Der Tritt warf Morgan fast um, er taumelte nach hinten. Er prallte rückwärts mit den Beinen auf den Rand des Schanzkleides. Der Schwung besorgte den Rest, er flog über Bord. Er landete im Wasser, immer noch mit demselben ungläubigen Gesichtsausdruck. Er versuchte, Atem zu holen, aber das Wasser schloss sich über ihm und sein mit Gold beschwerter Körper sank in die Tiefe.
Es war schnell vorüber. Von Morgan war keine Spur mehr vorhanden.
Hawkwood trat zurück.
»Also, jetzt kann ich wieder aufatmen«, sagte Jago. »Ich hatte mir wirklich schon Sorgen gemacht. Ich dachte, du bist verrückt geworden.«
Auch hinten klatschte es immer wieder im Wasser auf. Unter der Aufsicht von Leutnant Delon und seiner Mannschaft warfen Morgans übrig gebliebene Männer die Leichen ihrer toten Kameraden über Bord.
»Ich glaube, wir können gehen«, sagte Lasseur, indem er sich umdrehte und seinen Säbel einsteckte. Er rief seinen Leutnant.
»Wenn die Toten alle weggeräumt sind, schließ die anderen unten ein. Bringe unsere Männer auf die Scorpion zurück; auch die Verletzten. Behalte ein paar Leute hier, um das Deck aufzuräumen, dann setze ein Segel. Wir begleiten sie hinein. Als Schiff kann man mit ihr zwar keinen großen Staat mehr machen, aber ihre Ladung ist ein Vermögen wert.« Lasseur sah Hawkwood an und grinste.
Hawkwood sagte: »Da wirst du dich beeilen müssen.«
Dabei sah er Lasseur nicht an. Er sah über den Bug. Im selben Augenblick rief Lasseurs Leutnant: »Segel im Nordosten!«
»Britische Fregatte«, sagte Hawkwood. »Aber das ist nur eine Vermutung. Vielleicht ist sie auf Blockade-Patrouille. Sie ist verdammt nahe. An deiner Stelle würde ich mal durchs Rohr gucken.«
Lasseur ging an die Reling.
Die Fregatte kam schnell näher. Sie war der französischen Küste näher als die Scorpion. Sie hatte die Rahe gebrasst und alle Segel gesetzt und segelte dicht am Wind. Lasseur sah sogar schon den Schaum vor ihrem Bug.
»Rette dich oder das Gold«, sagte Hawkwood. »Glaube nicht, dass du Zeit für beides hast. Wenn sie dich kriegen, dann bist du ganz sicher im schwarzen Loch. Und diesmal werden sie vielleicht den Schlüssel wegwerfen, nach dem Chaos, das du hinterlassen hast. Ein interessantes Dilemma.«
»Wirklich’ne beschissene Lage«, sagte Jago.
Lasseur starrte das Kriegsschiff an, das immer näher kam.
Er drehte sich um und sah die Trümmer, die über das Deck des Kutters verstreut lagen, die Leichen, die immer noch über Bord geworfen wurden, sein eigenes Schiff und die Erschöpfung auf den Gesichtern seiner Leute, die ein weiteres Gefecht nicht überstehen würden.
Er kaute an der Unterlippe und fasste einen Entschluss.
»Merde«, sagte er.
Epilog
»Eine schöne Nacht«, sagte Jago.
Hawkwood konnte nicht widersprechen. Der Himmel war wolkenlos und mit Tausenden von Sternen übersät, im blauschwarzen Wasser spiegelte sich das Mondlicht. Man hörte nichts als das leise Plätschern der Wellen, die an den Strand rollten, und das gleichmäßige Knarren von Rudern. Es waren Geräusche, an die Hawkwood sich gewöhnt hatte.
Aber er hatte jetzt wirklich genug von mitternächtlichen Verabredungen an mondhellen Stränden. Es reichte ihm für den Rest seines Lebens - und darüber hinaus.
Aber vielleicht war es diesmal doch etwas anderes.
Die beiden Männer gingen hinunter zum Wasser, ihre Stiefel knirschten auf dem Kies. Sie warteten, bis das schwarze Ruderboot näher kam und traten in letzter Minute zur Seite, als der Bug aus der Dunkelheit auftauchte und am Strand aufsetzte.
Lasseur sprang an Land.
Er lachte und streckte die Hand aus. »Captain.«
Er schüttelte Jago die Hand. »Ich freue mich, dass ihr beide sicher wieder gelandet seid. Und ich hoffe, ihr habt mir meine überstürzte Abreise verziehen.«
»Ging nicht anders«, sagte Hawkwood lakonisch. »Die Geschäfte verlangten es eben.«
»So ist es. Ich hoffe, die Behörden haben auf angemessene Weise ihren Dank ausgedrückt?«
»Das wäre ja noch schöner«, sagte Jago.
»Keine Belohnung?«
»Nur der Dank des Vaterlandes«, sagte Hawkwood. »Ansonsten glaube ich, dass die Sache für dich vorteilhafter war als für uns.«
Lasseur grinste.
»Ich hoffe, ihr habt Pepper zu einem ordentlichen Begräbnis verholfen«, sagte Hawkwood, während sie vom Boot den Strand hinaufgingen, wo sich eine graue Felswand erhob und eine Reihe hoher Klippen sich bis in die Ferne erstreckte.
Lasseur nickte. »In Segeltuch gewickelt und mit einer Sechspfünder an den Füßen.«
»Mehr als der Bastard verdient hat«, murmelte Jago. »Na ja, jetzt hat Morgan wenigstens Gesellschaft.«
»Ich vermute, er trug seine Weste nicht mehr?«, sagte Hawkwood.
Lasseur schüttelte den Kopf. »Im Gegenteil, er durfte sie behalten. Ohne Inhalt natürlich.«
»Verwende es klug«, sagte Hawkwood. »Es sieht aus, als müsstest du eine ganze Weile damit auskommen. Wie ich höre, sind die Lieferungen erstmal ausgesetzt.«
Lasseur hatte ihnen das Gold auf dem Schiff überlassen. Das britische Kriegsschiff war schon zu nahe und hatte eine zu hohe Geschwindigkeit, als dass die Mannschaft der Scorpion noch eine Chance gehabt hätte, die beschädigte Sea Witch in einen sicheren Hafen zu geleiten oder die Ladung zu löschen, ohne dass man sie verhaftet hätte. Angesichts der Geschwindigkeit der Fregatte und der unmittelbaren Nähe ihrer Achtzehnpfünder hätte selbst Lasseurs Berbertakelage nichts ausrichten können.
Die Mannschaft der Scorpion hatte es der Fregatte überlassen, den beschädigten Kutter und den Rest ihrer Mannschaft zu bergen, zusammen mit den beiden Männern, die noch auf dem blutgetränkten Deck standen. Die Scorpion hatte ihre Segel gesetzt und war in den nächsten Hafen geflohen.
Als der Kapitän der Fregatte seinen Zweiten Leutnant hinüberschickte, um den manövrierunfähigen Kutter zu inspizieren, ahnte er nicht, was sein Offizier in den Laderäumen des Schiffes entdecken würde. Er musste zugeben, es war die größte Beute seiner Laufbahn. Obwohl Beute eigentlich nicht der richtige Ausdruck für das Gold war, das der Armee ohnehin gehörte.
Sie bekamen alles wieder, bis auf die Goldbarren, die Morgan und Pepper an Land schmuggeln wollten. Doch das Wiederfinden des Goldes hatte, wie Hawkwood hörte, am Schicksal des Leutnants Burden nichts geändert, dem jetzt der wenig verlockende Posten im Materialhof von Fort Amhurst winkte.
»Ob die anderen alle aufgehängt werden?«, fragte Lasseur, womit er die Mannschaft des Kutters meinte.
»Sie kommen in zwei Wochen in Maidstone vor Gericht. Morgan ist nicht mehr da, und sein Anwalt wird sie auch nicht mehr herauspauken können. Also wird es wohl auf ein Rendezvous mit dem Henker oder bestenfalls Deportation hinauslaufen.«
»Also fängt Morgans Organisation an, sich aufzulösen. Schlagt dem Tier den Kopf ab, und der Rest verkümmert?«
»Das würde ich nicht sagen. Man hat noch mehr Leute festgenommen, darunter die Köchin des Admirals - sie hat Morgan über den Grundriss des Hauses und seine Angestellten informiert. Aber dieses Gewerbe ist wie eine Spinne: Kaum hat man ein Netz zerstört, schon ist sie da und baut genau so schnell ein neues. Irgendjemand wird Morgans Platz schon wieder einnehmen.«
»Der König ist tot, lang lebe der König?«
»Ja, so ähnlich«, sagte Hawkwood.
Ein leiser Pfiff kam aus der Dunkelheit.
Die Männer drehten sich um. Ein kleiner Pferdewagen tauchte auf. Er hielt an und Jethro Garvey sprang herunter. »Tut mir leid, dass wir etwas später kommen«, sagte er. Er ging nach hinten und hob eine Reisetasche herunter.
Lasseur half Jess Flynn vom Wagen. Er nahm ihre Hand, und ohne ein Wort hielt er sie an die Lippen, dann an seine Wange.