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Lasseur und Hawkwood sahen sich an.

»Nur so als Beispiel?«, sagte Lasseur. »Aber ja, vollkommen.«

»Und?«, fragte Lasseur. »Was ist Ihre Meinung?«

»Meiner Meinung nach ist Leutnant Murat ein doppelzüngiger Schweinehund«, sagte Hawkwood.

Sie waren wieder auf dem Vordeck. Die stickige Luft unter Deck war schwer zu ertragen gewesen. Sie waren oben angekommen, wo es immer noch eine Brise gab, auch wenn sie wesentlich abgeflaut war.

»Ich dachte, das hätten wir vorher schon festgestellt«, sagte Lasseur trocken. Dann runzelte er die Stirn. »Sie machen sich immer noch Gedanken wegen des Geldes, nicht wahr? Wie ich schon sagte, das brauchen Sie nicht. Sie können es mir zurückgeben, wenn wir wieder zu Hause sind.«

»Sie kennen mich doch kaum«, sagte Hawkwood.

»Stimmt«, erwiderte Lasseur. »Aber ich bin ein guter Menschenkenner. Sie werden Ihre Verbindlichkeit begleichen, das weiß ich.« Der Privateer grinste ihn entwaffnend an. »Und wenn ich mich geirrt haben sollte, dann werde ich Ihnen das Herz rausschneiden und an die Schweine verfüttern.«

»Ihre Schwiegereltern können so viel Geld aufbringen?«, fragte Hawkwood. Er hatte keine Vorstellung, aber er hielt es nicht für möglich, dass ein französischer Bauer ein derartiges Vermögen hatte.

»Nein.« Lasseur schüttelte den Kopf, dann sagte er mit Nachdruck: »Aber meine Männer können es. Der Mann, den ich dem Leutnant nannte, ist einer meiner Agenten.«

»Sie haben Agenten in England?«, sagte Hawkwood.

»Natürlich.« Lasseur schien überrascht, dass Hawkwood überhaupt gefragt hatte. »Ich beschäftige eine ganze Reihe von ihnen. Die halten mich über die Schiffsbewegungen der Britischen Navy auf dem Laufenden.«

Hawkwood ahnte, dass man ihm seine Unsicherheit bezüglich der Bezahlung noch immer ansah, denn Lasseur unterbrach sich und sagte: »Was ist? Erzählen Sie mir nicht, Sie wollten warten, bis Ihr Urlaub auf Ehrenwort genehmigt wäre? Entschuldigen Sie, aber ich halte Sie nicht für einen Mann, der zufrieden in einem englischen Kaffeehaus sitzt und darauf wartet, dass der Krieg zu Ende geht. Sie sagten zwar, ich kenne Sie nicht. Aber ich weiß, dass Sie Soldat sind, und Sie wissen, dass unsere beiden Länder Männer wie uns brauchen, um weiterzukämpfen. Und deshalb werden wir von hier abhauen. Ich werde zu meinem Sohn und zu meinem Schiff zurückkehren. Sie werden zu Ihrer Freundin und zu Ihrem Schützenregiment zurückkehren, und gemeinsam werden wir die Briten besiegen. Sie werden es für Ihren jungen Staat und für Ihren Präsidenten Madison tun, und ich für meinen Kaiser und die Ehre Frankreichs. Patriotismus hat keinen Preis, mein Freund, und viertausend Francs sind ein niedriger Preis für den Sieg. Was sagen Sie?«

Hawkwood sah Lasseurs ernstes, begeistertes Gesicht und zwang sich zu einem Grinsen. »Also gut, wann geht’s los?«

Lasseur schlug ihm auf die Schulter.

Es war ein schöner Sommertag geworden. Die Sonne war warm, und die schrillen Schreie der Möwen, die in der Luft kreisten und immer wieder aufs Wasser hinunterstießen waren, auch wenn sie eher schwermütig klangen, eine willkommene Abwechselung nach der Düsternis auf dem Geschützdeck. Von den Wäscheleinen zwischen den Rahen flatterten Hemden und Hosen. Von der Werft hallten schwache Arbeitsgeräusche herüber: der Klang von Hämmern auf Metall, das Rasseln einer Kette, das Ratschen der Sägen. Draußen auf dem Fluss veranstalteten zwei Fregatten, deren volle Segel sich wie graue Wolken blähten, ein Wettrennen zur Mündung hin.

Nur der Blick aufs Deck und über den eigenen Bug hinweg auf die geschwärzten Hecks der anderen Hulks zerstörte dieses Bild. Sie lagen im Wasser wie klobige, aus Kohle gehauene Skulpturen. Aus den Schornsteinen der Hütten an Deck stieg schwarzer Rauch in den blauen Sommerhimmel zum Beweis, dass selbst der hellste Tag verdunkelt werden konnte.

Wie um das zu bestätigen, ertönte in der Ruhe plötzlich ein Aufheulen, das einem das Blut in den Adern erstarren ließ, und im Nu war aus den Gefangenen auf dem ohnehin schon überfüllten Deck ein wild brodelnder Knäuel von Menschen geworden.

Von seiner Position auf dem Vordeck aus sah Hawkwood, wie die Gruppen der Gefangenen auseinanderstoben. Man hörte laute, panikartige Schreie. Er merkte, wie Lasseur heftig durchatmete. Zunächst hatte er keine Ahnung, was da passierte. Was er sah, erinnerte ihn an Käfer, die über den Kadaver eines toten Tieres herfallen, nur dass die Lebewesen, die hier aus den Luken quollen und über den Park rannten, keine Käfer waren, sondern Menschen, viele von ihnen nackt. Sie hatten lange, verfilzte Haare, und ihre Körper waren unbeschreiblich schmutzig. Diejenigen, die nicht nackt waren, hätten es genauso gut sein können, denn die Lumpen, die sie auf dem Körper trugen, waren nichts weiter als Fetzen. Hawkwood bemerkte, dass einige von ihnen in Decken gehüllt waren, die sie wie Togen um ihre Körper geschlungen hatten. Zischend, kreischend und die Zähne fletschend drängten sie sich um die anderen Gefangenen und bearbeiteten sie mit Fäusten und Füßen, wobei sie mit ihren Sprüngen und Verrenkungen an ein Rudel bösartiger Paviane erinnerten. Andere begnügten sich damit, auf ihre blechernen Essnäpfe zu schlagen. Es war ein ohrenbetäubender Lärm.

Vom Quarterdeck ertönten Alarmrufe. Als die Milizionäre sich endlich besonnen hatten und eilig ihre Musketen von der Schulter nahmen, erschien hinter ihnen ein großer, hagerer Offizier in Uniform. Seine Größe wurde durch den dunklen Dreispitz noch unterstrichen. Es war der Commander des Gefängnisschiffes, Leutnant Hellard. Von Wachen flankiert, trat er rasch an die Reling und starrte auf das Chaos. Er verzog angewidert das Gesicht und gab einen Befehl. Ein halbes Dutzend weiterer Wachen, angeführt von einem Korporal, kam mit lautem Getrampel aus dem Schuppen am Heck angerannt. Ihre Gefährten, die bereits an der Reling standen und nun sicher sein konnten, dass sie Verstärkung hatten, legten die Finger an die Abzüge ihrer Musketen. Innerhalb von Sekunden zielte eine Reihe von Gewehrläufen auf die gesamte Breite des Quarterdecks.

Das Chaos im Park hielt unverändert an, und der Leutnant hob den Arm. Der Korporal bellte einen Befehl, die Milizionäre zielten immer noch.

Um Gottes willen!, dachte Hawkwood. Er macht Ernst!

Doch der Leutnant gab den Befehl nicht. Stattdessen fuhr er fort, das Drama, das sich auf Deck abspielte, zu beobachten. Die Wachen fingerten nervös an den Abzugshähnen ihrer Musketen herum.

Der Aufruhr setzte sich noch zwei bis drei Minuten fort. Dann veränderte sich die Situation so plötzlich, als habe jemand einen entsprechenden Befehl erteilt. Die nackten und togaumhüllten Männer zogen sich zurück. Die anderen Gefangenen gruppierten sich neu. Einige von ihnen, durch den Rückzug der Eindringlinge ermutigt, stürzten sich auf ihre Peiniger und trieben sie mit Fausthieben zu den offenen Luken. Ein paar von ihnen schwangen Stöcke, ihre Arme unermüdlich im Einsatz. Das wütende Schmerzgebrüll bewies, dass ihre Schläge saßen. Die zurückgedrängten Angreifer verschwanden wieder in den Luken, aus denen sie hervorgekrochen waren, wie Kakerlaken, die vor dem Licht flüchten.

Es schien nur Sekunden, bis sich die Eindringlinge wieder verzogen hatten. Sofort reckten sich mehrere Hände in die Luft, die Handflächen geöffnet zum Zeichen, dass die anderen Gefangenen auf Deck die Situation wieder unter Kontrolle hatten. Der Leutnant jedoch bewegte sich nicht, er machte auch keinerlei Andeutung, ob er die hochgereckten Hände überhaupt wahrgenommen hatte. Er blieb weiterhin reglos stehen und beobachtete das Deck. Die Häftlinge, immer noch keuchend, starrten zurück. Manche von ihnen bluteten oder hatten blaue Flecken. Eine angespannte Stille senkte sich über den Park. Hoch in der Luft schrie eine Möwe. Keiner rührte sich. Nach weiteren zehn Sekunden senkte der Leutnant den Arm und trat zurück. Sofort war die Anspannung auf Deck wie weggeblasen. Die Milizionäre sicherten ihre Musketen und hängten sie wieder über die Schulter. Die Verstärkung machte kehrt. Die Wachen gingen auf ihre Posten zurück. Die Atmosphäre an Deck nahm wieder die gewohnte Dumpfheit an. Die verletzten Gefangenen zogen sich zurück, um ihre Wunden zu lecken.