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Ein Warnruf kam vom Quarterdeck, wo Leutnant Thynne die Anlieferung der Verpflegung überwachte, von einer kleinen Flotte von Versorgungsbooten angeliefert, die neben dem Schiff festgemacht hatten. Fässer mit Frischwasser wurden an Bord gehievt und ersetzten die leeren, die aus den Ladeluken gehoben wurden. Eines der Fässer war aus der Schlaufe gerutscht. Es war die zweite Lieferung an diesem Tage. Die Brotration war vor weniger als einer Stunde angekommen und bereits zur Küche gebracht worden.

Interessiert sah Lasseur dem Vorgang zu. »Was glauben Sie?«, sagte er.

Hawkwood folgte seinem Blick dorthin, wo das abgerutschte Fass gerade wieder aufgefischt wurde. »Es wäre eng.«

Lasseur grinste.

Hawkwood machte ein skeptisches Gesicht. »Woher wollen Sie wissen, dass die Fässer an Land nicht kontrolliert werden?«

»Und woher wollen Sie wissen, dass man das tut?«

»Weil ich es täte«, sagte Hawkwood. »Es wäre das Erste, was ich mir ansehen würde.«

»Wahrscheinlich haben Sie Recht«, murmelte Lasseur. »Aber immerhin wär’s einen Versuch wert.« Er griff in seine Jacke, zog eine Zigarre heraus und sah sie sehnsüchtig an.

»Die würde ich mir einteilen«, sagte Hawkwood. »Ich habe gehört, Tabak ist hier schwer zu kriegen. Und teuer.«

Lasseur steckte die unangezündete Zigarre zwischen seine Lippen und schloss die Augen. So blieb er ein paar Sekunden stehen, worauf er sie wieder einsteckte und seufzte. »Je eher ich von diesem verdammten Schiff runterkomme, desto besser.«

Es war eine gute Entscheidung gewesen, sich Lasseur anzuschließen. Seit dem Augenblick, wo sie im Gefängnis von Maidstone zusammen in die Zelle geworfen worden waren, hatte der Galgenvogel kein Geheimnis daraus gemacht, dass er fliehen wollte. Der erste Schritt war gewesen, das Vertrauen des Mannes zu gewinnen. James Read hatte Recht gehabt in der Annahme, dass Hawkwoods Geschichte und die Narben in seinem Gesicht ihm sehr helfen würden. Lasseur und die anderen hatten ihn als einen der ihren akzeptiert. Und wo immer Lasseur hingehen würde - Hawkwood beabsichtigte, ihm zu folgen.

Hawkwood musste lächeln. Merkwürdig, dachte er, wie sympathisch Lasseur ihm geworden war in der kurzen Zeit, die sie sich kannten. Darauf war er nicht vorbereitet gewesen, denn er war schließlich ein Feind. Aber passierte das nicht immer, wenn Männer, egal was ihre Vorgeschichte war, in fremder Umgebung aufeinander angewiesen waren? Es erinnerte ihn an seine erste Zeit im Schützencorps.

Als die Colonels Coote Manningham und Stewart ihre Pläne für eine neue Einheit vorgestellt hatten, eine Einheit, die Feuer mit Feuer bekämpfte und den Krieg auf die Franzosen ausdehnen würde, waren die Männer für dieses neue Corps aus anderen Einheiten zusammengezogen worden. Und plötzlich spielte die Vergangenheit keine Rolle mehr, es war egal, ob sie Freiwillige oder Dienstpflichtige waren. Die Loyalität der Männer gehörte dem neuen Regiment, und der Kitt, der sie zusammenhielt, war der Wille, für ihr Land und gegen die Franzosen zu kämpfen.

Auf der Rapacious war es ganz ähnlich. Es spielte keine Rolle, ob man Seemann oder Soldat war, ob man Lehrer oder Kaufmann war oder ein Kaperschiff befehligt hatte. Wichtig war lediglich, dass man einen gemeinsamen Feind hatte. Und im Falle der Männer, die hier in diesem Schiffsrumpf eingesperrt waren - und dazu gehörte Hawkwood -, waren es die Offiziere und die Besatzung des Schiffes Rapacious Seiner Britischen Majestät, die den gemeinsamen Feind verkörperten.

Von Ludd wusste er, dass Rapacious nicht ihr einziger Name war. Während ihrer Jahre als Schlachtschiff hatte die Besatzung ihr als Zeichen ihres Respekts einen Spitznamen gegeben: Rapscallion, in Anerkennung ihrer Rolle gegenüber den Franzosen, denen sie nichts als Ärger gebracht hatte.

Es war zweifelhaft, überlegte Hawkwood, während er sich umsah, ob einer der Seeleute, die damals ihre Segel gesetzt, in ihrer Takelage herumgeklettert waren oder ihre Kanonen ausgefahren hatten, sie jetzt wieder erkennen würde. Was sie als großes, starkes Schiff einst an Schönheit und Stolz besessen haben mochte, war schon lange dahin. Selbst jetzt, wo die Morgensonne auf ihr Quarterdeck schien, wurde sie nicht schöner. Ihr einst so edles Profil war von einem Sammelsurium windschiefer Holzhütten verunstaltet, und sie war hässlich wie ein Londoner Slum.

Wieder riefen sich die Arbeiter auf Deck etwas zu. Die vollen Wasserfässer waren alle an Bord, und das letzte Versorgungsboot fuhr mit den leeren Fässern davon. Einige der vollen Fässer blieben an Deck. Der Inhalt wurde gebraucht, um mittags Suppe zu kochen und um die Trinkwassertanks wieder aufzufüllen. Die Winsch wurde für die nächsten Lieferungen in Position gebracht.

Lasseur wandte sich von der Reling ab. »Kommen Sie mit, mein Freund. Ich brauche etwas Bewegung.«

Durch die Anzahl der Gefangenen, die überall auf dem Deck lagen, war es mehr ein Hindernislauf als ein Spaziergang.

»Was meinen Sie, wie viele Soldaten hier an Bord sind?«, fragte Lasseur. Er sprach leise, während sie sich zwischen den Menschen hindurch ihren Weg bahnten.

»Schwer zu sagen«, antwortete Hawkwood. »Ich würde schätzen, mindestens vierzig.« Er sah nach achtern, wo zwei Mitglieder der Miliz Wache schoben. Ihre Musketen über der Schulter, liefen sie auf dem Quarterdeck auf und ab. Andere Milizionäre waren gleichmäßig über das Schiff verteilt, einschließlich einem auf dem Vordeck, wo sie gerade hergekommen waren. Hawkwood hatte drei auf der Brücke gesehen und einen auf dem Floß, bei jedem Niedergang stand ebenfalls einer. Er vermutete, dass noch weitere bereitstanden, um beim ersten Anzeichen von Unruhe einzuschreiten.

Die beiden Männer verließen die Back und begaben sich nach unten.

»Ich habe gestern Abend gezählt«, sagte Lasseur, als sie die Treppe hinuntergingen. »Auf den Schutzgittern draußen waren sechs, einer war auf dem Floß, und dann hörte ich noch andere bei den Niedergängen.«

»Sie haben nicht viel Zeit verschwendet«, sagte Hawkwood.

Lasseur zuckte die Schultern. »Es war so heiß, ich konnte nicht schlafen. Was sollte ich denn sonst machen? Außerdem habe ich bemerkt, dass Sie sich auch umgesehen haben.«

»Da ist aber auch noch die Mannschaft«, sagte Hawkwood.

»Die hatte ich nicht vergessen. Wie viele, würden Sie sagen?«

Hawkwood schüttelte den Kopf. »Auf einem Schiff von dieser Größe? Das wissen Sie bestimmt besser als ich. Dreißig?«

Lasseur dachte nach und spitzte die Lippen. »So viele nicht. Vielleicht zwanzig.«

»Die werden sich bestimmt auch bewaffnen können«, sagte Hawkwood.

Lasseur nickte. »Zweifellos. Hier gibt’s bestimmt eine Waffenkammer: Pistolen und Musketen, vielleicht auch Entermesser.« Der Privateer verfiel in Schweigen.

Auf dem Geschützdeck angekommen war Hawkwood überrascht von der Anzahl Gefangener, die hier mit ihren Mithäftlingen Geschäfte machen wollten. Bei ihrer Suche nach Käufern und Verkäufern konnten sie so hartnäckig sein wie die Händler, denen er unter den Laubengängen von Covent Garden oder dem Haymarket begegnet war. Nicht wenige Männer waren bereit, ihre persönlichen Besitztümer zu verkaufen, und ihr erbärmlicher Zustand ließ ahnen, warum sie das taten. Hawkwood, der diesen Handel beobachtete, wusste nicht, was deprimierender war: die Tatsache, dass diese Männer so bettelarm waren oder die mitleiderregende Dankbarkeit auf ihren Gesichtern, wenn der Handel abgeschlossen war. Einige der Gefangenen, die am Vortage angekommen waren, tauschten Kleidungsstücke gegen Münzen. Sie taten es verstohlen, als schämten sie sich dafür. Hawkwood vermutete, dass sie mit dem Geld Nahrungsmittel kaufen würden, eine Handelsware, die hier zur Währung geworden war.

Lasseur erriet seine Gedanken. »Ich sprach vorhin mit Ihrem Freund Sébastien. Er erzählte mir, als er in Portsmouth war, habe ein Mann auf der Vengeance eine Art Suppenküche aufgemacht und die Suppe napfweise verkauft. Er wurde reich damit. Sobald etwas knapp ist, kann man damit Geld verdienen.«