ihnen: wenn er es verstanden hätte, all dies so, wie es sich gehört, durchzuführen, so hätte ich ihm sogar vielleicht verziehen! So ein Dummkopf, so ein Dummkopf! Daß man solche Leute in der Gesellschaft erträgt und duldet! Man sollte sie nach Sibirien zur Ansiedlung oder Zwangsarbeit schicken! Aber sie irren sich! Sie werden mich nicht überlisten! Jetzt bin ich wenigstens um eine Erfahrung reicher, und wir werden uns noch miteinander messen. Ich denke jetzt über einen neuen Plan nach... Sagen Sie selbst: soll ich denn das Meinige nur deswegen verlieren, weil ein Dummkopf, den es gar nichts anging, mir meine Idee gestohlen und die Sache nicht anzugreifen verstanden hat? Das wäre doch unbillig! Und schließlich muß diese Tatjana unbedingt heiraten; das ist ihre Bestimmung. Und wenn bisher noch niemand sie hat ins Irrenhaus bringen lassen, so ist das doch eben deshalb unterblieben, weil man sie immer noch heiraten konnte. Ich möchte Ihnen meinen neuen Plan mitteilen...«

»Aber das werden Sie wohl ein andermal tun können«, unterbrach ich ihn; »denn wir sind schon am Ziel.«

»Schön, schön, ein andermal!« antwortete Misintschikow, indem er seinen Mund zu einem krampfhaften Lächeln verzog. »Jetzt aber... Aber wohin wollen Sie denn? Ich habe Ihnen ja gesagt, daß wir geradeswegs zu Foma Fomitsch gehen! Folgen Sie mir; Sie sind noch nicht dort gewesen. Sie werden eine zweite Komödie mit ansehen... Denn zu einer Komödie hat sich die Sache schon entwickelt...«

III

Iljas Namenstag

Foma bewohnte zwei große, schöne Zimmer; sie waren sogar besser eingerichtet als alle andern Zimmer im Haus. Ein vollendeter Komfort umgab den großen Mann. Die hübschen, neuen Tapeten an den Wänden, die bunten, seidenen Vorhänge an den Fenstern, die Teppiche, der Trumeau, der Kamin, die bequemen, eleganten Möbel, alles zeugte von der zärtlichen Fürsorge der Wirte für ihren Gast Foma Fomitsch. Blumentöpfe standen auf den Fensterbrettern und auf runden Marmortischchen vor den Fenstern. In der Mitte des Arbeitszimmers befand sich ein großer, mit rotem Tuch bedeckter Tisch, ganz vollgepackt mit Büchern und Manuskripten. Ein schönes bronzenes Tintenfaß und ein ganzer Berg Federn, für welche Widopljassow zu sorgen hatte, alles dies zusammen sollte von Foma Fomitschs schwerer geistiger Arbeit Zeugnis ablegen. Ich bemerke hier beiläufig, daß Foma, der hier fast acht Jahre zugebracht hatte, absolut nichts Vernünftiges verfaßt hatte. In späterer Zeit, nachdem er in ein besseres Jenseits hinübergegangen war, untersuchten wir die von ihm hinterlassenen Manuskripte; sie stellten sich allesamt als der elendeste Schund heraus. Wir fanden zum Beispiel den Anfang eines historischen Romanes, der in Nowgorod im siebenten Jahrhundert spielte; ferner ein ungeheuerliches Gedicht, ›Der Klausner auf dem Kirchhof‹, das in reimlosen Versen geschrieben war; ferner eine sinnlose Abhandlung über die Bedeutung und die Eigenschaften des russischen Bauern und darüber, wie man ihn behandeln müsse, und endlich eine ebenfalls unvollendete Novelle aus dem Leben der vornehmen Welt, mit dem Titeclass="underline" ›Gräfin Wlonskaja‹. Weiter hatte er nichts hinterlassen. Aber dabei veranlaßte Foma Fomitsch meinen Onkel, jährlich eine große Menge Geld für Bücher und Zeitschriften, die er kommen lassen mußte, auszugeben. Aber viele derselben blieben sogar unaufgeschnitten. Dagegen habe ich in späterer Zeit Foma zu wiederholten Malen bei der Lektüre Paul de Kockscher Romane betroffen, die er vor den Augen der Leute möglichst versteckte. In der hinteren Wand des Arbeitszimmers befand sich eine Glastür, die auf den Hof führte.

Wir wurden schon erwartet. Foma Fomitsch saß in einem bequemen Lehnstuhl; er trug einen langen, bis über die Knöchel reichenden Gehrock, hatte aber kein Halstuch umgebunden. Er war in der Tat schweigsam und nachdenklich. Als wir eintraten, zog er nur die Augenbrauen ein wenig empor und sah mich mit einem prüfenden Blicke an. Ich verbeugte mich; er antwortete darauf mit einer leichten, aber ziemlich höflichen Verbeugung. Als die Großmutter sah, daß Foma Fomitsch mich huldvoll behandelte, nickte sie mir lächelnd zu. Die Ärmste hatte am Vormittag gar nicht erwartet, daß ihr Abgott die Nachricht von Tatjana Iwanownas ›Exzeß‹ so ruhig aufnehmen werde, und war daher jetzt außerordentlich heiter geworden, obgleich sie am Morgen tatsächlich Krämpfe bekommen hatte und in Ohnmacht gefallen war. Hinter ihrem Stuhl stand wie gewöhnlich Fräulein Perepelizyna, preßte die Lippen fest zusammen, lächelte säuerlich und boshaft und rieb ihre knochigen Hände aneinander. Neben der Generalin saßen zwei, bejahrte arme adlige Klientinnen, die beständig schwiegen. Außerdem war noch eine am Vormittag eingetroffene Nonne anwesend sowie eine ebenfalls schweigsame ältere Gutsbesitzerin aus der Nachbarschaft; diese war bei der Rückfahrt von der Messe vorbeigekommen, um der Generalin zum Festtag zu gratulieren. Tante Praskowja Iwanowna drückte sich irgendwo in eine Ecke und blickte voll Unruhe zu Foma Fomitsch und ihrer Mutter hinüber. Der Onkel saß auf einem Lehnstuhl, und in seinen Augen strahlte eine ganz besondere Freude. Vor ihm stand Ilja in einem festtäglichen roten Hemd, mit gebrannten Locken, schön wie ein kleiner Engel. Alexandra und Nastasja hatten ihm, ohne daß es jemand wußte, ein Gedicht beigebracht, um dem Vater an einem solchen Tag durch die geistigen Fortschritte des Knaben eine Freude zu machen. Mein Onkel weinte beinahe vor Wonne: Fomas unerwartete Sanftmut, die heitere Stimmung der Generalin, Iljas Namenstag, das Gedicht, all dies versetzte ihn direkt in Entzücken, und er hatte in feierlicher Form um die Erlaubnis gebeten, mich rufen zu lassen, damit auch ich möglichst bald an der allgemeinen Glückseligkeit teilnehmen und das Gedicht mit anhören könne. Alexandra und Nastasja, die unmittelbar nach uns eingetreten waren, standen neben Ilja. Alexandra lachte fortwährend und war in diesem Augenblick glücklich wie ein Kind. Nastasja fing bei ihrem Anblick ebenfalls an zu lächeln, obgleich sie kurz vorher beim Eintritt blaß und niedergeschlagen gewesen war. Sie war die einzige gewesen, die der von ihrer Reise zurückgekehrten Tatjana Iwanowna freundlich entgegengekommen war und sie getröstet hatte; sie hatte bis jetzt bei ihr oben gesessen. Der ausgelassene Ilja konnte gleichfalls das Lachen nicht unterdrücken, sooft er seine Lehrerinnen ansah. Es schien, daß sie alle drei eine sehr komische Überraschung vorbereitet hatten, die sie jetzt in Szene setzen wollten... Ich habe noch Herrn Bachtschejew vergessen. Er saß, immer noch zornig und rot, etwas abseits auf einem Stuhl, schwieg, schmollte, schnaubte sich die Nase und spielte bei dem Familienfest überhaupt eine ziemlich traurige Rolle. Neben ihm trippelte Jeshewikin umher; übrigens war er im ganzen Zimmer bald hier, bald da zu sehen, küßte der Generalin die Hand, flüsterte Fräulein Perepelizyna etwas zu und machte Foma Fomitsch den Hof; kurz, er zeigte sich nach allen Seiten hin beflissen. Auch er wartete mit lebhafter Teilnahme auf Iljas Deklamation; bei meinem Eintritt eilte er mit vielen Verbeugungen auf mich zu, um mir seine größte Hochachtung und Ergebenheit zu bekunden. Es war ihm ganz und gar nicht anzusehen, daß er hergekommen war, um seine Tochter zu beschützen und sie gänzlich aus Stepantschikowo wegzuholen.