»So sieht es aus.«
»Und ihn dann selbst zur Rechenschaft zu ziehen?«
Hawkwood antwortete nicht.
»Und wir sollen ihm helfen?«, bohrte Jago weiter.
»Du hättest nicht mitzukommen brauchen«, sagte Hawkwood.
»Natürlich musste ich mitkommen! Herrgott nochmal, wenn du schon diese irrsinnigen Einfälle hast, muss doch einer auf dich aufpassen!«
»Und das bist du?«
»Ja, das bin ich! Immer bin ich’s, verdammt nochmal! Und wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, du hast im Laufe der Zeit schon ziemlich viele verrückte Ideen gehabt, aber das hier ist wohl nicht mehr zu überbieten. Du bist entschlossen, dich in dieses zweifelhafte Abenteuer zu stürzen, bloß damit du einem verfluchten Schmuggler das Handwerk legen kannst?«
»Das Gold ist sowieso weg. Aber so kann ich wenigstens dafür sorgen, dass Morgan nichts davon hat.«
»Und wie steht’s mit der Möglichkeit, es Lasseurs Klauen wieder zu entreißen?«
»Wir zwei allein?«, sagte Hawkwood trocken. »Da hab ich meine Zweifel.«
»Zumindest sollte man mal drüber nachdenken. Also kriegen Lasseur und sein Kaiser zwölf Millionen Francs, und du kriegst einen verdammten Mistkerl von Mörder und Schmuggler?«
»Manche würden das für einen guten Tausch halten.«
»Aber nur, wenn sie nicht ganz dicht sind. Und hast du überhaupt schon drüber nachgedacht, wie wir wieder nach Hause kommen?«
»Lasseur wird dafür sorgen, dass wir zurückkommen.«
»Du hast verdammt viel Vertrauen zu dem Mann.«
»Ich sagte dir doch, er hat Angst, dass er das Geld verliert, was ich ihm schulde.«
Jago schüttelte verzweifelt den Kopf. »Du kannst deine Späße machen, aber wenn Lasseur etwas passiert und wir landen in Verdun oder einem dieser anderen Froschfresser-Gefängnisse, dann sitzen wir wirklich in der Scheiße.«
»Hast du Micah deshalb nach Hause geschickt?«
»Ich wollte, dass dort drüben jemand weiß, wo wir sind.«
»Willst du damit sagen, er würde uns suchen, wenn er von uns nichts hört?«
»Wenn er von mir nichts hört, kommt er.« Jago verstummte, schließlich sagte er: »Mein Gott, ist das eine verrückte Situation. Du musst es wirklich auf diesen Bastard abgesehen haben.«
»Habe ich auch«, sagte Hawkwood. »Aber es hat keine geschäftlichen Gründe. Bei Morgan geht es um persönliche Dinge.«
Es klopfte, dann trat ein Seemann mit einem Tablett ein, mit Brot, kaltem Braten, zwei Bechern, einer Kanne Kaffee und einer Flasche Brandy.
»Avec des compliments de Capitaine Lasseur, messieurs.«
Er stellte das Tablett auf den Tisch und verschwand.
Jago schenkte sich Kaffee ein und versah jeden Becher mit einem großzügigen Schuss Brandy, ehe er Hawkwood einen davon über den Tisch schob. »Hier, trink mal.«
Hawkwood nahm einen Schluck. Der Kaffee war kochend heiß. Er wartete, bis sich seine Kehle wieder beruhigt hatte, dann sagte er: »Erzähle mir, was du über Cephus Pepper weißt.«
Jago verzog das Gesicht. »Er ist Morgans rechte Hand, aber das weißt du bereits. Ich habe gehört, er war Erster Steuermann auf einem Sklavenschiff, das Sklaven zu den Westindischen Inseln brachte. Kam einer britischen Fregatte vor Havanna in die Quere, das war so um’02, glaube ich. Verlor den Arm bei dem Gemetzel auf Deck. Man sagt, er entwischte, indem er über Bord sprang. Kein Mann, den man zum Feind haben sollte, wie du schon gemerkt hast.«
»Wie lange ist er schon mit Morgan zusammen?«
»Etwa acht Jahre. Nimmst du an, dass er heute Nacht mit Morgan zusammen war?«
»Worauf du dich verlassen kannst. Morgan kennst du doch, oder?«
»Wir sind uns nie begegnet, aber ich glaube, ich weiß genug über ihn, dass ich ihn nicht aus den Augen lassen würde. Er erzählt gern, dass er von Henry Morgan abstammt, dem berühmten walisischen Freibeuter, aber das glaube ich nicht. Soweit ich weiß, ist er ein Bauernsohn aus der Gegend von Ruckinge. Die Familie war jahrelang im Geschäft. Morgans Vater gehörte zur Bande von Callis Court. Morgan lief schon als Junge von der Farm weg. Es gibt ein Gerücht, dass er zur See ging, um dem Gesetz zu entkommen, aber vielleicht ist das auch bloß so eine Geschichte, die er selbst in die Welt gesetzt hat. Genau wie die, dass er angeblich Bootsmann auf der Britannia war; obwohl das die Erklärung dafür sein könnte, wie gut er immer alles organisiert und dass viele seiner Leute aus der Navy kommen. Vielleicht sind er und Pepper auch deshalb ein so gutes Team. Er kam zurück, machte weiter, als sein Alter starb, und hat das Geschäft aufgebaut. Nee, der hat kein walisisches Blut in den Adern, es sei denn, man rechnet die Tatsache dazu, dass man seinen Urgroßvater dabei erwischt hat, wie er’s mit’nem Schaf trieb. Hat er dir davon erzählt?«
»Er muss vergessen haben, das zu erwähnen«, sagte Hawkwood. »Hast du seine Dienste schon mal in Anspruch genommen?«
»Sprichst du von meinen Geschäftsinteressen?«
Hawkwood grinste.
Jago zuckte die Schultern. »Schon möglich, vielleicht indirekt, bei dem Einfluss, den er hat. In meiner Branche kann man nicht immer genau wissen, wo die Ware herkommt. Hauptsächlich habe ich aber mit den Geschäftleuten in Sussex zu tun.«
»Darüber will ich lieber nicht so viel wissen«, sagte Hawkwood.
»Ist auch besser so.«
»Und Garvey, arbeitet der für Morgan?«
»Du bist offenbar gar nicht so dumm, wie du aussiehst.« Jago nahm einen Schluck aus seiner Tasse und schmatzte genießerisch.
»Vertreter in dieser Gegend?«, sagte Hawkwood. »Das kannst du erzählen, wem du willst! Er kennt Pepper, er erkannte die Leichen in der Scheune, und er kannte sich offenbar bestens in der Gegend aus. Dazu braucht man kein Genie zu sein.«
Hawkwood lehnte sich an das Schott zurück. Aus irgendeinem Grund fühlten sich seine Glieder plötzlich schwer wie Blei an. Er hatte den überwältigenden Wunsch, die Augen zu schließen. Doch er durfte nicht einschlafen, denn das wäre gefährlich. Wenn er einnickte, würde er womöglich nie wieder aufwachen. Er versuchte, gegen seine Müdigkeit anzukämpfen.
»Also gut«, sagte Jago. »Aber es macht nichts. Er ist einer von Morgans Laufburschen. Er trägt Informationen über neue Ladungen weiter und solche Sachen. Morgan setzt Garvey auch ein, wenn Leute bezahlt werden müssen, dadurch weiß er natürlich, wo ein paar seiner Knochen vergraben sind. Wir sehen uns ab und zu, immer wenn ich in meine alte Heimat komme, nehme ich Kontakt mit ihm auf. Ist auch ganz gut so.«
Er schwieg, nahm einen Schluck Kaffee und sah hinüber zu Hawkwood. Dem fielen die Augen zu. Die Tasse war dabei, ihm aus der Hand zu fallen.
Jago seufzte. Er stellte seine Tasse hin und streckte den Arm aus, gerade noch rechtzeitig, um die fallende Tasse zu retten. »Wird auch Zeit«, murmelte er. Er stellte die Tasse auf den Tisch, nahm die Decke von der Koje und breitete sie über Hawkwood aus, der bereits fest schlief. Er sah hinunter auf das zernarbte, unrasierte Gesicht und runzelte die Stirn beim Anblick der frischen Verletzungen und dem Zustand von Hawkwoods Kleidern. Er schüttelte den Kopf und ging wieder auf seinen Platz. »Manche Leute haben einfach keine Kondition«, sagte er leise zu sich selbst.
Hawkwood fuhr aus dem Schlaf hoch, als er eine Hand auf dem Arm spürte. Er musste einen Augenblick nachdenken, wo er war. Dann hörte er das Ächzen und Knarren und den Ruf eines Seemanns irgendwo oben auf Deck, und sein Gehirn sprang wieder an. Er sah hoch und blickte in Jagos zerfurchtes Gesicht, das sich über ihn beugte. Schnell setzte er sich auf, wobei er sich beinahe eine Beule an einem niedrigen Balken über dem Bett geholt hätte.
»Der Captain sagt, wir sollen an Deck kommen. Auf Starbord am Bug soll ein Segel sein, was immer das heißen mag.«
Hawkwood stand auf und verlor fast das Gleichgewicht, denn das Schiff schwankte jetzt stark. Er fluchte, hielt sich an der Tischkante fest und merkte, wie sich sein Magen umdrehte.