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»Ich wage zu melden«, sagte Widopljassow, »daß Sie gestern geruhten, in betreff meiner Bitte Erwähnung zu tun und mir Ihren hohen Schutz gegen die täglichen Beleidigungen zu versprechen.«

»Fängst du wirklich wieder von deinem Familiennamen an!« rief mein Onkel erschrocken.

»Was soll ich machen? Die allstündlichen Beleidigungen...«

»Ach, Widopljassow, Widopljassow! Was soll ich mit dir anfangen?« rief mein Onkel sehr betrübt. »Was können denn das für Beleidigungen sein, die dir zugefügt werden? Du wirst noch den Verstand verlieren und dein Leben im Irrenhaus beschließen!«

»Ich glaube, daß ich mit meinem Verstand...«, begann Widopljassow.

»Na ja, na ja!« unterbrach ihn mein Onkel. »Ich sage das nicht, um dich zu kränken, lieber Freund, sondern in bester Absicht. Nun, was sind denn das für Beleidigungen, die du auszustehen hast? Ich möchte wetten, daß es Lappalien sind.«

»Man läßt mir keine Ruhe.«

»Wer denn?«

»Alle und insonderheit Matrjona. Diese bewirkt, daß mein Leben voll Leid ist. Es ist bekannt, daß alle mit Unterscheidungsgabe ausgestatteten Menschen, die mich noch in meiner frühen Kindheit erblickten, sich dahin geäußert haben, ich sähe ganz wie ein Ausländer aus, vornehmlich was die Gesichtszüge anlangt. Und was geschieht nun, gnädiger Herr? Aus diesem Grunde lassen sie mir jetzt keine Ruhe. Sobald ich vorbeigehe, schreien sie mir sämtlich allerlei dumme Worte nach; sogar die kleinen Kinderlein, denen man vor allen Dingen die Rute geben sollte; auch diese schreien mir nach. So zum Beispiel haben sie auch jetzt, während ich hierher ging, mir nachgeschrien... Es ist nicht zu ertragen. Beschirmen Sie mich, gnädiger Herr, mit Ihrem Schutz!«

»Ach, Widopljassow!... Na, aber was schreien sie denn eigentlich? Gewiß irgendeine Dummheit, die gar keine Beachtung verdient.«

»Es würde unpassend sein, dies zu sagen.«

»Nun, wie lautet es denn?«

»Es ist ekelhaft, es auszusprechen.«

»So sag es doch!«

»Grigori, der Spanier, trinkt gern Schampahnier.«

»Na, was bist du bloß für ein Mensch! Ich dachte, es wäre wunder was! Spuck doch aus und geh vorbei!«

»Ich habe ausgespuckt; sie schreien nur um so mehr.«

»Hören Sie, lieber Onkel«, sagte ich, »er beklagt sich darüber, daß ihm hier im Hause das Leben zu schwer gemacht wird. Schicken Sie ihn doch für eine Weile nach Moskau zu jenem Schreiblehrer! Sie sagten ja, er habe bei so einem gelebt.«

»Ach, lieber Freund, der hat auch ein tragisches Ende genommen!«

»Wieso?«

»Er hatte das Unglück«, antwortete Widopljassow, »sich fremdes Eigentum anzueignen, wofür er trotz seines hervorragenden Talents in das Gefängnis gesetzt wurde, allwo er unrettbar zugrunde ging.«

»Nun gut, nun gut, Widopljassow. Beruhige dich jetzt; ich werde das alles untersuchen und in Ordnung bringen«, sagte mein Onkel; »das verspreche ich dir! Nun, was macht denn Korowkin? Schläft er?«

»Keineswegs; er hat soeben geruht wegzufahren. Ebendieses zu melden bin ich hergekommen.«

»Wegzufahren? Was redest du da? Warum hast du ihn denn weggelassen?« rief mein Onkel.

»Aus Gutmütigkeit des Herzens; es war kläglich anzuschauen. Sobald er erwacht war und sich an den ganzen Hergang erinnerte, schlug er sich sogleich an den Kopf und schrie aus vollem Halse...«

»Aus vollem Halse!...«

»Es wird respektvoller sein, wenn ich mich so ausdrücke: er stieß mannigfaltige Schreie aus. Er rief, wie könne er jetzt dem schönen Geschlecht wieder vor die Augen kommen! Und dann fügte er hinzu: ›Ich bin des Menschengeschlechts unwürdig!‹ Und alles redete er so kläglich, in gewählten Ausdrücken.«

»Ein höchst zartfühlender Mensch! Ich habe es dir ja gesagt, Sergej... Aber du durftest ihn doch nicht weglassen, Widopljassow, da ich dir ausdrücklich befohlen hatte, auf ihn aufzupassen! Ach mein Gott, mein Gott!«

»Ich habe es mehr aus herzlichem Mitleid getan. Er bat, ich möchte nichts davon sagen. Sein Kutscher hatte die Pferde gefüttert und wieder angespannt. Und für die vor drei Tagen ihm ausgehändigte Summe befahl er seinen ergebensten Dank auszusprechen und zu sagen, daß er die Schuld demnächst mit der Post übersenden werde.«

»Was ist denn das für eine Summe, lieber Onkel?«

»Er nannte fünfundzwanzig Rubel«, sagte Widopljassow.

»Ich habe ihm dieses Geld damals auf der Station geliehen, lieber Freund; er hatte nicht genug bei sich. Natürlich wird er es mir mit der ersten Post zurückschicken... Ach mein Gott, wie leid mir das tut! Ob ich ihm nicht jemand nachschicke, um ihn zurückzuholen, lieber Sergej?«

»Nein, lieber Onkel, tun Sie das lieber nicht!«

»Das ist auch meine Meinung. Siehst du, lieber Sergej, ich bin natürlich kein Philosoph; aber ich glaube, daß in jedem Menschen weit mehr Gutes steckt, als es äußerlich scheint. So ist es auch bei Korowkin: Er hat die Beschämung nicht ertragen können... Aber wir wollen nun doch zu Foma gehen! Wir sind schon zu lange weggeblieben; er könnte es als Undank und Vernachlässigung auffassen und sich beleidigt fühlen... Gehen wir! Ach, Korowkin, Korowkin!« Der Roman ist zu Ende. Die Liebenden sind vereint, und der gute Genius hat in Foma Fomitschs Person bedingungslos in diesem Haus die Herrschaft angetreten. Man könnte noch sehr viele damit in Zusammenhang stehende Auseinandersetzungen hinzufügen; aber, genau besehen, sind all diese Auseinandersetzungen jetzt vollständig überflüssig. Das ist wenigstens meine Meinung. Statt aller Auseinandersetzungen werde ich nur noch einige Worte über das weitere Schicksal aller Helden meiner Erzählung sagen; ohne das schließt bekanntlich kein Roman, und die Regeln der Kunst schreiben es sogar vor.

Die Hochzeit der ›Beglückten‹ fand sechs Wochen nach den von mir geschilderten Ereignissen statt. Sie wurde still im Familienkreis ohne besonderen Pomp und ohne überflüssige Gäste gefeiert. Ich war Nastasjas Hochzeitsmarschall, Misintschikow der meines Onkels. Übrigens waren auch einige Gäste da. Aber die erste und wichtigste Person war natürlich Foma Fomitsch. Alle bemühten sich um seine Gunst und trugen ihn auf den Händen. Aber zufälligerweise geschah es, daß er einmal beim Herumreichen des Champagners übergangen wurde. Sofort veranstaltete er eine häßliche Szene mit Vorwürfen, Klagen und Geschrei. Foma lief auf sein Zimmer, schloß sich ein, schrie, daß man ihn verachte, daß jetzt ›neue Gesichter‹ in die Familie eindrängen und er daher ein Nichts sei, nicht mehr als ein Nichts, das man wegwerfe. Der Onkel war verzweifelt; Nastasja weinte; die Generalin bekam wie gewöhnlich Krämpfe. Das Hochzeitsmahl glich einem Leichenschmaus. Und volle sieben Jahre eines solchen Zusammenlebens mit ihrem Wohltäter Foma Fomitsch teilte das Schicksal meinem armen Onkel und der armen Nastasja zu. Bis zu seinem Tod (Foma Fomitsch ist im vorigen Jahre gestorben) war er mürrisch, schmollte, brüstete sich, ärgerte sich und räsonierte; aber die Verehrung, die ihm ›die Beglückten‹ erwiesen, verminderte sich nicht, sondern nahm sogar in demselben Maß wie seine Launen von Tag zu Tag zu. Jegor Iljitsch und Nastasja waren miteinander so glücklich, daß sie sogar für ihr Glück fürchteten; sie glaubten, Gott habe ihnen gar zuviel Gutes gesandt und sie hätten eine solche Gnade nicht verdient, und sie meinten daher, es werde ihnen vielleicht in der Folgezeit beschieden sein, ihr Glück durch Kreuz und Leid bezahlen zu müssen. Es ist begreiflich, daß Foma Fomitsch in dieser demütigen Familie alles tun und lassen konnte, was er nur wollte. Und was tat er nicht alles in diesen sieben Jahren! Man kann sich unmöglich eine Vorstellung davon machen, bis zu welchen zügellosen Phantasien seine übersättigte, müßige Seele sich mitunter in der Erfindung der raffiniertesten lukullischen Launen (in geistiger Hinsicht) verstieg. Drei Jahre nach der Hochzeit meines Onkels starb die Großmutter. Der verwaiste Foma geriet in helle Verzweiflung. Selbst jetzt wird im Haus meines Onkels nur mit Entsetzen von seinem damaligen Zustand erzählt. Als das Grab zugeschüttet wurde, wollte er sich durchaus hineinwerfen und schrie, man solle ihn mit zuschütten. Einen ganzen Monat lang gab man ihm weder ein Messer noch eine Gabel in die Hand, und einmal brachen ihm vier Menschen mit Gewalt den Mund auf, um ihm eine Stecknadel herauszunehmen, die er verschlucken wollte. Einer der unbeteiligten Zeugen dieses Kampfes sprach sich dahin aus, Foma Fomitsch habe diese Nadel während des Kampfes tausendmal verschlucken können, es aber trotzdem nicht getan. Aber diese Bemerkung hörten alle mit entschiedener Entrüstung an und beschuldigten denjenigen, der sie gemacht hatte, sogleich der Hartherzigkeit und Unschicklichkeit. Nur Nastasja schwieg und lächelte ein ganz klein wenig, wobei mein Onkel sie mit einiger Unruhe anblickte. Überhaupt muß bemerkt werden, daß Foma zwar im Haus des Onkels wie früher sich sehr aufspielte und seine Launen herauskehrte, daß aber die früheren despotischen, frechen Strafpredigten, die er sich meinem Onkel gegenüber erlaubt hatte, nicht mehr vorkamen. Foma beklagte sich, weinte, machte Vorwürfe und schalt; aber er schimpfte nicht mehr wie früher; es gab nicht mehr solche Szenen wie anläßlich des Titels Exzellenz, und ich glaube, daß dies Nastasjas Werk war. Sie zwang Foma fast unmerklich, hier und da nachzugeben und in dieses und jenes sich zu fügen. Sie wollte ihren Mann nicht erniedrigt sehen, und sie setzte ihren Willen durch. Foma sah deutlich, daß sie ihn fast ganz durchschaute. Ich sage ›fast‹, weil auch Nastasja Foma verhätschelte und sogar jedesmal ihrem Mann zustimmte, wenn er seinen Weisen enthusiastisch lobte. Sie wollte die andern zwingen, ihren Mann in jeder Hinsicht hochzuachten, und verteidigte daher auch seine Anhänglichkeit an Foma Fomitsch öffentlich. Aber ich bin davon überzeugt, daß ihr goldenes Herz alle früheren Beleidigungen vergessen hatte: Sie hätte Foma alles verziehen, als er sie mit dem Onkel vereinigt hatte, und war außerdem, wie es scheint, ernsthaft und mit ganzem Herzen auf die Idee des Onkels eingegangen, daß man von einem ›Dulder‹ und früheren Spaßmacher nicht viel verlangen dürfe, sondern im Gegenteil versuchen müsse, sein Herz zu heilen. Die arme Nastasja hatte selbst zu den Erniedrigten gehört, hatte selbst viel gelitten und bewahrte das in ihrem Gedächtnis. Nach einem Monat wurde Foma stiller; ja er wurde sogar freundlich und sanft; aber dafür begannen andere, ganz überraschende Anfälle: Er verfiel in eine Art von magnetischem Schlaf, der alle aufs äußerste erschreckte. Der Dulder hatte zum Beispiel irgend etwas gesagt oder gelacht, wurde aber dann in einem Augenblick zu Stein, und zwar in ebenderselben Haltung, in der er sich im letzten Augenblick vor dem Anfall befunden hatte; wenn er zum Beispiel gelacht hatte, so verblieb das Lächeln auf seinen Lippen; wenn er etwas in der Hand gehalten hatte, zum Beispiel eine Gabel, so blieb die Gabel in der erhobenen Hand, in der Luft. Dann sank seine Hand selbstverständlich herab; aber Foma Fomitsch fühlte nichts mehr und hatte keine Erinnerung daran, wie sie herabgesunken war. Er saß da, starrte vor sich hin, blinzelte sogar mit den Augen, sprach aber nichts, hörte nichts und verstand nichts. Dieser Zustand dauerte manchmal eine ganze Stunde. Natürlich waren alle im Haus halbtot vor Angst, hielten den Atem an, gingen auf den Fußspitzen und weinten. Endlich wachte Foma wieder auf; er fühlte dann eine furchtbare Mattigkeit und versicherte, er habe während dieser ganzen Zeit nicht das geringste gehört und gesehen. Es war erstaunlich, daß sich dieser Mensch dazu hergab, solche Faxen zu machen und stundenlang freiwillig Qualen zu erdulden, einzig und allein, um dann sagen zu können: »Seht mich an; ich habe auch ein höheres Gefühlsleben als ihr!« Schließlich verfluchte Foma Fomitsch einmal den Onkel ›wegen seiner allstündlichen Beleidigungen und Respektsverletzungen‹ und zog zu Herrn Bachtschejew, um nun bei diesem zu wohnen. Stepan Alexejewitsch, der nach der Hochzeit des Onkels sich noch oftmals mit Foma Fomitsch gezankt, ihn aber immer schließlich selbst um Verzeihung gebeten hatte, ging diesmal mit ungewöhnlichem Eifer ans Werk: Er empfing Foma enthusiastisch, fütterte ihn bis zum Platzen und beschloß sofort, formell mit dem Onkel zu brechen und sogar eine Klage gegen ihn einzureichen. Sie hatten da irgendwo ein strittiges Stückchen Land, um das sie übrigens niemals eigentlich gestritten hatten, da mein Onkel es Herrn Bachtschejew ohne jeden Streit vollständig überlassen hatte. Ohne jemandem ein Wort zu sagen, ließ Herr Bachtschejew seine Kutsche anspannen, jagte in die Stadt, sudelte dort eine Klageschrift hin und reichte sie ein; er bat darin das Gericht, ihm das betreffende Stück Land in förmlicher Weise zuzusprechen, unter Ersatz der Gerichtskosten und sonstiger Einbußen, und auf diese Weise die Räuberei und Eigenmächtigkeit zu bestrafen. Unterdessen war es Foma gleich am zweiten Tag bei Herrn Bachtschejew langweilig geworden; daher verzieh er dem Onkel, der ihm nachgefahren kam und seine Schuld eingestand, huldvoll und kehrte mit ihm wieder nach Stepantschikowo zurück. Herrn Bachtschejews Zorn, als er aus der Stadt zurückkehrte und Foma nicht mehr vorfand, war furchtbar; aber drei Tage darauf erschien er in Stepantschikowo, bekannte sein Vergehen, bat meinen Onkel unter Tränen um Verzeihung und zog seine Klage zurück. Der Onkel versöhnte ihn gleich am selben Tag mit Foma Fomitsch, und Stepan Alexejewitsch lief wieder wie ein Hündchen hinter Foma her und sagte wie früher nach jedem Wort desselben: »Sie sind ein kluger Mensch, Foma! Sie sind ein gelehrter Mann, Foma!«