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»Es ist das Beste, sich zu beschäftigen«, unterbrach Murat Hawkwoods Gedanken. »Sonst dreht man durch. Viele sind hier schon verrückt geworden.« Der Leutnant deutete mit dem Finger. »Bitte schön, meine Herren. Willkommen im neuen Heim.«

Verglichen mit dem Platz, den sie gerade verlassen hatten, war dies der Gipfel des Luxus. Hawkwood fragte sich, wie Murat es wohl fertiggebracht hatte, die früheren Besitzer zu veranlassen, diese Plätze aufzugeben. Es schien unmöglich, dass dies jemand freiwillig tun würde. Vielleicht waren die anderen auch tot.

Sie waren es nicht, wie Murat ihnen versicherte. »Es ist nur so, dass ihnen etwas zu essen wichtiger ist als die Aussicht. Es würde Ihnen genauso gehen, wenn Sie eine Woche nichts Vernünftiges zu essen gehabt hätten«, sagte Murat, indem er das Geld einsteckte. »Das werden Sie noch früh genug lernen. An Ihrer Stelle würde ich gut auf meinen Geldbeutel aufpassen. Geben Sie nichts für Firlefanz aus. Der Preis, den sie gerade für Ihren Schlafplatz bezahlt haben, reicht für drei Wochen Verpflegung. Nicht dass man hier etwas bekäme, das man essen wollte. Hier gibt es Leute, die halten den Tod durch das Fieber für eine barmherzige Erlösung. Übrigens, wenn Sie sich etwas verdienen wollen, dann können Sie auch Ihren Platz auf der Bank vermieten.«

»Wusste ich doch, dass man sich auf Sie verlassen kann«, sagte Lasseur. »Ich hatte gleich dieses Gefühl im Bauch.«

Der Dolmetscher erlaubte sich ein kleines Lächeln. Er hatte ebenmäßige Zähne, aber in der Dunkelheit hatten sie die Farbe von feuchtem Pergament. »Vielen Dank, Captain. Und gestatten Sie mir die Bemerkung, dass mir das Geschäft mit Ihnen ein Vergnügen war.«

Murat drehte sich um. »Und mit Ihnen ebenso, Captain Hooper. Es ist mir eine Freude, hier auf einen Amerikaner zu treffen. Ich habe Ihr Land schon immer bewundert. Also, wenn Sie sonst noch etwas brauchen, zögern Sie nicht. Sie werden bald merken, ich bin Ihr Geschäftspartner. Wenn Sie etwas kaufen möchten, kommen Sie zu Murat. Haben Sie etwas zu verkaufen, kommen Sie ebenfalls zu Murat. Sie werden sehen, meine Geschäftsbedingungen sind günstig.«

»Sie machen der freien Marktwirtschaft alle Ehre, Leutnant«, sagte Lasseur.

Murat grinste verschwörerisch. »Sie werden gut hier reinpassen, Captain.« Der Dolmetscher salutierte scherzhaft. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, meine Herren.« Damit machte er kehrt und verschwand. Um Geld auszuzahlen, dachte Hawkwood, abzüglich seiner Provision natürlich.

»Ich bin überzeugt, er hat uns gerade das Fell über die Ohren gezogen«, sagte Lasseur aufgeräumt, dann zuckte er die Schultern. »Aber er hat es gut gemacht. Ich sehe, wir werden Leutnant Murat im Auge behalten müssen. Hatten Sie jemals etwas mit seinem Vetter zu tun?«

Hawkwood schüttelte den Kopf und sagte trocken: »Werde ich wahrscheinlich auch nicht, denn ich bin Amerikaner und er der König von Neapel.«

»Ach, das vergesse ich immer, Ihr Französisch ist so gut. Aber Murats Vetter hat doch in Spanien gekämpft.«

»Ich weiß«, sagte Hawkwood. »Und Ihre Truppen sind seitdem damit beschäftigt, den verdammten Schlamassel wieder in Ordnung zu bringen.«

Lasseur schien diese Antwort zu überraschen. Dann nickte er verständnisvoll. »Ah, ja, der Aufstand.«

Das hatte sich’08 ereignet. Als Antwort auf Bonapartes Entführung der spanischen Königsfamilie, mit der er Spanien erpressen wollte, ein Satellit Frankreichs zu werden, hatten die Spanier die französische Garnison in Madrid überfallen. Die Rache der Truppen unter dem Kommando des schillernden Joachim Murat war schnell und brutal gewesen und hatte landesweit zu Aufständen gegen die Besatzer geführt, die mit Unterstützung der Briten immer noch andauerten.

Lasseur seufzte. »Könige und Generäle haben viel zu verantworten.«

»Kaiser und Präsidenten ebenfalls«, sagte Hawkwood.

Lasseur lachte leise.

Der Junge ging zur Geschützöffnung und sah durch das Gitter, Hawkwood trat hinter ihn. Über die Schulter des Jungen hinweg sah er Schiffe, die vor Anker lagen, dahinter die flache, konturlose Küstenlinie und in der Entfernung einige unbekannte Gebäude mit graublauen Dächern. Er hörte den gleichmäßigen Tritt von Stiefeln auf Metall. Den Steg draußen hatte er völlig vergessen. Er führte direkt vor der Geschützöffnung vorbei. Er wartete, bis der Schatten der Wache sich entfernt hatte, dann packte er das Gitter und versuchte daran zu rütteln. Es bewegte sich nicht. Die Stäbe waren zwei Zoll breit und saßen bombenfest.

»Also, ich glaube nicht, dass wir uns den Weg in die Freiheit sägen können«, sagte Lasseur und fuhr prüfend mit der Hand über die Stäbe.

»Sie wollen flüchten?«, fragte Hawkwood.

»Was meinen Sie denn, warum ich niemals Urlaub auf Ehrenwort beantrage?«, erwiderte Lasseur. »Sie nehmen doch nicht an, dass ich wortbrüchig werden wollte, oder?« Der Franzose grinste, und einen Augenblick lang sah man wieder den Mann, der in der Gefängniszelle von Maidstone nach einer Möglichkeit gesucht hatte, seine Zigarre anzuzünden. Prüfend sah er Hawkwood an.

»Ich denke noch immer über meine Optionen nach«, sagte Hawkwood.

Lasseur lachte leise.

Die Ironie war, dass Lasseur für einen Hafturlaub ohnehin nicht berücksichtigt worden wäre, selbst wenn er wegen seiner früheren Ausbruchsversuche nicht bereits als potenzieller Flüchtling bekannt gewesen wäre.

Es waren äußerst strenge Gesetze, nach denen Urlaub auf Ehrenwort erteilt wurde, der einen Offizier berechtigte, außerhalb des Gefängnisses zu wohnen, zu dem er gehörte. Dazu gehörte, dass man über eine Unterkunft in der betreffenden Stadt verfügte, was ein Zimmer bei einer einheimischen Familie sein konnte, oder, wenn man über die entsprechenden Mittel verfügte, in einem Gasthof oder einer Pension. Im Gegenzug gab der Offizier sein Ehrenwort, dass er seine Ausgangssperre beachten, innerhalb der Stadtgrenzen bleiben und keinen Fluchtversuch unternehmen würde. Die Strafe für eine Übertretung war die sofortige Rückkehr in eine Gefängniszelle.

Für Leute wie Lasseur waren die Auflagen noch strenger. Für den Offizier eines Kaperschiffes hing der Hafturlaub von der Größe des Schiffes ab, auf dem er gefangen genommen wurde. Wenn das Schiff weniger als 80 Tonnen und weniger als vierzehn Kanonen mit einem Kaliber von mindestens vier Pfund an Bord hatte, wäre er kein Kandidat für Urlaub auf Ehrenwort. Das Schiff, das Lasseur kommandierte, hatte 125 Tonnen und war mit Kanonen vom Kaliber sechs Pfund bestückt, aber leider war er nicht auf seinem eigenen Schiff gefangen genommen worden.

Lasseurs eigenes Schiff, die Scorpion, war ein Segelschoner mit zehn Geschützen, und seine Augen leuchteten, wenn er von ihr sprach.

»Sie ist vielleicht nicht das größte Schiff auf See, aber sie ist schnell wie der Wind, ihr Stachel ist tödlich und sie gehört mir allein.« Lasseur lächelte wehmütig. »Und wenn ich sie jetzt unter mir hätte, würden wir uns hier nicht unterhalten.«

Die Scorpion lag im Dock von Dünkirchen zur Reparatur, nachdem sie mit einem fünftklassigen britischen Schiff, das auf Blockadekontrolle war, eine Meinungsverschiedenheit gehabt hatte. Dieses eine Mal war die Scorpion als Ziel der britischen Kanoniere nicht schnell genug gewesen, aber mithilfe einer günstigen Nebelbank war es ihr gelungen, den Verfolgern zu entkommen und den Heimathafen zu erreichen. Während er auf die Reparatur wartete, hatte Lasseur sich überreden lassen, entlang der nordfranzösischen Küste Depeschen zu transportieren. Sein Transportmittel war eine zweimastige Caique gewesen, oder - wie Lasseur sich ausdrückte - ein schwimmendes Stück Exkrement, und war der britischen Schlupp, die aus dem Nichts aufgetaucht war, nicht gewachsen gewesen. Mit einer Salve aus ihren Zwölfpfündern hatten sie den Großmast und das Ruder der Caique zu Kleinholz zerlegt und die Besatzung samt ihrem temporären Captain gefangen genommen. Lasseur hatte gesagt, er wisse nicht, was ihm peinlicher sei: seine Gefangennahme oder der Spott, den er von der Besatzung der Scorpion zu erwarten hatte, wenn er wieder mit ihr vereint sein würde: »Sie werden mir das Leben zur Hölle machen.«