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Langsam senkte sich der Schlaf über die Insassen des Hulks, und die menschlichen Geräusche wurden leiser. Doch in der Dunkelheit drückte auch das Schiff selbst seine Unzufriedenheit aus. Der Schiffsrumpf hallte wider von einer ununterbrochenen Kakophonie, die vom Ächzen und Stöhnen der alten Schiffsbalken kam. Es schien, als wolle die Rapacious ihren Unmut über die Gefangenen kundtun, die man in ihrem Rumpf eingesperrt hatte. Der Gezeitenwechsel mit dem Geräusch der Wellen, die an ihre Seiten schwappten, schien tausendmal verstärkt, genau wie das hypnotische Klopfen der Taue und Leinen, die gegen ihre gekürzten Masten und Rahen schlugen.

Zum Glück hatte man die Geschützöffnungen offen gelassen, denn sie waren die einzige Belüftung. Doch selbst so war es noch unerträglich warm. Das Knirschen der Hängemattenringe an den Haken war eine ständige Begleitmusik zu dem ruhelosen Hin- und Herwälzen der Männer, die in der Hitze vergeblich nach einer bequemen Lage suchten.

Doch selbst wenn es im Schiffsrumpf still gewesen wäre, der rhythmische Schritt der Wachen auf dem Metallgitter draußen, zusammen mit ihren halbstündigen Rufen, dass alles in Ordnung sei, erinnerten ständig daran, dass der Wille des Einzelnen an Bord, sei es Häftling oder Wache, nichts mehr zählte.

Er hörte ein leises Schniefen neben sich. Es war der Junge. Er lag auf dem Rücken und hatte seine Decke auf die Waden hinuntergeschoben. Sein rechter Arm lag über seinem Gesicht, als wolle er einen Schlag abwehren. Während Hawkwood ihn ansah, drehte der Junge den Kopf, wodurch sein rechtes Auge und sein Kinn sichtbar wurden.

In diesem Augenblick gellte ein Schrei durch die Dunkelheit. Er dauerte zwei oder drei Sekunden, dann verstummte er abrupt. Hawkwood wusste, dass er nicht vom Geschützdeck kam, sondern von irgendwo tief im Inneren des Schiffes. Weder die Wachen draußen noch die Schlafenden in den umliegenden Hängematten reagierten, bis auf einen: der Junge erschrak. Das fahle Mondlicht, das durch die offene Schießscharte fiel, beleuchtete seine blasse Wange, auf der die Haut über dem Knochen spannte. Das Auge des Jungen wirkte in der Dunkelheit wie eine weiße Murmel. Einige Sekunden lang starrte er Hawkwood an, Entsetzen im Gesicht. Dann verkrampften sich seine Halsmuskeln, und er drehte sich weg. Er zog sich die Decke über den Kopf, und der Blickkontakt war verloren.

Der Schrei wiederholte sich nicht. Ein kleiner, rundlicher Schatten erschien am Gitter. Auf dem Rand der Fensteröffnung saß eine Ratte und putzte sich. Als merkte sie, dass sie beobachtet wurde, hielt sie plötzlich inne, hob den Kopf, und mit einer raschen Bewegung, die das Fell kurz im Mondlicht aufglänzen ließ, und einer blitzschnellen Bewegung des Schwanzes war sie weg.

Hawkwood schloss die Augen. Interessant, dachte er, dass die erschrockene Ratte es vorgezogen hatte, das Schiff zu verlassen, statt in seinem Inneren Schutz zu suchen.

Vielleicht war es ein weiteres Omen.

5

Hawkwood stand an der Reling des Vordecks und sah hinunter auf seine neue Umgebung. Die Aussicht war alles andere als erhebend.

Neben den beiden Wohndecks war das Vordeck der einzige weitere Teil des Schiffes, wo Gefangene sich aufhalten durften, der Teil, den der Dolmetscher Murat euphemistisch als den »Park« bezeichnet hatte. Lasseur hatte es sich in den Kopf gesetzt, den Umfang des Parks abzuschreiten. Es dauerte nicht sehr lange. Die Fläche war etwas über fünfzig Fuß lang und vierzig Fuß breit. Es brauchte nicht viele Gefangene, die hier herauf zum Luft schnappen kamen, um das Deck überfüllt wirken zu lassen. Deshalb war auch klar, warum so viele Männer lieber unter Deck blieben. Der Raum hier war so eng, dass sie keine andere Wahl hatten.

Die Schlafquartiere der Häftlinge waren von denen der Besatzung durch Schotten vorn und achtern abgetrennt. Die Wachen der Miliz bewohnten den Bug. Der Commander des Schiffs und der Rest der Mannschaft waren im Heck untergebracht. Auf den ersten Blick schienen die Schotten aus Eisen zu sein, aber bei näherem Hinsehen stellte Hawkwood fest, dass sie aus dicken Planken bestanden, die dicht an dicht mit tausenden von Nägeln mit großen Köpfen beschlagen waren. In diese metallbewährten Wände hatte man in regelmäßigen Abständen Schießscharten gesägt, die es den Wachen auf der anderen Seite der Schotten ermöglichten, bei Aufständen oder sonstigen Störungen auf das Geschützdeck zu schießen. Mit den schmalen Schlitzen erinnerte das Ganze an die Mauer eines mittelalterlichen Wehrturms. Da das Geschützdeck wie ein langes Verlies wirkte, war es nicht schwer, sich im Schiffsrumpf wie in einer düsteren, uneinnehmbaren Festung zu fühlen.

Um sechs Uhr hatten die Wachen die Luken geöffnet, damit die Gefangenen ihr Bettzeug zum Lüften nach oben bringen konnten. Hawkwood war froh gewesen, als er das erste Morgenlicht sah, er hatte sich noch immer nicht an die Ausdünstungen gewöhnt, die von seinen Mitgefangenen ausgingen. Leutnant Murat hatte versichert, es würde nur ein paar Tage dauern, bis man sich daran gewöhnt habe, und was Hawkwood betraf, konnte dieser Moment gar nicht schnell genug kommen. Der Platz an der Geschützöffnung gewährte zwar frische Luft und den Blick aufs Wasser, aber das milderte den Geruch nicht im Geringsten ab. Der ekelerregende Gestank hing schon so viele Jahre in diesem Schiff, dass er in das Holz eingedrungen war wie Maden in einen verfaulenden Leichnam.

Das Frühstück hatte aus einem Becher Wasser und einem Stück trockenen Brot bestanden, das vom gestrigen Abendessen übrig war. Der faustgroße Kanten alten Brotes war durch Eintauchen in das Wasser etwas genießbarer geworden. Doch es war ein schwacher Trost für eine höchst unruhige Nacht, auch wenn Hawkwood den Trick, sich in die Hängematte zu schwingen, noch nicht verlernt hatte. Obwohl ein Soldat es gewohnt war, sich hinzulegen, wann und wo er konnte, bedeutete das noch lange nicht, dass es immer leicht war, einzuschlafen. Die Nacht war ihm endlos vorgekommen. Lasseur, der über das kabbelige braune Wasser blickte, sah ebenso unausgeschlafen aus. Auf Steuerbord lag im äußersten Nordwesten der Isle of Sheppey die Werft von Sheerness; eine lose aneinandergereihte Ansammlung von Lagerhäusern, Baracken und Werkstätten. Darüber erhob sich die Festung; über ihrem wuchtigen, viereckigen Grundriss erhob sich ein grau gedeckter Turm, von dem die königliche Standarte flatterte. Die Festung wachte über den Eingang zur Medway und dominierte die gesamte Umgebung, eine steinerne Warnung für alle, die töricht genug waren, anzugreifen.

Südlich davon, am Rande der Werft, lag die Blue Town. Die Siedlung war die Unterkunft für die Werftarbeiter und hatte ihren Namen von der Farbe ihrer Gebäude, die allesamt mit demselben Blau gestrichen waren, das die Navy benutzte. Die kleinen Häuschen waren fast ausschließlich aus Holzresten gebaut, die bei den Arbeiten auf der Werft abfielen. Sie waren nichts weiter als primitive Hütten, die sich in einem Gewirr enger Gassen aneinanderdrängten. Dennoch waren sie einige Klassen besser als die früheren Unterkünfte am Fluss. Denn ursprünglich hatten die Werftarbeiter in stillgelegten Schiffen gehaust, ähnlich der Rapacious, die man im Fluss liegen ließ, um die Strömung zu verlangsamen und damit zu verhindern, dass zu viel Kies vom Vorland weggeschwemmt wurde. Zwei von ihnen waren noch da, hilflos lagen sie im Schlamm wie angetriebene Wale nach einem Sturm.

Auf der anderen Seite des Flusses, eine Meile nach Backbord, war die Isle of Grain, ein dunkelgrüner Fleck im fahlen Morgenlicht, während hinter der Heckreling, weniger als zwei Meilen südlich, die westliche Mündung des Swale-Kanals lag, der Sheppey vom Festland trennte.

Das Wetter war sehr viel besser geworden. Doch obwohl die Sonne schien, wehte eine steife Brise, die nicht nur den Geruch des Meeres, sondern auch den widerlichen Fäulnisgeruch der Marsch herübertrug, die sich zu beiden Seiten der Flussmündung erstreckte.