»Die Sache muss geklärt werden«, sagte Hawkwood. »Und zwar jetzt.«
Matisse schüttelte den Kopf, aber ob aus Verwunderung oder Belustigung war schwer zu sagen.
»Ist Ihnen wirklich so sehr daran gelegen, den Jungen zurückzukriegen?« Wieder schaukelte der Ohrring. Matisse betrachtete seine Leutnants, die ihn eifrig und erwartungsvoll ansahen. Sie rochen Blut. Langsam drehte er sich um, sein Gesicht war listig. Er zog einen Flunsch.
»In Ordnung, vielleicht gibt es einen Ausweg.«
»Welchen?«, fragte Lasseur.
Matisse schwieg. »Einen Wettkampf.«
Ein Murmeln lief durch die Reihen der Männer.
Lasseur war verblüfft. »Sie meinen, eine Wette? Sie würden mit Würfeln über das Schicksal des Jungen entscheiden?«
»Nicht mit Würfeln.«
»Dann mit Karten? Damit will ich auch nichts zu tun haben!«
»Es gibt andere Wege, sich ein Bild von der Tapferkeit eines Mannes zu machen, als ihn beim Whist gewinnen zu sehen, Captain.«
»Zum Beispiel?«, fragte Lasseur vorsichtig.
»Eine Art von Prüfung.«
»Sie meinen eine Verhandlung?« Lasseur sah skeptisch aus. »Sollen wir etwa ein Plädoyer halten?«
»Nicht diese Art von Prüfung.«
»Was meinen Sie dann?«
»Ich meine einen Zweikampf.«
Alle Anwesenden fingen plötzlich an, aufgeregt durcheinanderzureden. Es dauerte ein paar Sekunden, bis es wieder still wurde.
»Er will, dass Sie um ihn kämpfen«, sagte Hawkwood ungläubig.
Matisse ließ ein kurzes, hartes und humorloses Lachen hören. »Sie drücken sich so vulgär aus, Captain. Als ob ich vorschlüge, dass die beiden sich prügeln. Ich würde es lieber als eine Art Gottesurteil bezeichnen. ›Dem Sieger den Preis‹ - sagt man das nicht?«
Entsetzt starrte Lasseur ihn an. »Mit Ihnen kämpfe ich nicht!«
»Mit mir kämpfen? Sie missverstehen, Captain. Ich meinte die alte Methode, Meinungsverschiedenheiten auszutragen, als Könige sich noch nicht selbst gegeneinander erhoben. Sie nominierten einen Stellvertreter, einen tapferen Ritter, der für sie kämpfte, jemand, der das Kriegshandwerk verstand - einen Krieger eben.« Matisse sah Hawkwood an. »Sie, Captain Hawkwood, Sie sind ein Krieger. Das beweisen Ihre Narben. Ich nominiere Sie als Captain Lasseurs Vertreter.«
»Was?«, sagte Lasseur ungläubig.
»Es ist Ihre einzige Chance, ihn zurückzubekommen. Was sagen Sie, Captain Hooper?«
»Ich glaube, Sie sind schon zu lange hier unten. Ihr Verstand hat gelitten. Sie wollen mit einem Zweikampf über das Schicksal des Jungen entscheiden?«
Noch während er sprach, fing es in Hawkwoods Kopf an, sich zu drehen. Was zum Teufel ging hier vor? Was hatte Lasseur sich gedacht? Das war doch nicht geplant gewesen. Warum, im Namen aller Heiligen, hatte er sich in Lasseurs privaten Krieg hineinziehen lassen?
»So wird das Süppchen noch etwas pikanter, nicht wahr?«, sagte Matisse grinsend. »Und es ist schon eine Weile her seit unserer letzten Darbietung. Wann war das? Erinnert sich jemand?« Erwartungsvoll sah er die Gesichter an, die im Kreis um ihn standen. »Nein? Na ja, so ist das eben, hier unten merkt man nicht, wie die Zeit vergeht. Ein Monat fließt in den nächsten. Jedenfalls ist das mein Angebot, Captain Lasseur. Eine sportliche Chance. Wenn mein Mann gewinnt, bleibt der Junge bei uns. Wenn Captain Hooper siegt, gebe ich den Jungen frei. Was sagen Sie dazu?«
»Lassen Sie Captain Hooper aus dem Spiel«, sagte Lasseur. Er sah Hawkwood an. Sein Gesicht war aschgrau.
»Dafür ist es zu spät«, sagte Matisse.
Hawkwood sah die gespannte Aufmerksamkeit in den Gesichtern der anderen Männer. Lasseur starrte ihn noch immer ungläubig an.
»Wer ist Ihr Mann?«, fragte Hawkwood. »Dupin?«
»Dupin?« Matisse schien überrascht. Er hob das Kinn. »Oh nein, nicht Dupin. Wenn Korporal Dupin auch ein treuer und zuverlässiger Leutnant ist, so wäre er doch kein Gegner für einen Veteranen wie Sie. Nein, keine Widerrede, Korporal. Sie wissen, dass ich Recht habe. Captain Hooper ist ein erfahrener Soldat, während Sie nur ein Höfling mit einem Stöckchen sind. Sie würden keine fünf Minuten durchhalten, und wo ist da der Sport? Nein, Captain, ich wähle einen anderen, einen viel würdigeren Gegner. Königliches Privileg, wenn Sie wollen.«
Matisse drehte sich um. Einige der Männer am Tisch grinsten sich verständnisinnig an.
»Kemel Bey!«, rief Matisse.
Ein schwacher Lichtkeil erschien in der dunklen Wand hinter dem Tisch. Zum ersten Mal sah Hawkwood die Öffnung in der Trennwand über Matisses Schulter, woraus er schloss, dass davor noch weitere Abteilungen liegen mussten.
Lasseur hielt die Luft an. Hawkwood sah, warum.
Eine Gestalt trat in den Lichtkreis der Laterne. Die Haut des Mannes war so dunkel, dass es aussah, als sei sie aus dem Holz des Schiffes geschnitzt. Er war nicht so groß wie Hawkwood, aber auch nicht klein. Sein Gesicht war breit. Seine Nase war breit und flach. Unter ihr spross ein riesiger rabenschwarzer Schnurrbart. Sein Haar war lang und ölig und ringelte sich im Nacken zu festen Löckchen. In jedem Ohr trug er einen goldenen Ring, der im Laternenschein blitzte. Im Gegensatz zu Matisse waren seine Augen so schwarz wie Oliven.
Seine auffällige Erscheinung wurde durch seine Kleidung noch unterstrichen. Über seinen breiten, muskulösen Brustkorb spannte sich eine gelbe Gefangenenjacke. Seine Beine steckten in weiten, dunkelroten Pluderhosen. Er ging barfuß. Hawkwood fand, er sah aus, als käme er geradewegs aus einem Bilderbuch oder aus dem Kostümfundus eines Theaters.
Hawkwood hatte von den Guerillakämpfern in Spanien von Bonapartes Mamelucken gehört, aber er hatte sie noch nie in Aktion gesehen. Sie hatten einen schrecklichen Ruf. Man sagte, dass der Kaiser, obwohl er sie in der Schlacht besiegt hatte, von ihren kämpferischen Fähigkeiten während der Kampagne in Ägypten so beeindruckt war, dass er zwei Schwadronen von ihnen gestattet hatte, ihn bei seiner Rückkehr nach Frankreich zu begleiten. Eine Entschuldigung ihres befehlshabenden Offiziers und das Versprechen, Frankreich bis in den Tod zu verteidigen hatten genügt, um ihre augenblickliche Integration in die Kaiserliche Garde zu erwirken. Die Kavallerie der Mamelucken hatte eine entscheidende Rolle in Murats brutaler Niederschlagung des Aufstands von Madrid gespielt.
Offenbar war der Mameluck im Gegensatz zu der restlichen Bevölkerung des Schiffes in bester körperlicher Verfassung. Aber das traf auch auf die anderen in Matisses Gefolge zu. Man merkte, sie litten nicht unter denselben Entbehrungen wie die anderen. Auf dem Hulk waren Matisse und sein Hofstaat wie ein Wolfsrudel, in dem die Alphatiere die besten Brocken bekamen. Eigentlich schien Matisse sogar der Magerste von allen zu sein, was darauf hindeutete, dass er weniger mit Muskelkraft als mit dem Kopf regierte. Hawkwood wusste, dass ihn das gefährlicher machte als alle anderen.
»Farbenfroh, nicht wahr?«, sagte Matisse. »Kemel Bey ist ein echter Prinz. Zumindest glauben wir, dass er uns das erzählt hat. Er spricht nicht sehr gut Französisch. Er wurde voriges Jahr auf einem Transportschiff vor Tanger gefangen genommen. Wussten Sie, dass der Kaiser noch immer einen Mamelucken als Leibwächter hat? Er hilft dem Kaiser jeden Morgen beim Rasieren, er soll eine ruhige Hand mit dem Rasiermesser haben.« Matisse hob einen Mundwinkel. Mehrere seiner Getreuen taten es ihm nach, es war offenbar ein interner Witz, den sie alle kannten.
»Man sagt, die Ausbildung eines Mamelucken fängt bei der Geburt an. Ich bin sicher, das ist eine Übertreibung, aber sie sind wirklich in vielem äußerst geschickt: als Schwertkämpfer, im Fechten, mit dem Speer, als Bogenschützen, mit Feuerwaffen … sie sind auch gute Ringer. Sie kennen keine Angst. Kemel Bey wird mich vertreten, Captain Hooper.« Mit rot geränderten Augen warf er die Herausforderung hin. »Also, wie sieht’s aus? Werden Sie sich der Sache stellen, oder werden Sie wegrennen? Kriegen wir unseren Zweikampf?«