Der arme Bursche, der vor Angst bebte, ließ seinen verzweifelten Blick ringsumgehen, um bei jemand Rettung zu suchen; aber alle zitterten nur und warteten voller Angst auf seine Antwort.
»Nun, Falalej, ich warte!«
Statt zu antworten runzelte Falalej die Stirn, öffnete den Mund und brüllte los wie ein Kalb.
»Oberst! Sehen Sie wohl diese Hartnäckigkeit? Ist die wirklich etwas Natürliches? Zum letzten Mal wende ich mich an dich, Falalej; sprich: wovon hast du heute geträumt?«
»Von...«
»Sag, daß du von mir geträumt hast!« flüsterte ihm Bachtschejew zu.
»Von Ihren Tugenden!« flüsterte ihm Jeshewikin in das andere Ohr.
Falalej blickte sich nur nach ihnen um.
»Von... von Ihren Tu... von dem weißen... Ochsen!« brüllte er endlich und vergoß die bittersten Tränen.
Alle stöhnten. Aber Foma Fomitsch hatte eine Anwandlung von ganz besonderer Großmut.
»Wenigstens sehe ich daran deine Aufrichtigkeit, Falalej«, sagte er, »eine Aufrichtigkeit, die ich bei anderen nicht wahrnehme. Ich verzeihe dir. Wenn du mich auf Anstiften anderer mit diesem Traum absichtlich verhöhnst, so wird Gott dich und jene andern dafür zur Rechenschaft ziehen. Wenn das aber nicht der Fall ist, so achte ich deine Aufrichtigkeit; denn ich bin gewohnt, sogar in einem so niedrigen Geschöpf wie dir das Ebenbild Gottes zu erkennen... Ich verzeihe dir, Falalej! Meine Kinder, umarmt mich; ich bleibe!...«
»Er bleibt!« schrien alle entzückt.
»Ich bleibe und verzeihe. Oberst, belohnen Sie Falalej mit Zucker; er soll an einem solchen Tag der allgemeinen Glückseligkeit nicht weinen.«
Selbstverständlich fand man eine solche Großmut erstaunlich. Eine solche Sorglichkeit, in einem solchen Augenblick, und für wen? Für Falalej! Mein Onkel beeilte sich, den Befehl betreffs des Zuckers zu erfüllen. Sogleich erschien (Gott weiß woher) in Praskowja Iljinitschnas Händen eine silberne Zuckerdose. Mein Onkel nahm mit zitternder Hand zwei Stücke heraus, dann drei, dann ließ er sie hinfallen; schließlich, da er sah, daß er vor Aufregung nicht imstande war, damit zurechtzukommen, rief er:
»Ach was! Zur Feier eines solchen Tages! Halt auf, Falalej!« und schüttete ihm den ganzen Inhalt der Zuckerdose an der Brust in die Hemdbluse.
»Das ist für deine Aufrichtigkeit!« fügte er als moralische Belehrung hinzu..
»Herr Korowkin!« meldete auf einmal Widopljassow, der in der Tür erschien.
Es entstand eine kleine Aufregung. Korowkins Besuch kam offenbar nicht im richtigen Augenblick. Alle blickten den Onkel fragend an.
»Korowkin!« rief der Onkel etwas verlegen. »Natürlich freue ich mich...«, fügte er, Foma schüchtern anblickend, hinzu; »aber ich weiß wirklich nicht, ob ich ihn jetzt, in einem solchen Augenblick, empfangen soll. Wie denkst du darüber, Foma?«
»In Gottes Namen!« antwortete Foma huldvoll. »Lassen Sie auch Korowkin hereinkommen; mag auch er an dem allgemeinen Glück teilnehmen!«
Kurz, Foma Fomitsch befand sich in einer geradezu engelgleichen Gemütsstimmung.
»Ich wage ganz ergebenst zu melden«, bemerkte Widopljassow, »daß Herr Korowkin sich nicht in normalem Zustand zu befinden geruht.«
»Nicht in normalem Zustand? Wie? Was faselst du da?« rief der Onkel.
»Jawohl, er befindet sich nicht in nüchternem Geisteszustand...«
Aber kaum hatte der Onkel Zeit gehabt, erstaunt den Mund zu öffnen, zu erröten, zu erschrecken und äußerst verlegen zu werden, als auch schon die Lösung des Rätsels erfolgte. In der Tür erschien Herr Korowkin selbst, schob Widopljassow mit der Hand beiseite und stand nun vor der erstaunten Versammlung. Er war ein Herr von ziemlich kleiner Statur, aber stämmig gebaut, etwa vierzig Jahre alt, mit dunklem, schon graumeliertem, kurzgeschorenem Haar, dunkelrotem, rundem Gesicht und kleinen, blutunterlaufenen Augen; er trug eine hohe, härene Krawatte, die hinten mit einer Schnalle geschlossen war, einen stark abgenutzten Frack, an welchem Federchen und Heuhälmchen hingen und welcher unter den Achseln bedeutende Risse aufwies, ein pantalon impossible und eine unglaublich schmierige Mütze, die er in der Hand schwenkte. Dieser Herr war vollständig betrunken. Als er in die Mitte des Zimmers gelangt war, blieb er stehen, schwankte hin und her und machte in seiner Benommenheit mit der Nase hämmernde Bewegungen; dann breitete sich langsam ein Lächeln über sein ganzes Gesicht aus.
»Entschuldigen Sie, meine Herren«, sagte er, »ich... hm...« (hier knipste er an seinem Rockkragen herum), »ich habe ein bißchen was zu mir genommen!«
Die Generalin nahm sofort die Miene beleidigter Würde an. Foma maß, in seinem Lehnstuhl sitzend, den wunderlichen Gast mit einem spöttischen Blick. Bachtschejew blickte ihn erstaunt an; indes barg sein Erstaunen auch ein gewisses Mitgefühl. Die Verlegenheit meines Onkels war grenzenlos; Korowkins Zustand bereitete ihm die größte Seelenpein.
»Korowkin!« begann er, »hören Sie mal...«
»Attendez!« unterbrach ihn dieser. »Ich erlaube mir, mich als ein Kind der Natur vorzustellen... Aber was sehe ich? Es sind ja Damen hier... Warum hast du mir das nicht gesagt, du Schurke, daß du hier bei dir zu Hause Damen hast?« fügte er hinzu und sah den Onkel mit einem spitzbübischen Lächeln an. »Nun, es tut nichts! Nur keine Bange!... Stellen wir uns auch dem schönen Geschlecht vor!... Meine reizenden Damen!« begann er, nur mühsam die Zunge bewegend und bei jedem Wort anstoßend, »Sie sehen hier einen Unglücklichen, der... na und so weiter... Das übrige will ich unausgesprochen lassen... Musikanten! Polka!«
»Wollen Sie sich nicht schlafen legen?« fragte Misintschikow, indem er ruhig auf Korowkin zutrat.
»Schlafen legen? Wollen Sie mich beleidigen?«
»Durchaus nicht. Wissen Sie, nach der Fahrt tut das gut...«
»Niemals!« antwortete Korowkin entrüstet. »Glauben Sie, daß ich betrunken bin? Nicht die Spur... Aber übrigens: Wo kann man hier bei Ihnen schlafen?«
»Kommen Sie nur mit; ich werde Sie gleich hinführen.«
»Wohin? In die Scheune? Nein, lieber Freund, mich betrügen Sie nicht. In einer Scheune habe ich schon die letzte Nacht zugebracht... Indessen, führen Sie mich!... Warum sollte ich nicht mit einem braven Menschen mitgehen?... Ein Kissen ist nicht nötig; wer beim Militär gewesen ist, braucht kein Kissen. Aber Sie könnten mir ein kleines Sofa zurechtmachen, lieber Freund, ein kleines Sofa... Und hören Sie«, fügte er, stehenbleibend, hinzu, »Sie sind, wie ich sehe, ein netter junger Mann; geben Sie mir doch... hm... Sie verstehen? Nur so ein bißchen was zum Trinken, nur so ein bißchen... ich meine, nur so ein Gläschen.«
»Schön, schön!« antwortete Misintschikow.
»Schön... Aber warten Sie; ich muß mich doch erst empfehlen. Adieu, mesdames und mesdemoiselles!... Sie haben mich mit Ihren Blicken sozusagen durchbohrt... Na, lassen wir’s gut sein! Wir können uns später darüber unterhalten... wecken Sie mich nur, wenn es anfängt... oder schon fünf Minuten vor dem Anfang... aber daß Sie nicht ohne mich anfangen! Hören Sie wohl? Nicht ohne mich anfangen!«
Damit ging der vergnügte Herr hinter Misintschikow her und verschwand.
Alle schwiegen. Das Erstaunen dauerte eine ganze Weile. Endlich begann Foma allmählich, schweigend und unhörbar zu kichern; dieses Gekicher wuchs immer stärker und stärker zu einem wirklichen Lachen heran. Als die Generalin dies sah, wurde sie ebenfalls heiter, obwohl der Ausdruck gekränkter Würde sich immer noch auf ihrem Gesicht hielt. Ein unwillkürliches Gelächter begann sich ringsum zu erheben. Der Onkel stand wie betäubt da, errötete dermaßen, daß ihm fast die Tränen kamen, und war eine Zeitlang nicht imstande, ein Wort vorzubringen.