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»Da ist er ja!« rief mein Onkel freudig, als er mich erblickte. »Lieber Freund, Ilja hat ein Gedicht auswendig gelernt; das ist mal eine Überraschung, eine richtige Überraschung! Ich bin froh und erstaunt und habe extra nach dir geschickt und die Deklamation bis zu deiner Ankunft noch aufgehalten. Setz dich hier neben mich! Nun wollen wir zuhören! Foma Fomitsch, gestehe es nur, bester Freund, du hast sie gewiß alle erst auf diesen Gedanken gebracht, um mir altem Mann eine Freude zu machen! Ich möchte schwören, daß es sich so verhält!«

Wenn der Onkel in Fomas Zimmer in solchem Ton sprach, so hätte man meinen können, daß alles gut stand. Aber das war eben das Unglück, daß der Onkel niemandem etwas vom Gesicht ablesen konnte, wie Misintschikow sich ausgedrückt hatte; ich aber sagte mir bei einem Blick auf Foma unwillkürlich, daß Misintschikow recht habe und wir uns auf irgend etwas gefaßt machen müßten...

»Beunruhigen Sie sich nicht meinetwegen, Oberst!« antwortete Foma mit schwacher Stimme, mit der Stimme eines Menschen, der seinen Feinden verzeiht. »Die Überraschung lobe ich natürlich: das zeugt von dem Zartgefühl und der Pietät Ihrer Kinder. Gedichte sind ebenfalls nützlich, schon weil man dadurch eine gute Aussprache lernt... Aber ich habe mich an diesem Vormittag nicht mit Gedichten abgegeben, Jegor Iljitsch: ich habe gebetet... das wissen Sie... Übrigens bin ich bereit, auch die Deklamation von Gedichten anzuhören!«

Unterdessen hatte ich den kleinen Ilja beglückwünscht und geküßt.

»Gewiß, Foma, entschuldige! Ich hatte nicht daran gedacht... wiewohl ich von deiner Freundschaft überzeugt bin, Foma! Küsse ihn doch noch einmal, lieber Sergej! Sieh nur, was er für ein Prachtjunge ist! Na, nun fang an, lieber Ilja! Wovon handelt es denn? Es ist gewiß so eine feierliche Ode, etwas von Lomonossow?«

Mein Onkel nahm eine würdevolle Miene an. Er konnte vor Ungeduld und Freude kaum stillsitzen.

»Nein, Papa, nicht von Lomonossow«, sagte Alexandra, die nur mit Mühe das Lachen unterdrückte; »sondern da Sie beim Militär gewesen sind und gegen unsere Feinde gekämpft haben, hat Ilja ein Gedicht über etwas Kriegerisches gelernt... Es heißt ›Die Belagerung von Pamba‹, Papa.«

» ›Die Belagerung von Pamba‹? Ah! Ich erinnere mich nicht... Was ist das für ein Pamba, lieber Sergej? Weißt du es? Das Gedicht handelt gewiß von einer Heldentat.«

Der Onkel verlieh seinem Gesicht zum zweiten Mal einen würdevollen Ausdruck.

»Nun sag es auf, Ilja!« befahl Alexandra, »Pedro Gomez hat begonnen...« fing Ilja mit seiner gleichmäßigen, deutlichen Knabenstimme an zu deklamieren; er sprach ohne Kommata und Punkte, wie das kleine Kinder gewöhnlich tun, wenn sie Gedichte auswendig hersagen.

»Pedro Gomez hat begonnen

Vor neun Jahren schon,

die starke Feste Pamba zu belagern.

Nur von Milch hat sich genähret

Während dieses ganzen Zeitraums

Er und seine tapfre Heerschar,

Wohl neuntausend Kastilianer.

Denn sie taten ein Gelübde,

Eh erobert wäre Pamba,

Keine Speise zu berühren

Außer Milch als einz’ger Kost.«

»Wie? Was? Was ist das für Milch?« rief der Onkel, mich erstaunt anblickend.

»Sag weiter auf, Ilja!« rief Alexandra.

»Täglich weint Don Pedro Gomez,

Eingehüllt in seinen Mantel,

Über seines Leibes Schwäche.

Ach, die Mauren triumphieren

Bei des zehnten Jahres Anfang,

Und von Pedros großem Heere

Sind im ganzen nur noch übrig

Neunzehn, bloße neunzehn Mann...«

»Aber das ist ja Unsinn!« rief der Onkel beunruhigt. »Das ist ja ein Ding der Unmöglichkeit! Neunzehn Mann sollen von dem ganzen Heere übriggeblieben sein, das doch vorher von recht beträchtlicher Größe war! Was soll denn das heißen, lieber Freund?«

Aber nun konnte sich Alexandra nicht mehr halten und brach in das herzlichste Kinderlachen aus; und obgleich eigentlich wenig Anlaß zum Lachen war, mußte man doch, wenn man sie ansah, unwillkürlich mitlachen.

»Ach, Papa, das ist doch ein scherzhaftes Gedicht!« rief sie, höchst vergnügt über ihren kindlichen Einfall. »Das hat der Verfasser selbst absichtlich so gemacht, damit es allen komisch vorkommen soll, Papachen!«

»Ach so! Ein scherzhaftes Gedicht!« rief mein Onkel mit strahlendem Gesicht. »Ein komisches also. So so, nun verstehe ich es... Gewiß, gewiß, ein scherzhaftes Gedicht! Und sehr komisch ist es, außerordentlich komisch: infolge eines Gelübdes hat er seine ganze Armee bei Milchkost verhungern lassen! Sehr schlau von ihm, so etwas zu geloben! Ein sehr witziges Gedicht, nicht wahr, Foma? Sehen Sie, Mama, das ist so ein komisches Gedicht, wie die Dichter es manchmal schreiben. Nicht wahr, Sergej, das tun sie doch? Überaus komisch! Na, lieber Ilja, wie geht’s nun weiter?«

»Neunzehn, bloße neunzehn Mann!

Die versammelte der Feldherr

Und sprach also: ›O ihr neunzehn!

Laßt die Fahnen uns entfalten,

Laßt beim Dröhnen der Drommeten

Und beim Schall der großen Pauken

Uns von Pamba abmarschieren!

Ob wir gleich die Burg nicht nahmen,

Können wir doch sämtlich schwören,

Stolz, auf Ehre und Gewissen,

Daß wir nie gebrochen haben

Unser einstiges Gelübde:

Neun, neun Jahre lang genossen

Wir zu unsres Leibes Nahrung

Nichts als Milch und wieder Milch!«

»So ein Dummkopf!« unterbrach der Onkel den kleinen Deklamator wieder. »Was ist das nun für ein Trost dafür, daß er neun Jahre lang Milch getrunken hat!... Und ist das etwa eine tugendhafte Tat? Hätte er nur lieber alle Tage einen ganzen Hammel gegessen und seine Leute nicht verhungern lassen! Ein schönes Gedicht, ein vorzügliches Gedicht! Ich sehe jetzt: es ist eine Satire oder... wie nennt man es doch? eine Allegorie, nicht wahr? Und vielleicht sogar auf irgendeinen ausländischen Feldherrn«, fügte der Onkel, an mich gewandt, hinzu, wobei er die Augenbrauen bedeutsam zusammenzog und mir zublinzelte, »he? wie denkst du darüber? Aber selbstverständlich eine harmlose, anständige Satire, die niemanden verletzen kann! Ein schönes Gedicht, ein schönes Gedicht! Und, was die Hauptsache ist, von anständiger Gesinnung! Na, lieber Ilja, dann fahre fort! Ach, ihr Schelminnen, ihr Schelminnen!« fügte er freundlich hinzu, indem er Alexandra und verstohlen auch Nastasja ansah, die errötete und lächelte.