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Wenn Bachtschejew sich jemandem hingab, dann tat er es auch vollständig, bedingungslos und unter Verzicht auf jede Kritik.

Ich fand meinen Onkel im Garten, am Teich, an einer ganz einsamen Stelle. Nastasja war bei ihm. Als sie mich erblickte, schlüpfte sie ins Gebüsch, wie wenn sie sich schuldig fühlte. Mein Onkel kam mir mit strahlendem Gesicht entgegen; Freudentränen standen in seinen Augen. Er ergriff meine beiden Hände und drückte sie kräftig.

»Mein Freund!« sagte er, »ich kann bis jetzt immer noch nicht recht an mein Glück glauben. Und Nastasja ebensowenig. Wir staunen nur und preisen Gott den Allmächtigen. Jetzt eben hat sie geweint. Kannst du es glauben: Ich bin bis jetzt noch gar nicht recht zur Besinnung gekommen; ich bin ganz unfähig zum Denken; ich glaube es und glaube es auch wieder nicht! Und womit habe ich soviel Glück verdient? Womit? Was habe ich getan? Womit habe ich es verdient?«

»Wenn jemand sein Glück verdient hat, lieber Onkel, so sind Sie es«, erwiderte ich mit warmer Empfindung. »Ich habe noch keinen so ehrenhaften, so prächtigen, so guten Menschen gesehen, wie Sie einer sind.«

»Nein, lieber Sergej, nein, das ist zuviel«, antwortete er mit einer Art von Bedauern. »Das ist eben das Schlimme, daß wir nur dann gut sind (das heißt, ich rede nur von mir), wenn es uns gut geht; geht es uns aber schlecht, dann benehmen wir uns garstig gegen jeden, der uns zu nahe kommt! Davon habe ich soeben mit Nastasja gesprochen. In wie glänzender Gestalt auch Foma vor meinen Augen stand, habe ich doch (kannst du es glauben?) vielleicht bis zum heutigen Tag nicht ganz an ihn geglaubt, obwohl ich dir selbst versicherte, daß er ein idealer Mensch sei; selbst gestern, als er ein solches Geschenk zurückwies, gelangte ich noch nicht zum Glauben! Zu meiner Schande bekenne ich es! Mein Herz erbebt bei der Erinnerung an meine Tat von vorhin! Aber ich war meiner selbst nicht mächtig. Als er vorhin das von Nastasja sagte, da war es mir, als ob mich jemand mit einem Messer gerade ins Herz stäche. Ich verstand nichts mehr und handelte wie ein Tiger...«

»Nicht doch, lieber Onkel; das war vielleicht eine ganz natürliche Handlungsweise.«

Mein Onkel machte eine abwehrende Bewegung mit den Armen.

»Nein, nein, lieber Freund, sage das nicht! Das kommt alles einfach von der Verderbtheit meiner Natur her, davon, daß ich ein finsterer, sinnlicher Egoist bin und mich ungehemmt meinen Leidenschaften hingebe. Das sagt auch Foma.« (Was sollte ich darauf erwidern?) »Du weißt nicht, lieber Sergej«, fuhr er mit tiefem Gefühl fort, »wie oft ich gereizt, mitleidslos, ungerecht und hochmütig gewesen bin, und nicht nur gegen Foma. Jetzt ist mir das auf einmal alles wieder eingefallen, und ich schäme mich ordentlich, daß ich bisher noch nichts getan habe, um ein solches Glück zu verdienen. Nastasja hat soeben von sich dasselbe gesagt, obwohl ich wirklich nicht weiß, was sie für Sünden begangen haben könnte; denn sie ist kein Mensch, sie ist ein Engel! Sie sagte zu mir, wir seien ganz gewaltig in Gottes Schuld und müßten uns jetzt bemühen, besser zu werden und lauter gute Werke zu tun... Und wenn du gehört hättest, wie schön und mit welcher Wärme sie das alles sagte! O mein Gott, was ist sie für ein Mädchen!« Er hielt sehr aufgeregt inne. Nach einer kleinen Weile fuhr er fort:

»Wir haben uns vorgenommen, lieber Freund; zu Foma, zu Mama und Tatjana Iwanowna besonders freundlich zu sein. Aber was soll man von Tatjana Iwanowna sagen! Was ist sie für ein edles Wesen! Oh, wie ich mich gegen sie alle vergangen habe! Auch gegen dich habe ich mich vergangen... Aber wenn jetzt jemand wagen sollte, Tatjana Iwanowna zu beleidigen, oh, dann... Nun, da ist weiter nichts zu sagen!... Auch für Misintschikow muß etwas getan werden.«

»Ja, lieber Onkel, ich habe jetzt meine Ansicht über Tatjana Iwanowna geändert. Man muß sie achten und bemitleiden.«

»Gewiß, gewiß!« fiel mein Onkel mit Wärme ein. »Man muß sie achten! Und da ist zum Beispiel dieser Korowkin; du lachst gewiß über ihn«, fügte er, mir schüchtern ins Gesicht blickend, hinzu, »und wir alle haben vorhin über ihn gelacht. Aber das ist vielleicht unverzeihlich... Er ist vielleicht der vortrefflichste, beste Mensch, aber das Schicksal... er mag viel Unglück durchgemacht haben... du glaubst es nicht; aber es ist vielleicht wirklich so.«

»Nicht doch, lieber Onkel, warum sollte ich es nicht glauben?«

Und ich begann mit lebhaftem Eifer davon zu sprechen, daß selbst in einem tief gesunkenen Wesen sich eine Menge der höchsten menschlichen Empfindungen erhalten haben könne; daß die Tiefe der Menschenseele unerforschlich sei; daß man die Gefallenen nicht verachten dürfe, sondern im Gegenteil bemüht sein müsse, sie wieder aufzurichten; daß der allgemein gebräuchliche Maßstab für das Gute und für die Sittlichkeit nicht richtig sei, und so weiter und so weiter; kurz, ich geriet in Begeisterung und erzählte ihm sogar von der naturalistischen Schule; zum Schluß zitierte ich die Verse: »Als aus der grausen Nacht der Fehle« und so weiter.

Mein Onkel war sehr entzückt.

»Mein Freund, mein Freund!« sagte er gerührt, »du verstehst mich vollkommen und hast alles, was ich selbst sagen wollte, noch besser ausgedrückt, als ich es gekonnt hätte. Ja, so ist es, so ist es! O Gott! Warum ist der Mensch so schlecht? Warum bin ich so oft schlecht, während es doch so schön und beglückend ist, gut zu sein? Auch Nastasja hat soeben ganz dasselbe gesagt... Aber sieh nur einmal, was das hier für ein herrliches Plätzchen ist!« fügte er, um sich schauend, hinzu. »Was für eine Natur! Was für ein Bild! Dieser Baum! Sieh nur: Ein Mann kann ihn kaum umspannen! Wie saftig, wie dicht belaubt! Welche Sonne! Wie nach dem Gewitter alles ringsum fröhlich geworden ist, sich gewaschen hat!... Man möchte meinen, daß auch die Bäume ein eigenes Bewußtsein haben und etwas fühlen und das Leben genießen... Ob es nicht wirklich so ist – was? Wie denkst du darüber?«

»Sehr möglich, lieber Onkel. Auf ihre Weise natürlich.«

»Nun ja, natürlich, auf ihre Weise... Wunderbarer, wunderbarer Schöpfer!... Aber du mußt dich doch noch gut an diesen ganzen Garten erinnern, lieber Sergej: Wie du hier gespielt hast und herumgelaufen bist, als du noch ein kleiner Junge warst! Ich habe es noch ganz gut im Gedächtnis, wie du ein kleiner Junge warst«, fügte er hinzu und sah mich mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Liebe und Glückseligkeit an. »Nur an den Teich durftest du nicht allein gehen. Und erinnerst du dich noch: Einmal abends rief dich meine selige Katerina zu sich und streichelte dich. Du warst vorher tüchtig im Garten umhergelaufen und ganz rot und erhitzt; du hattest solche hellen, lockigen Härchen. Sie spielte damit und sagte: ›Du hast gut daran getan, daß du den verwaisten Knaben zu uns ins Haus genommen hast.‹ Erinnerst du dich noch daran?«

»Kaum, lieber Onkel.«

»Es war damals Abend, und die Sohne beschien euch beide so hell, und ich saß in einer Ecke und rauchte eine Pfeife und blickte zu euch hin... Ich fahre jeden Monat in die Stadt zu ihrem Grab, lieber Sergej«, fügte er mit leiser, zitternder Stimme hinzu, der man die unterdrückten Tränen anhören konnte. »Ich habe eben mit Nastasja darüber gesprochen; sie sagte, wir würden nun beide zusammen dorthinfahren...«

Der Onkel schwieg und suchte seiner Erregung Herr zu werden.

In diesem Augenblick trat Widopljassow zu uns.

»Widopljassow!« rief mein Onkel erschrocken. »Kommst du von Foma Fomitsch?«

»Nein, ich komme mehr in eigener Angelegenheit.«

»Ah, das ist ja schön! Da werden wir etwas über Korowkin hören. Ich wollte schon vorhin nach ihm fragen... Ich habe ihm befohlen, lieber Sergej, bei ihm Wache zu halten, bei Korowkin. Nun, wie steht’s, Widopljassow?«