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»In welcher?«

»Dass wir geduldig sein müssen.«

Lasseur verzog das Gesicht. »Das ist nicht gerade eine meiner Stärken.«

»Meine auch nicht«, gab Hawkwood zu, »allerdings haben wir keine Wahl. Im Moment glaube ich nicht, dass wir weiter viel tun können.«

Lasseur nickte müde. »Natürlich haben Sie Recht. Aber das heißt noch nicht, dass ich es gut finden muss, oder?«

Hawkwood antwortete nicht. Er dachte wieder an die Meute Halbnackter, die aus den Luken gekommen war, und an den Aufruhr, den sie verursacht hatte. Lasseur hatte das Gefängnisschiff als die Hölle bezeichnet. Bisher hatte dieser Vergleich auf schreckliche Art und Weise gestimmt. Während seiner Dienstzeit als Runner hatte Hawkwood viele Londoner Gefängnisse besucht, darunter Newgate, Bridewell und Fleet. Ohne Ausnahme waren alle schrecklich. Aber dieser schwarze, herzlose Schiffsrumpf war noch etwas anderes. Hawkwood spürte es, hier war das wirkliche Grauen am Werk. Er wusste noch nicht, von welcher Art es war und ob er jemals damit konfrontiert werden würde, aber instinktiv wusste er, es würde mit nichts zu vergleichen sein, was er bisher erlebt hatte.

6

Was den Gestank betraf, so hatte der Dolmetscher nicht Recht gehabt. Nach vier Tagen hatte Hawkwood sich noch immer nicht daran gewöhnt. Gestank war ihm nichts Neues, dafür hatte sein Leben in London gesorgt, aber in der eingeschlossenen Enge dieses Geschützdecks erzeugten vierhundert menschliche Körper ihren eigenen Mief, und obwohl Geschützöffnungen und Luken offen waren, kam bei diesem warmen Wetter kein frischer Windhauch ins Schiff. Die Brise, die über das brackige Wasser kam, brachte auch keine Erleichterung. Sie wälzte lediglich den feuchten Fäkaliengeruch vom Marschland herüber, der wie eine schwere, nasse Decke auf dem verschmutzten Fluss lag.

Dennoch hatte Hawkwood den Eindruck, dass Murat vielleicht doch nicht ganz richtig gelegen hatte mit seiner Behauptung, dass das Fieber und die Schwindsucht die häufigsten Todesursachen auf dem Schiff waren. Soweit Hawkwood es beurteilen konnte, war eine der Hauptursachen sicherlich die ununterbrochene Langeweile.

Manche der Gefangenen beschäftigten sich durchaus sinnvoll, indem sie künstlerischen oder handwerklichen Tätigkeiten nachgingen, andere unterrichteten oder selbst am Unterricht teilnahmen, oder indem sie sich als Schuster oder Händler für Tabak oder sonstige Dinge betätigten, doch schien es Hawkwood, als sei das eine Minderheit. Eine große Anzahl von Schiffsbewohnern zog es vor, die Tage in völliger Untätigkeit zu verbringen. Auch auf dem Geschützdeck fanden Glücksspiele statt, und es war nicht schwer, diejenigen zu erkennen, die dem Spiel bereits verfallen waren. Die stumme Verzweiflung auf den Gesichtern, wenn Sie ihre Karten hinlegten oder ganz langsam den Becher von den kleinen knöchernen Würfeln hoben, wobei sie eigentlich schon wussten, dass ihr Abstieg auf das Orlopdeck bereits begonnen hatte - all das waren Beweise genug. Andere gingen noch dubioseren Geschäften nach: Sie manipulierten schwächere Mithäftlinge durch Diebstahl, Einschüchterung oder sexuelle Gefälligkeiten, worauf sie dann mit Konsequenzen drohten, wenn ihre Autorität infrage gestellt wurde. Manche flüchteten sich in den Schlaf, sie rollten sich zusammen und schliefen, wo immer sich ein freies Plätzchen bot - und davon gab es nicht viele. Der Rest schien sich damit abgefunden zu haben, einfach abzuwarten und irgendwann zu sterben.

Im Bemühen, dem Gestank zu entkommen, hielt Hawkwood sich so viel wie möglich auf dem Vordeck auf, wo Lasseur ihm manchmal Gesellschaft leistete. Um nicht vollkommen untätig zu sein, hatte er sich bereiterklärt, bei Arbeiten auf Deck mitzuhelfen. Damit hatte er so manche Bemerkung seiner Mitgefangenen provoziert. Die meisten der Offiziere betrachteten diese Art von körperlicher Arbeit als unter ihrer Würde und bezahlten lieber andere dafür, die Arbeit für sie zu verrichten. Der gängige Preis war ein Sou oder zehn Unzen Brot von der Tagesration.

Hawkwood hatte damit keine Probleme, schließlich hatte er im Schützencorps gedient, wo man erwartete, dass jeder mit anpackte. Und selbst vorher, als Captain, war es immer Hawkwoods Grundsatz gewesen, keinem seiner Soldaten eine Arbeit zuzumuten, die er nicht selbst auch gemacht hätte. Das war ein guter Grundsatz, der ihm die Loyalität seiner Leute sicherte, was sich in der Hitze der Schlacht für alle ausgezahlt hatte. Also ließ Hawkwood sich bereitwillig Lasten auf den Rücken laden, die an Bord gebracht werden mussten, oder er schrubbte nach dem Abendessen das Vordeck und den Park. Ihm war der Geruch von ehrlich erworbenem Schweiß lieber als der allgegenwärtige Gestank unter Deck.

Lasseur leistete ebenfalls seinen Teil an Arbeit, er hatte schon am Aufzug und im Laderaum neben Hawkwood gearbeitet. Dort unten war es so warm, dass man Jacken und Hemden bald ausziehen musste. Die Rücken der Gefangenen glänzten vom Schweiß, und man konnte leicht erkennen, ob jemand neu an Bord war oder schon länger hier mitarbeitete: die Haut der Neuen war weiß wie Papier.

Lasseurs Haut hatte die Farbe, wie Seeleute sie in fernen, warmen Ländern bekamen. Sein Oberkörper war gut gebaut, wenn auch nicht übermäßig muskulös, und gleichmäßig gebräunt - im Gegensatz zu einigen der Männer, bei denen Gesicht und Unterarme die einzigen Körperteile waren, die Farbe hatten. Der Rest ihrer Haut, die normalerweise von einem Hemd bedeckt war, blieb blass.

Ein weiterer Unterschied Lasseurs zu den anderen waren die Narben auf seinem Rücken, die von Peitschenhieben stammen mussten. Hawkwood hatte diese nicht kommentiert. Er hatte genug eigene Narben, einschließlich des bläulichen Streifens um seinen Hals, der ihm einige neugierige Blicke eingebracht hatte, als er vor der Registrierung gebadet hatte, aber auch jetzt, wenn er beim Arbeiten das Hemd auszog.

Lasseur hatte Hawkwoods flüchtigen Blick auf seinen Rücken bemerkt und sein einziger Kommentar war gewesen: »Ich war nicht immer Soldat.«

»Ich auch nicht«, war Hawkwoods Antwort gewesen, und das hatte genügt. Sie ignorierten die anderen Männer, die mit ihren fragenden Blicken vielleicht eine Erklärung erwartet hatten.

Wenn er nicht arbeitete oder sich mit Hawkwood oder Fouchet unterhielt - mitunter wechselte er auch mit dem Jungen ein paar Worte -, ging Lasseur meist unruhig an Deck auf und ab und schaute ruhelos zur Flussmündung hin, in seine eigenen Gedanken versunken. Hawkwood nahm an, dass der Privateer es sich zur Aufgabe gemacht hatte, selbst irgendeinen genialen Fluchtplan zu ersinnen, falls Murat seinen Teil des Abkommens nicht einhalten sollte. Aber er drang nicht weiter in ihn. Bei so vielen Menschen, die hier auf engstem Raum leben mussten, war ruhiges Alleinsein bestenfalls ein Wunschtraum. Hawkwood wusste, dass es an Bord kaum einen Menschen gab, der nicht versuchte, wenigstens in Gedanken für sich allein zu sein und etwas Ruhe zu haben. Auch er versuchte es, so oft er konnte, und nutzte diese Gelegenheit, um den täglichen Routineablauf auf dem Schiff genau zu studieren. Und bei diesen Beobachtungen kam er zu dem Schluss, dass eine erfolgreiche Flucht vom Schiff so gut wie unmöglich war. Sie lagen nur einen Steinwurf von der Mitte der stark befahrenen Flussmündung entfernt, waren von unwirtlichem Marschland umgeben, dazu schwer bewacht von einer Miliz und einem Commander, der bereit war, bei Auflehnung Waffengewalt anzuwenden. Sie hätten genauso gut auf dem Schiff eingemauert sein können.

Ludd war der Meinung gewesen, dass es in den letzten Wochen vier Männern gelungen wäre, zu fliehen. Aber in der kurzen Zeit, die er an Bord war, hatte Hawkwood noch keinen einzigen Hinweis gefunden, wie sie das hätten schaffen können. Er hatte versucht, Fouchet und die anderen festzunageln, aber zu seinem Frust waren sie genauso wenig eine Hilfe gewesen wie Leutnant Murat.