Er erhob sich von seinem Stuhl und trat zu seiner Mutter.
»Mama!« sagte er; »beruhigen Sie sich: ich werde Foma Fomitsch zurückholen; ich werde ihn noch einholen können; er kann noch nicht weit weg sein. Aber ich schwöre Ihnen: nur unter einer Bedingung wird er zurückkehren: er muß hier, öffentlich, vor allen, welche Zeugen der Beleidigung gewesen sind, seine Schuld eingestehen und dieses edle Mädchen feierlich um Verzeihung bitten. Das werde ich durchsetzen! Dazu werde ich ihn zwingen! Sonst wird er die Schwelle dieses Hauses nicht mehr überschreiten! Ich schwöre Ihnen auch feierlich, Mama: wenn er von selbst und freiwillig sich dazu versteht, dies zu tun, dann bin ich bereit, mich ihm zu Füßen zu werfen und ihm alles zu geben, was ich weggeben kann, ohne meine Kinder zu schädigen! Ich selbst werde mit dem heutigen Tag mich von allem zurückziehen. Der Stern meines Glückes ist untergegangen! Ich werde Stepantschikowo verlassen. Mögt ihr alle hier ruhig und glücklich leben! Ich werde wieder in mein Regiment eintreten und in den Stürmen des Kampfes, auf dem Schlachtfeld mein trauriges Schicksal hinnehmen... Genug! Ich fahre!«
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür und Gawrila, ganz durchnäßt und in unglaublicher Weise mit Schmutz bedeckt, erschien vor der betroffenen Versammlung.
»Was ist mit dir? Wo kommst du her? Wo ist Foma?« rief mein Onkel und stürzte auf ihn zu.
Auch alle andern drängten hinzu und umringten in größter Neugier den Alten, von dem das schmutzige Wasser buchstäblich in Strömen herabfloß. Gekreisch, Gestöhn und Geschrei begleiteten jedes Wort Gawrilas.
»Er ist bei dem Birkenwäldchen geblieben, anderthalb Werst von hier«, begann er mit weinerlicher Stimme. »Das Pferd erschrak über einen Blitz und sprang in den Graben.«
»Weiter!« rief der Onkel.
»Der Wagen schlug um...«
»Weiter!... Und Foma?«
»Er fiel in den Graben.«
»Aber so erzähle doch und quäle uns nicht lange!«
»Er bekam bei dem Fall einen starken Schlag gegen die Seite und fing an zu weinen. Ich spannte das Pferd aus und ritt her, um es zu melden.«
»Und Foma ist dort geblieben?«
»Er stand auf und ging einfach am Stock weiter«, schloß Gawrila seinen Bericht; dann seufzte er und ließ den Kopf hängen.
Das Weinen und Schluchzen des weiblichen Teils der Gesellschaft war unbeschreiblich.
»Den Zentaur!« rief mein Onkel und stürzte aus dem Zimmer. Der Zentaur wurde vorgeführt; der Onkel schwang sich auf das ungesattelte Pferd, und einen Augenblick darauf ließ uns der Schall der Hufschläge erkennen, daß Foma Fomitschs Verfolgung begonnen hatte. Mein Onkel war sogar ohne Mütze davongesprengt.
Die Damen stürzten an die Fenster. Es wurde viel gestöhnt und gejammert; dazwischen wurden auch Ratschläge laut. Manche sagten, Foma Fomitsch müsse unverzüglich ein warmes Bad nehmen; man müsse ihn mit Spiritus abreiben, ihm Brusttee zu trinken geben; er habe seit dem Morgen keinen Bissen zu sich genommen, so daß er jetzt gewiß sehr hungrig sei. Fräulein Perepelizyna fand die von ihm vergessene Brille im Futteral, und dieser Fund machte einen ganz außerordentlichen Eindruck: die Generalin stürzte schreiend und weinend auf die Brille los und eilte dann, ohne sie aus der Hand zu lassen, wieder ans Fenster, um den Weg entlang zu spähen. Die Erwartung erreichte schließlich den allerhöchsten Grad der Spannung... In einer anderen Ecke versuchte Alexandra Nastasja zu trösten; sie hielten sich beide umschlungen und weinten. Nastasja hielt den kleinen Ilja bei der Hand und küßte alle Augenblicke ihren Schüler zum Abschied. Ilja weinte und schluchzte, ohne zu wissen warum. Jeshewikin und Misintschikow redeten, etwas abseits stehend, miteinander, ich weiß nicht worüber. Es schien mir, als ob Bachtschejew beim Anblick der jungen Mädchen die größte Lust hatte, ebenfalls loszuweinen. Ich trat zu ihm.
»Nein, lieber Freund«, sagte er zu mir, »Foma Fomitsch würde sich vielleicht von hier entfernen, hält aber den richtigen Zeitpunkt noch nicht für gekommen: man hat ihm noch keine Ochsen mit goldenen Hörnern vor seine Equipage gespannt! Sie können ganz sicher sein, lieber Freund: der wird noch die Wirtsleute aus dem Hause treiben und selbst dableiben!«
Das Gewitter war vorübergegangen, und Herr Bachtschejew hatte offenbar seine Ansicht geändert.
Auf einmal wurde gerufen: »Er bringt ihn! Er bringt ihn!«, und die Damen stürzten aufschreiend zur Tür. Seit der Onkel weggeritten war, waren noch keine zehn Minuten vergangen: es erschien als ein Ding der Unmöglichkeit, Foma Fomitsch so schnell zurückzubringen; aber das Rätsel löste sich nachher auf sehr einfache Weise: Foma Fomitsch war, nachdem er sich von Gawrila getrennt hatte, tatsächlich am Stock weitergegangen; aber als er sich völlig allein gelassen gefühlt hatte, da war eine schmähliche Feigheit über ihn gekommen; er hatte in Richtung Stepantschikowo kehrtgemacht und war hinter Gawrila hergelaufen. Der Onkel hatte ihn schon im Dorf getroffen. Sogleich hatte er einen vorüberfahrenden Bauernwagen angehalten; mehrere Bauern waren zusammengelaufen und hatten Foma Fomitsch, der ganz friedlich geworden war, hinaufgehoben. So wurde er nun geradewegs in die offenen Arme der Generalin geführt, die vor Schreck beinahe umkam, als sie sah, in welchem Zustand er sich befand. Er war noch schmutziger und nasser als Gawrila. Nun entwickelte sich ein überaus geschäftiges Treiben; manche wollten ihn sogleich nach oben in sein Schlafzimmer schleppen, um ihn die Wäsche wechseln zu lassen; andere sprachen von Holundertee und anderen Stärkungsmitteln; die Damen liefen ohne Sinn und Verstand hierhin und dorthin; alle redeten zu gleicher Zeit... Aber Foma schien niemanden und nichts wahrzunehmen. Er wurde, unter die Arme gefaßt, hereingeführt. Als er zu seinem Lehnstuhl gelangt war, ließ er sich schwerfällig in ihn hineinsinken und schloß die Augen. Jemand von den Anwesenden rief: »Er stirbt!« Es erhob sich ein allgemeines Geschrei; am meisten von allen aber brüllte Falalej, der sich durch den Schwarm der Damen zu Foma Fomitsch durchzudrängen versuchte, um ihm unverzüglich die Hand zu küssen...
V
Foma Fomitsch macht alle glücklich
»Wohin hat man mich gebracht?« fragte Foma endlich mit der Stimme eines Menschen, der für Recht und Wahrheit stirbt.
»Verdammter Patron!« flüsterte Misintschikow neben mir. »Als ob er nicht sähe, wohin man ihn gebracht hat! Jetzt wird er uns wieder eine Komödie vorspielen!«
»Du bist bei uns, Foma, im Kreise der deinigen!« rief mein Onkel. »Fasse Mut, beruhige dich! Und wirklich, du solltest jetzt die Kleider wechseln, Foma; sonst wirst du noch krank werden... Und willst du dich nicht ein bißchen stärken, wie? So ein kleines Gläschen mit etwas Alkoholischem zur Erwärmung...«
»Malaga würde ich jetzt trinken«, stöhnte Foma und schloß von neuem die Augen.
»Malaga? Den werden wir wohl kaum haben!« sagte mein Onkel und blickte beunruhigt Praskowja Iljinitschna an.
»Aber gewiß doch!« fiel Praskowja Iljinitschna ein; »es sind noch ganze vier Flaschen übrig!« Und mit ihrem Schlüsselbund klappernd, lief sie sogleich hinaus, um den Malaga zu holen, begleitet vom Geschrei aller Damen, die an Foma festklebten wie die Fliegen am Eingemachten. Dagegen war Herr Bachtschejew höchst entrüstet.
»Malaga will er!« brummte er beinahe laut. »Verlangt einen Wein, den sonst kein Mensch trinkt. Na, wer trinkt jetzt Malaga außer so einem Schuft wie er? Pfui Deibel! Na, aber warum stehe ich hier noch? Worauf warte ich hier noch?«
»Foma«, begann der Onkel, bei jedem Wort in Verwirrung geratend, »sieh mal, jetzt... wo du dich erholt hast und wieder mit uns zusammen bist... das heißt, ich wollte sagen, Foma, daß ich begreife, wie du vorhin, nachdem du sozusagen das allerunschuldigste Wesen beleidigt hattest...«