Foma Fomitsch redete immer in diesem Ton mit dem »verständigen russischen Bauern«.
»Väterchen«, sagte ein anderer Bauer, »wir sind ungebildete Leute. Vielleicht bist du Major oder Oberst oder gar eine Exzellenz, – wir wissen gar nicht einmal, wie wir dich anreden müssen.«
»Tölpel!« betitelte Foma Fomitsch auch diesen, wurde jedoch etwas milder. »Zwischen Gehalt und Gehalt ist ein Unterschied, du einfältiger Kerl! Manch einer hat Generalsrang, bekommt aber doch nichts, weil er es nicht verdient und dem Zaren keinen Nutzen bringt. Ich aber bekam, als ich beim Minister angestellt war, zwanzigtausend Rubel; die nahm ich jedoch nicht für mich, da ich meine Amtstätigkeit um der Ehre willen ausübte und auch genug eigenes Vermögen besaß. Ich gab mein Gehalt für Zwecke der Volksbildung im Reiche hin und für die abgebrannten Einwohner von Kasan.«
»Nun sieh mal an! Also du bist es gewesen, der Kasan wieder aufgebaut hat, Väterchen?« fuhr der Bauer erstaunt fort.
Die Bauern waren überhaupt von Bewunderung für Foma Fomitsch erfüllt.
»Na ja, auch ich habe mein Teil dazu beigetragen«, antwortete Foma, anscheinend nur ungern, als ärgere er sich über sich selbst, daß er einen solchen Menschen eines solchen Gespräches würdigte.
Von anderer Art waren seine Gespräche mit dem Onkel.
»Wer waren Sie früher?« sagte Foma zum Beispiel, während er sich nach einem guten, reichlichen Mittagessen in einem bequemen Lehnstuhl rekelte, wobei ein hinter dem Lehnstuhl stehender Diener ihm mit einem frischen Lindenzweige die Fliegen wegwedeln mußte. »Was für ein Mensch waren Sie vor meiner Ankunft? Aber ich habe in Sie einen Funken jenes himmlischen Feuers hineingeworfen, das jetzt in Ihrer Seele brennt. Habe ich in Sie einen Funken des himmlischen Feuers hineingeworfen oder nicht? Antworten Sie: habe ich in Sie einen Funken hineingeworfen oder nicht?«
In Wahrheit wußte Foma Fomitsch selbst nicht, warum er diese Frage stellte. Aber das Stillschweigen und die Verlegenheit des Obersten versetzten ihn sofort in Aufregung. Er, der früher so schüchtern und geduldig gewesen war, ging jetzt bei dem geringsten Widerspruch in die Luft wie Schießpulver. Das Schweigen des Onkels schien ihm beleidigend, und nun bestand er hartnäckig auf einer Antwort.
»So antworten Sie doch: brennt der Funke in Ihnen oder nicht?«
Der Onkel krümmte und wand sich und wußte nicht, wie er reagieren sollte.
»Gestatten Sie mir, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß ich warte«, bemerkte Foma in gekränktem Ton.
»Mais répondez donc, Jegoruschka!« fiel die Generalin achselzuckend ein.
»Ich frage: brennt in Ihnen dieser Funke oder nicht?« wiederholte Foma herablassend und nahm ein Stück Konfekt aus der Bonbonniere, die auf Anordnung der Generalin immer vor ihm auf dem Tisch stehen mußte.
»Ich weiß es wahrhaftig nicht, Foma«, antwortete der Onkel schließlich mit verzweifelter Miene; »es muß wohl so etwas der Fall sein... Wirklich, frage lieber nicht; sonst rede ich noch irgendwelchen Unsinn...«
»Schön! Also bin ich Ihrer Meinung nach ein so wertloses Subjekt, daß ich nicht einmal eine Antwort verdiene, – das wollten Sie doch sagen? Nun, mag es denn so sein, dann bin ich also ein Nichts!«
»Aber nein doch, Foma, ich bitte dich um alles in der Welt! Wann hätte ich denn das sagen wollen?«
»Doch! Gerade das wollten Sie sagen.«
»Aber ich schwöre dir, daß es nicht so ist!«
»Schön! Dann bin ich also ein Lügner! Dann beschuldigen Sie mich also, absichtlich einen Vorwand zum Streit zu suchen. Nun, mag zu allen bisherigen Beleidigungen auch diese noch hinzukommen; ich werde alles ertragen...«
»Mais mon fils!...« schrie die Generalin auf.
»Foma Fomitsch! Mamenka!« rief der Onkel in heller Verzweiflung. »Bei Gott, ich kann nichts dafür! Es müßte mir denn unversehens ein Wort über die Lippen gerutscht sein!... Nimm’s mit mir nicht so genau, Foma: ich bin ja nur ein dummer Kerl, ich habe selbst das Gefühl, daß ich dumm bin; ich merke das selbst, daß in mir nicht alles in Ordnung ist... Ich weiß, Foma, ich weiß alles! Du brauchst gar nichts weiter zu sagen!« fuhr er mit einer abwehrenden Handbewegung fort. »Vierzig Jahre lang habe ich gelebt und bis jetzt, bis zu der Zeit, wo ich dich kennenlernte, immer im stillen gedacht, daß ich ein Mensch sei... na, und daß alles mit mir so wäre, wie es sich gehört. Ich hatte ja bis dahin gar nicht gemerkt, daß ich ein hartnäckiger Sünder und ein Egoist erster Klasse bin und eine solche Masse Übeltaten begangen habe, daß man sich darüber wundern muß, daß mich die Erde noch trägt!«
»Ja, ein Egoist sind Sie!« bemerkte Foma Fomitsch im Tone tiefster Überzeugung.
»Das sehe ich jetzt ja auch selbst ein, daß ich ein Egoist bin! Aber ganz bestimmt: ich werde mich bessern und ein anderer Mensch werden!«
»Das gebe Gott!« schloß Foma Fomitsch das Gespräch mit einem frommen Seufzer und erhob sich von seinem Lehnstuhl, um sich zum Nachmittagsschläfchen wegzubegeben. Foma Fomitsch schlief immer nach Tisch.
Am Schluß dieses Kapitels sei es mir erlaubt, über meine persönlichen Beziehungen zu meinem Onkel einige Worte zu sagen und zu erklären, wie es zuging, daß ich auf einmal Foma Fomitsch gegenübertrat und nolens volens plötzlich in den Strudel der wichtigsten Ereignisse hineingeriet, die sich jemals in dem lieben, guten Stepantschikowo zugetragen haben. Damit beabsichtige ich meine Vorrede zu beschließen und werde dann sofort zur Erzählung übergehen.
In meiner Kindheit, als ich eine Waise geworden und allein auf der Welt zurückgeblieben war, vertrat mein Onkel an mir Vaterstelle, erzog mich auf seine Kosten und tat, kurz gesagt, für mich, was nicht immer ein leiblicher Vater für seinen Sohn tut. Gleich vom ersten Tage an, wo er mich zu sich nahm, schloß ich mich von ganzem Herzen an ihn an. Ich war damals zehn Jahre alt, und ich erinnere mich, daß wir uns bald anfreundeten und einander vollkommen verstanden. Wir spielten zusammen Brummkreisel und stahlen einer bösen alten Dame, die mit uns beiden verwandt war, eine Haube. Die Haube band ich sofort an den Schwanz eines Drachens und ließ sie mit diesem an die Wolken steigen. Viele Jahre später sah ich den Onkel auf kurze Zeit in Petersburg wieder, wo ich damals auf seine Kosten studierte. Diesmal schloß ich mich ihm mit dem ganzen Feuer der Jugend an: der Edelmut, die Milde, die Aufrichtigkeit, die Heiterkeit und die grenzenlose Naivität seines Charakters imponierten mir, wie sich denn jeder unwillkürlich davon angezogen fühlte. Nach meinem Abgang von der Universität blieb ich noch einige Zeit in Petersburg; ich hatte zunächst keine eigentliche Beschäftigung, war aber, wie das bei Grünschnäbeln häufig vorkommt, davon überzeugt, daß ich in kürzester Frist viel Bedeutsames und sogar Großartiges leisten würde. Ich mochte Petersburg nicht verlassen. Mit dem Onkel korrespondierte ich nur ziemlich selten und nur, wenn ich Geld brauchte, das er mir nie abschlug. Inzwischen kam einmal jemand von den Gutsleuten meines Onkels in Geschäften nach Petersburg, und von diesem hörte ich, daß bei ihnen in Stepantschikowo wunderliche Dinge vorgingen. Diese ersten Gerüchte erregten mein Interesse und versetzten mich in Erstaunen. Ich begann, häufiger an meinen Onkel zu schreiben. Seine Antworten klangen immer etwas dunkel und seltsam, und er bemühte sich in jedem Briefe, nur von den Wissenschaften zu reden; denn er erwartete von mir auf dem Gebiete der Gelehrsamkeit in der Zukunft außerordentlich viel und war schon im voraus auf meine künftigen Erfolge stolz. Auf einmal erhielt ich von ihm nach einem ziemlich langen Stillschweigen einen ganz wunderlichen Brief, der mit allen seinen früheren Briefen nicht die geringste Ähnlichkeit hatte. Er war mit so sonderbaren Andeutungen und mit einem solchen Sammelsurium von Widersprüchen angefüllt, daß ich anfänglich fast nichts davon verstand. Klar war nur, daß der Schreiber sich in ungewöhnlicher Aufregung befunden hatte. Eines in diesem Brief war deutlich: der Onkel machte mir allen Ernstes mit dringenden, fast flehenden Worten den Vorschlag, ich möchte so bald wie möglich seine frühere Pflegetochter heiraten; es war dies die Tochter eines ganz armen Provinzialbeamten namens Jeshewikin, die in einem Moskauer Erziehungsinstitut auf Kosten des Onkels eine vortreffliche Bildung genossen hatte und jetzt die Gouvernante seiner Kinder war. Er schrieb, sie sei unglücklich; ich könne sie glücklich machen, und es würde sogar eine hochherzige Handlung meinerseits sein; er wandte sich an den Edelmut meines Herzens und versprach, ihr eine Mitgift zu geben. Von der Mitgift sprach er übrigens nur in einer geheimnisvollen, ängstlichen Weise und schloß den Brief mit der dringenden Bitte, ich möchte über all dies tiefstes Stillschweigen bewahren. Dieser Brief setzte mich dermaßen in Erstaunen, daß mir schließlich im Kopf ganz schwindlig wurde. Und auf welchen jungen Mann, der, wie ich, eben erst von der Lehrbank aufgesprungen war, hätte ein solcher Vorschlag auch nicht einen starken Eindruck gemacht, schon allein durch das Romantische, das darin lag? Überdies hatte ich gehört, daß diese junge Gouvernante sehr hübsch sei. Ich wußte jedoch nicht, was ich für einen Entschluß fassen sollte, wiewohl ich meinem Onkel umgehend schrieb, ich würde unverzüglich nach Stepantschikowo kommen. Der Onkel hatte mir mit demselben Brief auch das Reisegeld geschickt. Dennoch zögerte ich, von Zweifeln und Unruhe erfüllt, mit der Abreise und blieb noch drei Wochen in Petersburg. Auf einmal traf ich zufällig einen früheren Kameraden meines Onkels vom Militär, der auf der Rückreise vom Kaukasus nach Petersburg unterwegs in Stepantschikowo mit herangefahren war. Es war dies ein schon älterer, verständiger Mann, ein eingefleischter Junggeselle. Voller Entrüstung erzählte er mir von Foma Fomitsch und teilte mir zugleich etwas mit, wovon ich bisher noch keine Ahnung gehabt hatte, nämlich daß Foma Fomitsch und die Generalin auf den Gedanken gekommen seien und die Absicht hätten, den Onkel mit einer sehr sonderbaren halbverdrehten alten Jungfer zu verheiraten, die eine merkwürdige Lebensgeschichte und eine Mitgift von beinah einer halben Million habe; die Generalin habe sie bereits zu der Überzeugung gebracht, daß sie mit ihr verwandt sei, und sie dadurch veranlaßt, nach Stepantschikowo zu ziehen; der Onkel sei allerdings in Verzweiflung; aber allem Anschein nach werde die Sache doch damit enden, daß er die halbe Million heirate. Endlich erfuhr ich auch noch, daß die beiden Intriganten, die Generalin und Foma Fomitsch, die arme, schutzlose Gouvernante der Kinder des Onkels in einer entsetzlichen Weise peinigten und mit aller Gewalt aus dem Hause zu treiben suchten, wahrscheinlich aus Furcht, daß der Oberst sich in sie verlieben könne, möglicherweise auch, weil er sich bereits in sie verliebt habe. Diese letzten Worte waren mir auffällig. Indes auf all meine Fragen, ob der Onkel sich wirklich schon verliebt habe, konnte oder wollte der Erzähler mir keine genaue Antwort geben; überhaupt erzählte er sehr wortkarg und nur ungern und vermied es augenscheinlich, nähere Aufklärungen zu geben. Ich wurde nachdenklich; diese Nachricht stand mit dem Brief des Oheims und mit seinem Vorschlag in einem gar zu seltsamen Widerspruch... Aber länger zu zögern hatte keinen Zweck. Ich beschloß, nach Stepantschikowo zu fahren, um nicht nur meinen Onkel zur Vernunft zu bringen und zu beruhigen, sondern auch, wenn möglich, ihn zu retten, das heißt Foma aus dem Hause zu jagen, die garstige Heirat mit der alten Jungfer zu vereiteln und endlich, da nach meiner endgültigen Überzeugung die Liebe meines Onkels nur ein verrückter Einfall Foma Fomitschs war, das unglückliche, aber gewiß interessante junge Mädchen durch einen Heiratsantrag glücklich zu machen und so weiter und so weiter. Allmählich steigerte ich mich in eine solche Begeisterung hinein, daß ich infolge meiner Jugend und infolge des Mangels an ernster Beschäftigung von den Zweifeln und Bedenken zum entgegengesetzten Extrem überging: ich brannte nun vor Begierde, möglichst bald allerlei Wundertaten zu vollbringen. Es schien mir sogar, daß ich eine außerordentliche Großmut bewiese, indem ich mich edelmütig aufopferte, um ein unschuldiges, reizendes Geschöpf glücklich zu machen; kurz, ich erinnere mich, daß ich während der ganzen Fahrt sehr mit mir zufrieden war. Es war Juli, die Sonne schien hell, ringsumher dehnten sich in unabsehbarer Weite Felder mit reifem Getreide aus. Ich aber war so lange in Petersburg wie in einer Flasche eingesperrt gewesen, daß mir zumute war, als ob ich erst jetzt wirklich Gottes Welt erblickte!