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»Wo, wo ist sie, meine Unschuld?« fiel ihm Foma ins Wort, als hätte er Fieber und spräche irre. »Wo sind meine glücklichen, goldenen Tage? Wo bist du, meine goldene Kindheit, als ich, ein unschuldiger, schöner Knabe, auf den Feldern hinter den Frühlingsschmetterlingen herlief? Wo, wo ist diese Zeit? Gebt mir meine Unschuld wieder, gebt sie mir wieder!«

Und Foma wandte sich, die Arme ausbreitend, der Reihe nach an jeden von uns, als ob einer von uns seine Unschuld in der Tasche hätte. Bachtschejew wollte beinah platzen vor Wut.

»Was will er nun wieder?« brummte er zornig. »Seine Unschuld sollen wir ihm wiedergeben! Er will sich wohl mit ihr küssen? Vielleicht war er auch als Junge schon genauso ein Halunke wie jetzt! Ich möchte schwören, daß es so gewesen ist.«

»Foma!...« begann mein Onkel wieder.

»Wo, wo sind sie, jene Tage, als ich noch an die Liebe glaubte und die Menschen liebte?« rief Foma, »als ich andere Menschen umarmte und an ihrer Brust weinte? Aber jetzt, wo bin ich? Wo bin ich?«

»Du bist bei uns, Foma; beruhige dich!« rief mein Onkel. »Aber ich wollte dir etwas sagen, Foma...«

»Wenn Sie doch wenigstens jetzt schweigen möchten!« zischte Fräulein Perepelizyna, deren kleine Schlangenaugen böse funkelten.

»Wo bin ich?« fuhr Foma fort; »wer ist das hier um mich? Das sind Büffel und Stiere, die mich mit ihren Hörnern bedrohen. O Leben, was bist du? Da lebt unsereiner nun und lebt und wird entehrt und beschimpft und erniedrigt und geschlagen, und erst wenn die Menschen unser Grab mit Sand zuschaufeln, erst dann kommen sie zur Besinnung und belasten unsere armen Gebeine mit einem Monumente!«

»Ach, herrje, nun fängt er gar an von Monumenten zu reden!« flüsterte Jeshewikin und schlug die Hände zusammen.

»Oh, setzt mir kein Monument!« schrie Foma; »setzt mir kein Monument! Ich brauche keine Monumente! Errichtet mir ein Monument in euren Herzen; weiter brauche ich nichts, nichts, nichts!«

»Foma!« unterbrach ihn mein Onkel, »hör auf! Beruhige dich! Du hast keinen Grund, von Monumenten zu reden. Hör nur zu!... Siehst du, Foma, ich begreife das ja, daß du vielleicht sozusagen in edler Glut entbrannt warst, als du mir vorhin Vorwürfe machtest; aber du bist zu weit gegangen, Foma, über die Grenzlinie der Tugend hinaus – ich versichere dir, du hast dich geirrt, Foma .. .«

»Wollen Sie nicht endlich aufhören?« zeterte wieder Fräulein Perepelizyna. »Sie wollen wohl den Unglücklichen töten, weil er nun in Ihrer Gewalt ist?«

Nach Fräulein Perepelizyna kam nun auch die Generalin in unruhige Bewegung und nach ihr ihre ganze Suite; alle gaben dem Onkel mit der Hand Zeichen, er möchte aufhören.

»Anna Nilowna, bitte, schweigen Sie; ich weiß schon, was ich sage!« antwortete mein Onkel in festem Ton. »Das ist eine heilige Sache! Eine Sache der Ehre und der Gerechtigkeit. – Foma, du bist ein vernünftiger Mensch; du mußt das von dir beleidigte edelste Mädchen sofort um Verzeihung bitten.«

»Was für ein Mädchen? Was für ein Mädchen habe ich beleidigt?« sagte Foma, indem er seinen Blick verständnislos über alle hingehen ließ, wie wenn er alles Vergangene vollständig vergessen hätte und nicht begriffe, um was es sich handle.

»Ja, Foma, und wenn du jetzt von selbst, freiwillig, edelmütig deine Schuld bekennst, dann, Foma, das schwöre ich dir, dann werde ich dir zu Füßen fallen, und dann...«

»Wen habe ich denn beleidigt?« schrie Foma; »was für ein Mädchen? Wo ist sie? Wo ist dieses Mädchen? Helft mir doch wenigstens, mich an dieses Mädchen erinnern!...«

In diesem Augenblick trat Nastasja, verwirrt und ängstlich, an Jegor Iljitsch heran und zupfte ihn am Ärmel.

»Nein, Jegor Iljitsch, lassen Sie ihn; es bedarf keiner Bitte um Entschuldigung! Wozu das alles?« sagte sie flehend, »Lassen Sie es doch sein!«

»Ah, jetzt erinnere ich mich!« rief Foma. »O Gott, ich erinnere mich! O helft, helft meinem Gedächtnis nach!« bat er, anscheinend in schrecklicher Aufregung. »Sagt mir, ist es wahr, daß ich von hier wie ein räudiger Hund weggejagt worden bin? Ist es wahr, daß mich der Blitz getroffen hat? Ist es wahr, daß ich hier die Treppe hinuntergeworfen worden bin? Ist das wahr? Ist das tatsächlich wahr?«

Das Weinen und Schreien des weiblichen Publikums gab ihm beredte Antwort.

»Richtig, richtig«, fuhr er fort, »ich erinnere mich, ich erinnere mich jetzt, daß, nachdem mich der Blitz getroffen hatte und ich hingestürzt war, ich hierher lief, vom Donner verfolgt, um meine Pflicht zu erfüllen und dann für immer zu verschwinden! Helft mir aufzustehen! So schwach ich jetzt auch bin, muß ich doch meine Pflicht erfüllen.«

Er wurde sogleich aus dem Lehnstuhl gehoben und stand nun in der Stellung eines Redners, den einen Arm vorstreckend, da.

»Oberst!« rief er, »jetzt bin ich wieder völlig zur Besinnung gekommen; der Blitz hat meine geistigen Fähigkeiten nicht getötet; allerdings ist noch eine Taubheit im rechten Ohr zurückgeblieben, die vielleicht nicht so sehr vom Blitz als von dem Sturz die Treppe hinab herrührt... Aber kommt es denn darauf an? Und wer kümmert sich schon um Fomas rechtes Ohr?«

Diesen letzten Worten verlieh Foma einen solchen Ausdruck trüber Ironie und begleitete sie mit einem so kläglichen Lächeln, daß die gerührten Damen von neuem zu stöhnen anfingen. Alle blickten sie vorwurfsvoll und manche sogar wütend meinen Onkel an, der einem so einmütigen Ausdruck der allgemeinen Meinung gegenüber allmählich klein zu werden begann. Misintschikow spuckte aus und trat ans Fenster. Bachtschejew stieß mich immer heftiger und heftiger mit dem Ellbogen an; er konnte kaum noch ruhig an seinem Platz bleiben.

»Jetzt hört alle meine Beichte!« rief Foma, indem er alle Anwesenden mit einem stolzen, entschlossenen Blick umfaßte, »und entscheidet zugleich über das Schicksal des unglücklichen Opiskin! Jegor Iljitsch! Schon lange habe ich Sie beobachtet, Sie mit bangem Herzen beobachtet und alles gesehen, alles, während Sie noch nicht einmal ahnten, daß ich Sie beobachtete. Oberst! Ich habe mich vielleicht geirrt; aber ich kannte Ihren Egoismus, Ihre grenzenlose Selbstsucht, Ihre phänomenale Sinnlichkeit, und wer wird mich verurteilen, wenn ich unwillkürlich um die Ehre eines so unschuldigen Wesens zitterte?«

»Foma, Foma!... Geh nicht zu sehr darauf ein, Foma!« rief mein Onkel, der mit großer Unruhe den leidenden Ausdruck auf Nastasjas Gesicht gewahrte.

»Was mich ängstigte, war nicht sowohl die Unschuld und Arglosigkeit dieser jungen Person als ihre Unerfahrenheit«, fuhr Foma fort, als hätte er die Warnung des Onkels gar nicht gehört. »Ich sah, daß ein zärtliches Gefühl in ihrem Herzen gleich einer Frühlingsrose erblühte, und erinnerte mich unwillkürlich an Petrarca, welcher gesagt hat, daß die Unschuld so oft nur um Haaresbreite vom Verderben entfernt ist. Ich seufzte und stöhnte. Ich war zwar bereit, für dieses Mädchen, das rein ist wie eine Perle, all mein Blut als Unterpfand zu geben; aber wer konnte mir für Sie bürgen, Jegor Iljitsch? Da ich die zügellose Heftigkeit Ihrer Leidenschaften kenne und da ich weiß, daß Sie für eine kurze Befriedigung derselben alles zu opfern bereit sind, versank ich in einen Abgrund des Entsetzens und der Befürchtungen in betreff des Schicksals dieses so edlen Mädchens...«

»Foma! Hast du wirklich so etwas denken können?« rief mein Onkel.

»Mit angsterfülltem Herzen verfolgte ich Ihr Verhalten. Wenn Sie wissen wollen, wie sehr ich litt, so fragen Sie Shakespeare: er schildert Ihnen in seinem ›Hamlet‹ meinen Seelenzustand. Ich wurde in meinem Mißtrauen geradezu schrecklich. In meiner Unruhe und in meiner Entrüstung sah ich alles in den schwärzesten Farben, und das war nicht jene ›schwarze Farbe‹, von der in einem bekannten Lied die Rede ist; davon können Sie überzeugt sein! Daher rührte auch der Wunsch, den Sie damals an mir bemerkten, sie aus diesem Haus zu entfernen: ich wollte sie retten; und daher war ich, was Sie gewiß auch wahrgenommen haben, in der ganzen letzten Zeit so reizbar und über das ganze Menschengeschlecht so ergrimmt. Oh, wer wird mich jetzt mit der Menschheit wieder versöhnen? Ich habe die Empfindung, daß ich vielleicht Ihren Gästen und Ihrem Neffen und Herrn Bachtschejew gegenüber ungerecht und gar zu anspruchsvoll gewesen bin, indem ich zum Beispiel von dem letzteren die Kenntnis der Astronomie verlangte; aber wer kann mir meinen damaligen Seelenzustand als Verbrechen anrechnen? Wiederum Shakespeare zitierend, möchte ich sagen, daß mir die Zukunft als ein dunkler Schlund von unbekannter Tiefe erschien, auf dessen Grund ein Krokodil liegt. Ich fühlte, daß es meine Pflicht war, ein Unglück zu verhüten, daß ich dazu berufen, dazu hergesandt war; aber was geschah? Sie verstanden die edlen Regungen meiner Seele nicht und vergalten sie mir in dieser ganzen Zeit mit Bosheit und Undank, mit Spöttereien und Kränkungen...«